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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Der Kriegsschauplatz in Unteritalien.

Wie die Landung Garibaldis bei Mclito durch das Verhalten der nea¬
politanischen Flotte ein Seitenstück zu der Landung bei Marsala wurde, so
scheint sich ans dem italienischen Festlande das ganze Schauspiel, das wir in
den letzten Monaten auf Sicilien sich entwickeln sahen, in größerem Maßstabe
und schmachvoller für die bourbonische Sache wiederholen zu wollen. Der Ueber¬
gang des Freischaarcnheeres über die Meerenge ist ohne wesentlichen Verlust
bewerkstelligt worden. Reggio nach kurzem Widerstand in die Hände der An¬
greifer gefallen, allenthalben in der Nachbarschaft, in Calabrien nicht blos,
sondern auch schon in den östlichen Provinzen Basilicata und Capitanata zün¬
den streifende Schaaren der Nothblouseu den Brennstoff, der sich in der Be¬
völkerung gesammelt, zum hellen Revolutionsfeuer an. Der Kern der unitarischcn
Armee aber scheint in den bourbonischen Truppen Soldaten vor sich zu haben,
welche, als Süditaliener an sich schon weniger knegstüchtig als die hauptsäch¬
lich aus Norditalicnern bestehende Gegenpartei, außerdem aber geführt von
Generalen zweifelhaften Muthes und unzweifelhafter Unfähigkeit, unsicher ge¬
worden durch die Erinnerung an Palermos raschen Fall, noch unsicherer gemacht
durch das Schwanken der Zustände in Neapel, theilweise zum Uebertritt in die
Reihen der Angreifer geneigt und jedenfalls der Mehrzahl nach in der Stim¬
mung sind, den in Garivaldi und den Seinen gegen sie heranstürmenden Ge¬
danken der Einheit Italiens ungefähr so über sich ergehen zu lasse", wie man
ein übermächtiges Naturereigniß, dem mit menschlicher Kraft kein Widerstand
zu leisten ist, einen Hagelsturm, ein Gewitter, einen vulkanischen Ausbruch
über sich ergehen läßt.

Der rasche Zusammenbruch einer nur ihrem Umfang nach bedeutenden,
innerlich hohlen und zerrütteten Macht vor einem numerisch unvergleichbar
schwächeren, aber von dem Glauben an eine große, edle Idee erfüllten, von
fester Zuversicht auf das Gelingen seines Sendung getragenen Gegner, der
überdies mit dem Auge eines umsichtigen Militärs bis jetzt noch immer die
rechten Mittel und Wege zu seinen Zwecken zu wählen verstand, war aus den
Ereignissen in Sicilien mit ziemlicher Gewißheit vorauszusagen; daß er so
schnell eintreten, der Fall ein so schmählicher sein werde, wie es den Anschein
hat, wagten wir nicht anzunehmen. Ja wir halten es noch jetzt für nicht ganz
unmöglich, daß die weitere Entwicklung der Dinge in Unteritalien die auf
Garibaldis militärische Tüchtigkeit und die Gewalt des Gedankens / den er
vertritt, gebauten Erwartungen widerlegt, aber sicher würde in solchem Fall
die Verwunderung aller Parteien größer sein, als in dem entgegengesetzten.


Der Kriegsschauplatz in Unteritalien.

Wie die Landung Garibaldis bei Mclito durch das Verhalten der nea¬
politanischen Flotte ein Seitenstück zu der Landung bei Marsala wurde, so
scheint sich ans dem italienischen Festlande das ganze Schauspiel, das wir in
den letzten Monaten auf Sicilien sich entwickeln sahen, in größerem Maßstabe
und schmachvoller für die bourbonische Sache wiederholen zu wollen. Der Ueber¬
gang des Freischaarcnheeres über die Meerenge ist ohne wesentlichen Verlust
bewerkstelligt worden. Reggio nach kurzem Widerstand in die Hände der An¬
greifer gefallen, allenthalben in der Nachbarschaft, in Calabrien nicht blos,
sondern auch schon in den östlichen Provinzen Basilicata und Capitanata zün¬
den streifende Schaaren der Nothblouseu den Brennstoff, der sich in der Be¬
völkerung gesammelt, zum hellen Revolutionsfeuer an. Der Kern der unitarischcn
Armee aber scheint in den bourbonischen Truppen Soldaten vor sich zu haben,
welche, als Süditaliener an sich schon weniger knegstüchtig als die hauptsäch¬
lich aus Norditalicnern bestehende Gegenpartei, außerdem aber geführt von
Generalen zweifelhaften Muthes und unzweifelhafter Unfähigkeit, unsicher ge¬
worden durch die Erinnerung an Palermos raschen Fall, noch unsicherer gemacht
durch das Schwanken der Zustände in Neapel, theilweise zum Uebertritt in die
Reihen der Angreifer geneigt und jedenfalls der Mehrzahl nach in der Stim¬
mung sind, den in Garivaldi und den Seinen gegen sie heranstürmenden Ge¬
danken der Einheit Italiens ungefähr so über sich ergehen zu lasse», wie man
ein übermächtiges Naturereigniß, dem mit menschlicher Kraft kein Widerstand
zu leisten ist, einen Hagelsturm, ein Gewitter, einen vulkanischen Ausbruch
über sich ergehen läßt.

Der rasche Zusammenbruch einer nur ihrem Umfang nach bedeutenden,
innerlich hohlen und zerrütteten Macht vor einem numerisch unvergleichbar
schwächeren, aber von dem Glauben an eine große, edle Idee erfüllten, von
fester Zuversicht auf das Gelingen seines Sendung getragenen Gegner, der
überdies mit dem Auge eines umsichtigen Militärs bis jetzt noch immer die
rechten Mittel und Wege zu seinen Zwecken zu wählen verstand, war aus den
Ereignissen in Sicilien mit ziemlicher Gewißheit vorauszusagen; daß er so
schnell eintreten, der Fall ein so schmählicher sein werde, wie es den Anschein
hat, wagten wir nicht anzunehmen. Ja wir halten es noch jetzt für nicht ganz
unmöglich, daß die weitere Entwicklung der Dinge in Unteritalien die auf
Garibaldis militärische Tüchtigkeit und die Gewalt des Gedankens / den er
vertritt, gebauten Erwartungen widerlegt, aber sicher würde in solchem Fall
die Verwunderung aller Parteien größer sein, als in dem entgegengesetzten.


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[0420] Der Kriegsschauplatz in Unteritalien. Wie die Landung Garibaldis bei Mclito durch das Verhalten der nea¬ politanischen Flotte ein Seitenstück zu der Landung bei Marsala wurde, so scheint sich ans dem italienischen Festlande das ganze Schauspiel, das wir in den letzten Monaten auf Sicilien sich entwickeln sahen, in größerem Maßstabe und schmachvoller für die bourbonische Sache wiederholen zu wollen. Der Ueber¬ gang des Freischaarcnheeres über die Meerenge ist ohne wesentlichen Verlust bewerkstelligt worden. Reggio nach kurzem Widerstand in die Hände der An¬ greifer gefallen, allenthalben in der Nachbarschaft, in Calabrien nicht blos, sondern auch schon in den östlichen Provinzen Basilicata und Capitanata zün¬ den streifende Schaaren der Nothblouseu den Brennstoff, der sich in der Be¬ völkerung gesammelt, zum hellen Revolutionsfeuer an. Der Kern der unitarischcn Armee aber scheint in den bourbonischen Truppen Soldaten vor sich zu haben, welche, als Süditaliener an sich schon weniger knegstüchtig als die hauptsäch¬ lich aus Norditalicnern bestehende Gegenpartei, außerdem aber geführt von Generalen zweifelhaften Muthes und unzweifelhafter Unfähigkeit, unsicher ge¬ worden durch die Erinnerung an Palermos raschen Fall, noch unsicherer gemacht durch das Schwanken der Zustände in Neapel, theilweise zum Uebertritt in die Reihen der Angreifer geneigt und jedenfalls der Mehrzahl nach in der Stim¬ mung sind, den in Garivaldi und den Seinen gegen sie heranstürmenden Ge¬ danken der Einheit Italiens ungefähr so über sich ergehen zu lasse», wie man ein übermächtiges Naturereigniß, dem mit menschlicher Kraft kein Widerstand zu leisten ist, einen Hagelsturm, ein Gewitter, einen vulkanischen Ausbruch über sich ergehen läßt. Der rasche Zusammenbruch einer nur ihrem Umfang nach bedeutenden, innerlich hohlen und zerrütteten Macht vor einem numerisch unvergleichbar schwächeren, aber von dem Glauben an eine große, edle Idee erfüllten, von fester Zuversicht auf das Gelingen seines Sendung getragenen Gegner, der überdies mit dem Auge eines umsichtigen Militärs bis jetzt noch immer die rechten Mittel und Wege zu seinen Zwecken zu wählen verstand, war aus den Ereignissen in Sicilien mit ziemlicher Gewißheit vorauszusagen; daß er so schnell eintreten, der Fall ein so schmählicher sein werde, wie es den Anschein hat, wagten wir nicht anzunehmen. Ja wir halten es noch jetzt für nicht ganz unmöglich, daß die weitere Entwicklung der Dinge in Unteritalien die auf Garibaldis militärische Tüchtigkeit und die Gewalt des Gedankens / den er vertritt, gebauten Erwartungen widerlegt, aber sicher würde in solchem Fall die Verwunderung aller Parteien größer sein, als in dem entgegengesetzten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/420>, abgerufen am 01.05.2024.