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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Abschnitt Einiges mit. Für hente schließen wir mit dem Wunsche, daß das
deutsche Volk des wackern Mannes gedenken möge, der so recht eigentlich ein
Beispiel ist, mit welcher Treue und welcher Selbstverleugnung die Stammgenossen
jenseits der Eider, und namentlich die Gebildeten unter ihnen, trotz aller Wider¬
wärtigkeit der Zeiten, an ihrem Rechte, ihrem Glauben an die Zukunft und
ihrer Hoffnung aus uns festhalten.




Bilder mis der Geschichte des Pietismus.
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Edelmann. -- Haller.

Wir fügen noch, wenn auch nur in flüchtigen Zügen den Schluß der
spinozistischen Entwickelung Edelmanns hinzu.

Die erste Frucht seiner neuen Erkenntniß war der Moses mit aufge¬
deckten Angesicht, dessen erstes Hest im November 1740 von den "Bart¬
männern" vertrieben wurde. Die fünf Bücher Moses wurden als Erzeugniß der
Periode Esra's bezeichnet. Neue und entscheidende kritische Momente hatte
Edelmann wenig gefunden, aber bei seiner massenhaften, wenn auch ungeord¬
neten Belesenheit wußte er die buntesten und pikantesten Argumente gegen
die Theologen anzubringen, die sie um so mehr reizten, je unruhiger und
je'leidenschaftlicher der Ton war. Er spottete über die Anforderung, daß ein
gehender Ladiner noch seine Krücke gebrauchen solle; er sprach mit großer
Borliebe vom Kaiser Julian. Die neue demonstrative Theologie (Wolf,
Reinbeck) wurde >fast uoch verächtlicher abgefertigt als die orthodoxe, und die
Darstellung von der Schöpfung und Unendlichkeit der Welt verräth den Gipfel
seiner Mystik. Die Schrift erregte großen Lärm, sie wurde in Berleburg
selbst confiscire, die frankfurter Brüder erklärten sie für ein Teufelswerk, und
selbst die nächsten Freunde wünschten, daß er die Decke mit etwas reineren
Händen ausgehoben hätte. "Ich wußte aber damals selber nicht, daß ich
noch so viel Schmutz an mir hatte, indem ich in der reinen Lehre erzogen zu
sein glaubte und Exempel genug vor mir hatte von Leuten, denen ich im
Punkt einer unanständigen Schreibart nicht das Wasser zu reichen vermochte.


Grenzboten III, 1860. 63

Abschnitt Einiges mit. Für hente schließen wir mit dem Wunsche, daß das
deutsche Volk des wackern Mannes gedenken möge, der so recht eigentlich ein
Beispiel ist, mit welcher Treue und welcher Selbstverleugnung die Stammgenossen
jenseits der Eider, und namentlich die Gebildeten unter ihnen, trotz aller Wider¬
wärtigkeit der Zeiten, an ihrem Rechte, ihrem Glauben an die Zukunft und
ihrer Hoffnung aus uns festhalten.




Bilder mis der Geschichte des Pietismus.
-'3^-' '. " ' ' V ^ '" ' ''-^
Edelmann. — Haller.

Wir fügen noch, wenn auch nur in flüchtigen Zügen den Schluß der
spinozistischen Entwickelung Edelmanns hinzu.

Die erste Frucht seiner neuen Erkenntniß war der Moses mit aufge¬
deckten Angesicht, dessen erstes Hest im November 1740 von den „Bart¬
männern" vertrieben wurde. Die fünf Bücher Moses wurden als Erzeugniß der
Periode Esra's bezeichnet. Neue und entscheidende kritische Momente hatte
Edelmann wenig gefunden, aber bei seiner massenhaften, wenn auch ungeord¬
neten Belesenheit wußte er die buntesten und pikantesten Argumente gegen
die Theologen anzubringen, die sie um so mehr reizten, je unruhiger und
je'leidenschaftlicher der Ton war. Er spottete über die Anforderung, daß ein
gehender Ladiner noch seine Krücke gebrauchen solle; er sprach mit großer
Borliebe vom Kaiser Julian. Die neue demonstrative Theologie (Wolf,
Reinbeck) wurde >fast uoch verächtlicher abgefertigt als die orthodoxe, und die
Darstellung von der Schöpfung und Unendlichkeit der Welt verräth den Gipfel
seiner Mystik. Die Schrift erregte großen Lärm, sie wurde in Berleburg
selbst confiscire, die frankfurter Brüder erklärten sie für ein Teufelswerk, und
selbst die nächsten Freunde wünschten, daß er die Decke mit etwas reineren
Händen ausgehoben hätte. „Ich wußte aber damals selber nicht, daß ich
noch so viel Schmutz an mir hatte, indem ich in der reinen Lehre erzogen zu
sein glaubte und Exempel genug vor mir hatte von Leuten, denen ich im
Punkt einer unanständigen Schreibart nicht das Wasser zu reichen vermochte.


Grenzboten III, 1860. 63
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[0509] Abschnitt Einiges mit. Für hente schließen wir mit dem Wunsche, daß das deutsche Volk des wackern Mannes gedenken möge, der so recht eigentlich ein Beispiel ist, mit welcher Treue und welcher Selbstverleugnung die Stammgenossen jenseits der Eider, und namentlich die Gebildeten unter ihnen, trotz aller Wider¬ wärtigkeit der Zeiten, an ihrem Rechte, ihrem Glauben an die Zukunft und ihrer Hoffnung aus uns festhalten. Bilder mis der Geschichte des Pietismus. -'3^-' '. " ' ' V ^ '" ' ''-^ Edelmann. — Haller. Wir fügen noch, wenn auch nur in flüchtigen Zügen den Schluß der spinozistischen Entwickelung Edelmanns hinzu. Die erste Frucht seiner neuen Erkenntniß war der Moses mit aufge¬ deckten Angesicht, dessen erstes Hest im November 1740 von den „Bart¬ männern" vertrieben wurde. Die fünf Bücher Moses wurden als Erzeugniß der Periode Esra's bezeichnet. Neue und entscheidende kritische Momente hatte Edelmann wenig gefunden, aber bei seiner massenhaften, wenn auch ungeord¬ neten Belesenheit wußte er die buntesten und pikantesten Argumente gegen die Theologen anzubringen, die sie um so mehr reizten, je unruhiger und je'leidenschaftlicher der Ton war. Er spottete über die Anforderung, daß ein gehender Ladiner noch seine Krücke gebrauchen solle; er sprach mit großer Borliebe vom Kaiser Julian. Die neue demonstrative Theologie (Wolf, Reinbeck) wurde >fast uoch verächtlicher abgefertigt als die orthodoxe, und die Darstellung von der Schöpfung und Unendlichkeit der Welt verräth den Gipfel seiner Mystik. Die Schrift erregte großen Lärm, sie wurde in Berleburg selbst confiscire, die frankfurter Brüder erklärten sie für ein Teufelswerk, und selbst die nächsten Freunde wünschten, daß er die Decke mit etwas reineren Händen ausgehoben hätte. „Ich wußte aber damals selber nicht, daß ich noch so viel Schmutz an mir hatte, indem ich in der reinen Lehre erzogen zu sein glaubte und Exempel genug vor mir hatte von Leuten, denen ich im Punkt einer unanständigen Schreibart nicht das Wasser zu reichen vermochte. Grenzboten III, 1860. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/509>, abgerufen am 01.05.2024.