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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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sind Mehlkuchen und Hirsebrei. Jenes Getränk, Kümpchen oder Minnekümp-
chen genannt, wird, da es breiartig dick ist, mit Löffeln gegessen, und zwar
will das Herkommen, daß die Mädchen ihre Burschen damit füttern. Sie
halten dabei jede ihr Kümpchen (Schüsselchen) auf dem Schooße, ihr Schatz
kniet vor ihnen und wird von der Hand seiner Liebsten mit einem Löffel gespeist.

Das Uebermaß des Genusses dieser Branntweinsuppe führte bei mehr
als einem Schwingtage zu Ausbrüchen der Leidenschaft und zu blutigen Schlä¬
gereien, wovon in jeder Gemeinde Beispiele in der Erinnerung leben. Auf
dem Heimweg namentlich war es etwas Gewöhnliches, daß rauflustige Bur¬
schen den Versuch machten, dem Einen oder dem Andern sein Schätzchen ab¬
zunehmen und selbst heimzugcleiten. Der Sieger bei solchen Streichen rühmte
sich dann auf allen Gelagen seiner Heldenthat, der Besiegte war Jahre lang
Zielscheibe allgemeinen Spottes. Nicht selten kam es vor. daß die Burschen
ganzer Ortschaften sich zusammenthaten, um einem heimkehrenden Schwing¬
tagszug aufzulauern und den Raub der Sabinerinnen 'nachzuahmen. Dann
gab es hartnäckige Kämpfe, bei denen oft die Messer gebraucht wurden und
mitunter tödtliche Wunden sielen. So geschah es, daß die Kirche gegen die
Schwingtage eiferte, und daß in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts auch
die Polizei mit Verordnungen und Strafen dagegen einschritt. So ist die
Festlichkeit in der Ebne allmälig ganz verschwunden, und auch in den Ber¬
gen kommt sie nur noch in wenigen Orten vor.




Die Russen in Jerusalem.
2.

In einem Augenblicke, wo Nußland eben wieder einen Versuch mochte,
die orientalische Frage, nicht aus der Vergessenheit, sondern aus dem Schrein
vorläufig reponirter Acten hervorzuziehen, dürfte dies Bild, wenn es auch un¬
vollendet bleiben mußte, nicht ohne Interesse sein. Wir haben gesehn, daß
das nächste Object des Petersburger Cabinets. die religiöse Niederlassung in
Jerusalem, an dem Widerstände, nicht fremder Confessionen, sondern
der eignen Glaubensverwandten, der Griechen, gescheitert ist, und daß zum
Theil durch die Bemühung dieser Glaubensverwandten, auch die an M-


Grenzbotcn III. 1360. 40

sind Mehlkuchen und Hirsebrei. Jenes Getränk, Kümpchen oder Minnekümp-
chen genannt, wird, da es breiartig dick ist, mit Löffeln gegessen, und zwar
will das Herkommen, daß die Mädchen ihre Burschen damit füttern. Sie
halten dabei jede ihr Kümpchen (Schüsselchen) auf dem Schooße, ihr Schatz
kniet vor ihnen und wird von der Hand seiner Liebsten mit einem Löffel gespeist.

Das Uebermaß des Genusses dieser Branntweinsuppe führte bei mehr
als einem Schwingtage zu Ausbrüchen der Leidenschaft und zu blutigen Schlä¬
gereien, wovon in jeder Gemeinde Beispiele in der Erinnerung leben. Auf
dem Heimweg namentlich war es etwas Gewöhnliches, daß rauflustige Bur¬
schen den Versuch machten, dem Einen oder dem Andern sein Schätzchen ab¬
zunehmen und selbst heimzugcleiten. Der Sieger bei solchen Streichen rühmte
sich dann auf allen Gelagen seiner Heldenthat, der Besiegte war Jahre lang
Zielscheibe allgemeinen Spottes. Nicht selten kam es vor. daß die Burschen
ganzer Ortschaften sich zusammenthaten, um einem heimkehrenden Schwing¬
tagszug aufzulauern und den Raub der Sabinerinnen 'nachzuahmen. Dann
gab es hartnäckige Kämpfe, bei denen oft die Messer gebraucht wurden und
mitunter tödtliche Wunden sielen. So geschah es, daß die Kirche gegen die
Schwingtage eiferte, und daß in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts auch
die Polizei mit Verordnungen und Strafen dagegen einschritt. So ist die
Festlichkeit in der Ebne allmälig ganz verschwunden, und auch in den Ber¬
gen kommt sie nur noch in wenigen Orten vor.




Die Russen in Jerusalem.
2.

In einem Augenblicke, wo Nußland eben wieder einen Versuch mochte,
die orientalische Frage, nicht aus der Vergessenheit, sondern aus dem Schrein
vorläufig reponirter Acten hervorzuziehen, dürfte dies Bild, wenn es auch un¬
vollendet bleiben mußte, nicht ohne Interesse sein. Wir haben gesehn, daß
das nächste Object des Petersburger Cabinets. die religiöse Niederlassung in
Jerusalem, an dem Widerstände, nicht fremder Confessionen, sondern
der eignen Glaubensverwandten, der Griechen, gescheitert ist, und daß zum
Theil durch die Bemühung dieser Glaubensverwandten, auch die an M-


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[0325] sind Mehlkuchen und Hirsebrei. Jenes Getränk, Kümpchen oder Minnekümp- chen genannt, wird, da es breiartig dick ist, mit Löffeln gegessen, und zwar will das Herkommen, daß die Mädchen ihre Burschen damit füttern. Sie halten dabei jede ihr Kümpchen (Schüsselchen) auf dem Schooße, ihr Schatz kniet vor ihnen und wird von der Hand seiner Liebsten mit einem Löffel gespeist. Das Uebermaß des Genusses dieser Branntweinsuppe führte bei mehr als einem Schwingtage zu Ausbrüchen der Leidenschaft und zu blutigen Schlä¬ gereien, wovon in jeder Gemeinde Beispiele in der Erinnerung leben. Auf dem Heimweg namentlich war es etwas Gewöhnliches, daß rauflustige Bur¬ schen den Versuch machten, dem Einen oder dem Andern sein Schätzchen ab¬ zunehmen und selbst heimzugcleiten. Der Sieger bei solchen Streichen rühmte sich dann auf allen Gelagen seiner Heldenthat, der Besiegte war Jahre lang Zielscheibe allgemeinen Spottes. Nicht selten kam es vor. daß die Burschen ganzer Ortschaften sich zusammenthaten, um einem heimkehrenden Schwing¬ tagszug aufzulauern und den Raub der Sabinerinnen 'nachzuahmen. Dann gab es hartnäckige Kämpfe, bei denen oft die Messer gebraucht wurden und mitunter tödtliche Wunden sielen. So geschah es, daß die Kirche gegen die Schwingtage eiferte, und daß in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts auch die Polizei mit Verordnungen und Strafen dagegen einschritt. So ist die Festlichkeit in der Ebne allmälig ganz verschwunden, und auch in den Ber¬ gen kommt sie nur noch in wenigen Orten vor. Die Russen in Jerusalem. 2. In einem Augenblicke, wo Nußland eben wieder einen Versuch mochte, die orientalische Frage, nicht aus der Vergessenheit, sondern aus dem Schrein vorläufig reponirter Acten hervorzuziehen, dürfte dies Bild, wenn es auch un¬ vollendet bleiben mußte, nicht ohne Interesse sein. Wir haben gesehn, daß das nächste Object des Petersburger Cabinets. die religiöse Niederlassung in Jerusalem, an dem Widerstände, nicht fremder Confessionen, sondern der eignen Glaubensverwandten, der Griechen, gescheitert ist, und daß zum Theil durch die Bemühung dieser Glaubensverwandten, auch die an M- Grenzbotcn III. 1360. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/325>, abgerufen am 01.05.2024.