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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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man nicht lange gereicht haben, wenn die Neapolitaner nicht wieder die Ober¬
hand gewonnen hätten.

Aehnliche Uebelstände können auch jetzt sich geltend machen, wenn Sicilien
lange sich selbst überlassen bleibt. Wir wenigstens sehen nicht ein, warum
das Volk sich geändert haben sollte. Die rasch auflodernde Begeisterung hält
nicht lange vor. Politische Bildung und vor allem das Gefühl der Pflicht
muß hinzutreten, wenn das von dieser Begeisterung Eroberte bleibendes Eigen¬
thum werden soll. Die Sicilier müssen lernen, die Freiheit zu verstehen,
ihrer würdig zu werden. Garibaldi ist ein guter Lehrmeister dazu, der die
nöthige Energie besitzt, Widerstrebenden sein Beispiel aufzunöthigen. Immer¬
hin aber ist er nur ein einzelner Mann, und es wird nicht blos für das
Heer, sondern auch für die Civilverwaltung fortwährenden Zuflusses tüchtiger
Kräfte vom Norden bedürfen, wenn die erwähnten Übeln Eigenschaften der
Sicilier nicht das Feld behalten und damit alles Gewonnene in Frage stellen
sollen.




Brasilianische Waldmenschen.

Versetzen wir uns in einen der jungfräulichen Urwälder, welche die
Niederlassungen unserer Stammgenossen in Nordbrasilien umdüstern. Die
mächtigste Entwickelung der Vegetation, unendlich reich an Farben und Formen,
maßlos mannigfaltig nach unsern europäischen Vorstellungen umgibt uns.
Am mühsam durch das Dickicht gehauenen Pfade rechts und links im Halb¬
dunkel ein blühendes Gehege von Mimosen und solaren, Smilax, Malven
und Passifloren. Dahinter der Hochwald, Baumschaft an Baumschaft, ge¬
waltige Säulen, rauh von Rinde, aber vollkommen walzenrund, sechzig bis
siebzig Fuß emporsteigend ohne Ast, gerade und schlank wie eine Kerze: die
riesige Sapucaya, der wunderbar geformte Barrigudo mit seiner bauchigen
Basis, seinen in Zwischenräumen von einigen Ellen wiederkehrenden Ring¬
knoten, die dem Stamme das Ansehen eines von Ringen umgebenen Schisfs-
masts geben, und seiner winzigen Krone, die wie der Wimpel dieses Maseh
erscheint, und zahllose andere theils ungeschlachte, theils anmuthige Gebilde
der Pflanzenwelt. An den Stämmen klettern Schlingkrüuter mit prächtigen


man nicht lange gereicht haben, wenn die Neapolitaner nicht wieder die Ober¬
hand gewonnen hätten.

Aehnliche Uebelstände können auch jetzt sich geltend machen, wenn Sicilien
lange sich selbst überlassen bleibt. Wir wenigstens sehen nicht ein, warum
das Volk sich geändert haben sollte. Die rasch auflodernde Begeisterung hält
nicht lange vor. Politische Bildung und vor allem das Gefühl der Pflicht
muß hinzutreten, wenn das von dieser Begeisterung Eroberte bleibendes Eigen¬
thum werden soll. Die Sicilier müssen lernen, die Freiheit zu verstehen,
ihrer würdig zu werden. Garibaldi ist ein guter Lehrmeister dazu, der die
nöthige Energie besitzt, Widerstrebenden sein Beispiel aufzunöthigen. Immer¬
hin aber ist er nur ein einzelner Mann, und es wird nicht blos für das
Heer, sondern auch für die Civilverwaltung fortwährenden Zuflusses tüchtiger
Kräfte vom Norden bedürfen, wenn die erwähnten Übeln Eigenschaften der
Sicilier nicht das Feld behalten und damit alles Gewonnene in Frage stellen
sollen.




Brasilianische Waldmenschen.

Versetzen wir uns in einen der jungfräulichen Urwälder, welche die
Niederlassungen unserer Stammgenossen in Nordbrasilien umdüstern. Die
mächtigste Entwickelung der Vegetation, unendlich reich an Farben und Formen,
maßlos mannigfaltig nach unsern europäischen Vorstellungen umgibt uns.
Am mühsam durch das Dickicht gehauenen Pfade rechts und links im Halb¬
dunkel ein blühendes Gehege von Mimosen und solaren, Smilax, Malven
und Passifloren. Dahinter der Hochwald, Baumschaft an Baumschaft, ge¬
waltige Säulen, rauh von Rinde, aber vollkommen walzenrund, sechzig bis
siebzig Fuß emporsteigend ohne Ast, gerade und schlank wie eine Kerze: die
riesige Sapucaya, der wunderbar geformte Barrigudo mit seiner bauchigen
Basis, seinen in Zwischenräumen von einigen Ellen wiederkehrenden Ring¬
knoten, die dem Stamme das Ansehen eines von Ringen umgebenen Schisfs-
masts geben, und seiner winzigen Krone, die wie der Wimpel dieses Maseh
erscheint, und zahllose andere theils ungeschlachte, theils anmuthige Gebilde
der Pflanzenwelt. An den Stämmen klettern Schlingkrüuter mit prächtigen


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[0072] man nicht lange gereicht haben, wenn die Neapolitaner nicht wieder die Ober¬ hand gewonnen hätten. Aehnliche Uebelstände können auch jetzt sich geltend machen, wenn Sicilien lange sich selbst überlassen bleibt. Wir wenigstens sehen nicht ein, warum das Volk sich geändert haben sollte. Die rasch auflodernde Begeisterung hält nicht lange vor. Politische Bildung und vor allem das Gefühl der Pflicht muß hinzutreten, wenn das von dieser Begeisterung Eroberte bleibendes Eigen¬ thum werden soll. Die Sicilier müssen lernen, die Freiheit zu verstehen, ihrer würdig zu werden. Garibaldi ist ein guter Lehrmeister dazu, der die nöthige Energie besitzt, Widerstrebenden sein Beispiel aufzunöthigen. Immer¬ hin aber ist er nur ein einzelner Mann, und es wird nicht blos für das Heer, sondern auch für die Civilverwaltung fortwährenden Zuflusses tüchtiger Kräfte vom Norden bedürfen, wenn die erwähnten Übeln Eigenschaften der Sicilier nicht das Feld behalten und damit alles Gewonnene in Frage stellen sollen. Brasilianische Waldmenschen. Versetzen wir uns in einen der jungfräulichen Urwälder, welche die Niederlassungen unserer Stammgenossen in Nordbrasilien umdüstern. Die mächtigste Entwickelung der Vegetation, unendlich reich an Farben und Formen, maßlos mannigfaltig nach unsern europäischen Vorstellungen umgibt uns. Am mühsam durch das Dickicht gehauenen Pfade rechts und links im Halb¬ dunkel ein blühendes Gehege von Mimosen und solaren, Smilax, Malven und Passifloren. Dahinter der Hochwald, Baumschaft an Baumschaft, ge¬ waltige Säulen, rauh von Rinde, aber vollkommen walzenrund, sechzig bis siebzig Fuß emporsteigend ohne Ast, gerade und schlank wie eine Kerze: die riesige Sapucaya, der wunderbar geformte Barrigudo mit seiner bauchigen Basis, seinen in Zwischenräumen von einigen Ellen wiederkehrenden Ring¬ knoten, die dem Stamme das Ansehen eines von Ringen umgebenen Schisfs- masts geben, und seiner winzigen Krone, die wie der Wimpel dieses Maseh erscheint, und zahllose andere theils ungeschlachte, theils anmuthige Gebilde der Pflanzenwelt. An den Stämmen klettern Schlingkrüuter mit prächtigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/72>, abgerufen am 01.05.2024.