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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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schneidender Weise alles ab. was Leibnitz, Molanus und Spinola unter einan¬
der ausgemacht hatten. Die Diplomatie trat vor der Dogmatik zurück. Was
soll, fragte Bossuet, eine vorläufige Kircheneinigung, wenn man über die
Hauptpunkte uneins ist? wie können die Protestanten den Papst als geistlichen
Richter anerkennen, so lange sie mit ihm über den Glauben im Streit liegen?
Mit der Union anfangen, um nachher die streitigen Punkte zu prüfen, heißt
Ordnung und Vernunft auf den Kopf stellen. In Bezug auf das Tridentiner
Concil könne die Kirche nicht nachgeben; wer also die Beschlüsse desselben nicht
anerkennt, ist nicht blos materieller Ketzer, wie Leibnitz meint, sondern formaler
d. h. halsstarriger Ketzer, und kann nicht zur Kirche gehören. Eine Einigung
mit gegenseitiger Nachgiebigkeit zerstöre den Zusammenhang des Ganzen! die
Lutheraner sollten sich über die dogmatischen Ideen von Molanus, die viel
Lobcnswcrthes enthalten, einigen, und dieselben baten zur weitern Entschei¬
dung dem Papst vorlegen. Alles Näsonniren helfe nichts, in Glaubenssachen
müsse man, um klar zu sehn, die Augen schließen. Diesmal werden Sie
nicht sagen, schreibt der Bischof etwas spöttisch an Leibnitz, daß der Dunst
der Beredtsamkeit die Sachen verhüllt. -- Die Protestanten möchten unter dem
Vorwand der Einfachheit alle Geheimnisse aus dem Christenthum ausmerzen,
welche sie abstract und metaphysisch nennen, und es auf "populäre Wahrheiten"
zurückführen. Diese Geheimnisse sind aber die Hauptsache, und die Einfachheit
besteht nur darin, die apokryphischen von den authentischen zu sondern. Dies
geschieht nach einer unwandelbaren und untrüglichen Regel: Irisr on ero^it,
airisi; äoire aujoui'ä'uni it kg.ut eroii'ö Ac weine. Nach diesem Grundsatz hat
die Kirche stets entschieden; wer sich ihren Entscheidungen nicht sügt, sagt sich
vom Christenthum los. -- Ist das einfach? ist das klar?

Rund und nett! antwortet Leibnitz 1. Oct.; aber anch richtig? haben
die Concilien immer nur das als giltig sanctionirt, was gestern galt? bestand
ihre Hauptthätigkeit nicht darin, neue Dogmen zu finden? Was gestern galt
soll heute gelten; aber wie ist es mit vorgestern? Darf man immer nur das
neueste canonisiren? Das ist ja der von Christus widerlegte Grundsatz der
Pharisäer! -- Gegen Pellisson beklagte sich Leibnitz bitter über des Bischofs
UnHöflichkeit, da sie doch immer in so guten Formen verkehrt, -- Es thut
mir herzlich leid, antwortet Bossuet 27. Den., ich schütze Leibnitz als Geometer.
Mediciner u. s. w. außerordentlich hoch; aber er hat-mir eine bestimmte Frage
vorgelegt, und ich mußte ihm eine bestimmte Antwort geben, nach Einsicht
und Gewissen: wenn er sich dem Concil nicht unterwirst, so ist er ein hals-
starriger Ketzer. Jede beschönigende Ausflucht wäre unser beider unwürdig
gewesen. -- Uebrigens ist ja noch nichts verloren: eure Principien sind ganz
richtig; zieht die richtigen Folgerungen daraus, und ihr seid katholisch. --

Dem französischen Prälaten lag nichts daran, die theologische Frage aus


I

schneidender Weise alles ab. was Leibnitz, Molanus und Spinola unter einan¬
der ausgemacht hatten. Die Diplomatie trat vor der Dogmatik zurück. Was
soll, fragte Bossuet, eine vorläufige Kircheneinigung, wenn man über die
Hauptpunkte uneins ist? wie können die Protestanten den Papst als geistlichen
Richter anerkennen, so lange sie mit ihm über den Glauben im Streit liegen?
Mit der Union anfangen, um nachher die streitigen Punkte zu prüfen, heißt
Ordnung und Vernunft auf den Kopf stellen. In Bezug auf das Tridentiner
Concil könne die Kirche nicht nachgeben; wer also die Beschlüsse desselben nicht
anerkennt, ist nicht blos materieller Ketzer, wie Leibnitz meint, sondern formaler
d. h. halsstarriger Ketzer, und kann nicht zur Kirche gehören. Eine Einigung
mit gegenseitiger Nachgiebigkeit zerstöre den Zusammenhang des Ganzen! die
Lutheraner sollten sich über die dogmatischen Ideen von Molanus, die viel
Lobcnswcrthes enthalten, einigen, und dieselben baten zur weitern Entschei¬
dung dem Papst vorlegen. Alles Näsonniren helfe nichts, in Glaubenssachen
müsse man, um klar zu sehn, die Augen schließen. Diesmal werden Sie
nicht sagen, schreibt der Bischof etwas spöttisch an Leibnitz, daß der Dunst
der Beredtsamkeit die Sachen verhüllt. — Die Protestanten möchten unter dem
Vorwand der Einfachheit alle Geheimnisse aus dem Christenthum ausmerzen,
welche sie abstract und metaphysisch nennen, und es auf „populäre Wahrheiten"
zurückführen. Diese Geheimnisse sind aber die Hauptsache, und die Einfachheit
besteht nur darin, die apokryphischen von den authentischen zu sondern. Dies
geschieht nach einer unwandelbaren und untrüglichen Regel: Irisr on ero^it,
airisi; äoire aujoui'ä'uni it kg.ut eroii'ö Ac weine. Nach diesem Grundsatz hat
die Kirche stets entschieden; wer sich ihren Entscheidungen nicht sügt, sagt sich
vom Christenthum los. — Ist das einfach? ist das klar?

Rund und nett! antwortet Leibnitz 1. Oct.; aber anch richtig? haben
die Concilien immer nur das als giltig sanctionirt, was gestern galt? bestand
ihre Hauptthätigkeit nicht darin, neue Dogmen zu finden? Was gestern galt
soll heute gelten; aber wie ist es mit vorgestern? Darf man immer nur das
neueste canonisiren? Das ist ja der von Christus widerlegte Grundsatz der
Pharisäer! — Gegen Pellisson beklagte sich Leibnitz bitter über des Bischofs
UnHöflichkeit, da sie doch immer in so guten Formen verkehrt, — Es thut
mir herzlich leid, antwortet Bossuet 27. Den., ich schütze Leibnitz als Geometer.
Mediciner u. s. w. außerordentlich hoch; aber er hat-mir eine bestimmte Frage
vorgelegt, und ich mußte ihm eine bestimmte Antwort geben, nach Einsicht
und Gewissen: wenn er sich dem Concil nicht unterwirst, so ist er ein hals-
starriger Ketzer. Jede beschönigende Ausflucht wäre unser beider unwürdig
gewesen. — Uebrigens ist ja noch nichts verloren: eure Principien sind ganz
richtig; zieht die richtigen Folgerungen daraus, und ihr seid katholisch. —

Dem französischen Prälaten lag nichts daran, die theologische Frage aus


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[0192] schneidender Weise alles ab. was Leibnitz, Molanus und Spinola unter einan¬ der ausgemacht hatten. Die Diplomatie trat vor der Dogmatik zurück. Was soll, fragte Bossuet, eine vorläufige Kircheneinigung, wenn man über die Hauptpunkte uneins ist? wie können die Protestanten den Papst als geistlichen Richter anerkennen, so lange sie mit ihm über den Glauben im Streit liegen? Mit der Union anfangen, um nachher die streitigen Punkte zu prüfen, heißt Ordnung und Vernunft auf den Kopf stellen. In Bezug auf das Tridentiner Concil könne die Kirche nicht nachgeben; wer also die Beschlüsse desselben nicht anerkennt, ist nicht blos materieller Ketzer, wie Leibnitz meint, sondern formaler d. h. halsstarriger Ketzer, und kann nicht zur Kirche gehören. Eine Einigung mit gegenseitiger Nachgiebigkeit zerstöre den Zusammenhang des Ganzen! die Lutheraner sollten sich über die dogmatischen Ideen von Molanus, die viel Lobcnswcrthes enthalten, einigen, und dieselben baten zur weitern Entschei¬ dung dem Papst vorlegen. Alles Näsonniren helfe nichts, in Glaubenssachen müsse man, um klar zu sehn, die Augen schließen. Diesmal werden Sie nicht sagen, schreibt der Bischof etwas spöttisch an Leibnitz, daß der Dunst der Beredtsamkeit die Sachen verhüllt. — Die Protestanten möchten unter dem Vorwand der Einfachheit alle Geheimnisse aus dem Christenthum ausmerzen, welche sie abstract und metaphysisch nennen, und es auf „populäre Wahrheiten" zurückführen. Diese Geheimnisse sind aber die Hauptsache, und die Einfachheit besteht nur darin, die apokryphischen von den authentischen zu sondern. Dies geschieht nach einer unwandelbaren und untrüglichen Regel: Irisr on ero^it, airisi; äoire aujoui'ä'uni it kg.ut eroii'ö Ac weine. Nach diesem Grundsatz hat die Kirche stets entschieden; wer sich ihren Entscheidungen nicht sügt, sagt sich vom Christenthum los. — Ist das einfach? ist das klar? Rund und nett! antwortet Leibnitz 1. Oct.; aber anch richtig? haben die Concilien immer nur das als giltig sanctionirt, was gestern galt? bestand ihre Hauptthätigkeit nicht darin, neue Dogmen zu finden? Was gestern galt soll heute gelten; aber wie ist es mit vorgestern? Darf man immer nur das neueste canonisiren? Das ist ja der von Christus widerlegte Grundsatz der Pharisäer! — Gegen Pellisson beklagte sich Leibnitz bitter über des Bischofs UnHöflichkeit, da sie doch immer in so guten Formen verkehrt, — Es thut mir herzlich leid, antwortet Bossuet 27. Den., ich schütze Leibnitz als Geometer. Mediciner u. s. w. außerordentlich hoch; aber er hat-mir eine bestimmte Frage vorgelegt, und ich mußte ihm eine bestimmte Antwort geben, nach Einsicht und Gewissen: wenn er sich dem Concil nicht unterwirst, so ist er ein hals- starriger Ketzer. Jede beschönigende Ausflucht wäre unser beider unwürdig gewesen. — Uebrigens ist ja noch nichts verloren: eure Principien sind ganz richtig; zieht die richtigen Folgerungen daraus, und ihr seid katholisch. — Dem französischen Prälaten lag nichts daran, die theologische Frage aus I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/192>, abgerufen am 04.05.2024.