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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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feige. die über Furcht wie über Hoffnung hinaus sind. Sie thun's auch,
jedenfalls sind sie besser als der windige Kellnertroß des Hotels.




Die neue Verfassung Oestreichs.

So weit im Urtheil über die neue Verfassung die Interessen und Wünsche der
einzelnen Provinzen von einander abweichen mögen, in einem Punkt werben sie einig
sein, daß durch das kaiserliche Diplom vom 21. October die Zukunft Oestreichs ent¬
scheidend und unabänderlich festgestellt ist. Es ist ein Schritt, durch den in unum¬
wundenster Weise mit dem System der letzten zwölf Jahre gebrochen wird; ein
Schritt, der, welches auch die Folgen sein mögen, nicht mehr zurückgethan werden
kann.

Unser eignes Urtheil haben wir bereits im Voraus bestimmt, als wir uns für
das Majoritätsvotum des verstärkten Neichsraths aussprachen, welches in der That
die Grundlage der neuen Verfassung geworden ist. Zwei wiener Blätter haben
darüber gestritten, ob wir es ernst oder ironisch meinten. Wir haben es vollkommen
ernst gemeint. Nach unsrer Ueberzeugung ging Oestreich aus dem bisherigen Wege un¬
rettbar einem schleunigen Untergang entgegen- gerettet konnte es nur werden, wenn
es das Unternehmen aufgab, gegen die Nationen, aus denen der Staat zusammen¬
gesetzt ist, zu regieren, und statt dessen den Versuch machte, durch diese Nationen zu
regieren. Oestreich ist durch seine Lage wie durch seine Geschichte zu,einem Fvdcrativ-
staat bestimmt: daß diese Staatsform keineswegs mit Nothwendigkeit eine Schwächung
der Monarchie in sich schließt, zeigt die glorreiche Periode Maria Theresias.

Freilich sind im gegenwärtigen Augenblick in Bezug auf eine solche Staatsform
die Ungarn in einer ungleich günstigern Lage als die übrigen Kronländer; sie haben
eine alte Verfassung, aus der man weiter bauen kann, die andern nicht. Wir be¬
greisen vollkommen, daß die Deutschen in Oestreich diesen Nachtheil ihrer Stellung
mit Verdruß empfinden; aber sie thun Unrecht, diesen Verdruß zum Maßstab ihrer
politischen Haltung zu machen. Die liberalen Oestreicher oder vielmehr die Wiener
gerathen dadurch in die größte Gefahr, überall den Feinden der Freiheit in die Hand
zu arbeiten. Als wir uns 1849 in Deutschland constituiren wollten, schrien sie uns
zu: ihr dürft nicht! denn wir können an eurer neuen Freiheit keinen Theil nehmen.
Als die Italiener nach Gründung eines nationalen Staats strebten, schrien sie ihnen
wieder zu-, ihr dürft nicht, denn Wien leidet darunter. Dasselbe Argument wird jetz


feige. die über Furcht wie über Hoffnung hinaus sind. Sie thun's auch,
jedenfalls sind sie besser als der windige Kellnertroß des Hotels.




Die neue Verfassung Oestreichs.

So weit im Urtheil über die neue Verfassung die Interessen und Wünsche der
einzelnen Provinzen von einander abweichen mögen, in einem Punkt werben sie einig
sein, daß durch das kaiserliche Diplom vom 21. October die Zukunft Oestreichs ent¬
scheidend und unabänderlich festgestellt ist. Es ist ein Schritt, durch den in unum¬
wundenster Weise mit dem System der letzten zwölf Jahre gebrochen wird; ein
Schritt, der, welches auch die Folgen sein mögen, nicht mehr zurückgethan werden
kann.

Unser eignes Urtheil haben wir bereits im Voraus bestimmt, als wir uns für
das Majoritätsvotum des verstärkten Neichsraths aussprachen, welches in der That
die Grundlage der neuen Verfassung geworden ist. Zwei wiener Blätter haben
darüber gestritten, ob wir es ernst oder ironisch meinten. Wir haben es vollkommen
ernst gemeint. Nach unsrer Ueberzeugung ging Oestreich aus dem bisherigen Wege un¬
rettbar einem schleunigen Untergang entgegen- gerettet konnte es nur werden, wenn
es das Unternehmen aufgab, gegen die Nationen, aus denen der Staat zusammen¬
gesetzt ist, zu regieren, und statt dessen den Versuch machte, durch diese Nationen zu
regieren. Oestreich ist durch seine Lage wie durch seine Geschichte zu,einem Fvdcrativ-
staat bestimmt: daß diese Staatsform keineswegs mit Nothwendigkeit eine Schwächung
der Monarchie in sich schließt, zeigt die glorreiche Periode Maria Theresias.

Freilich sind im gegenwärtigen Augenblick in Bezug auf eine solche Staatsform
die Ungarn in einer ungleich günstigern Lage als die übrigen Kronländer; sie haben
eine alte Verfassung, aus der man weiter bauen kann, die andern nicht. Wir be¬
greisen vollkommen, daß die Deutschen in Oestreich diesen Nachtheil ihrer Stellung
mit Verdruß empfinden; aber sie thun Unrecht, diesen Verdruß zum Maßstab ihrer
politischen Haltung zu machen. Die liberalen Oestreicher oder vielmehr die Wiener
gerathen dadurch in die größte Gefahr, überall den Feinden der Freiheit in die Hand
zu arbeiten. Als wir uns 1849 in Deutschland constituiren wollten, schrien sie uns
zu: ihr dürft nicht! denn wir können an eurer neuen Freiheit keinen Theil nehmen.
Als die Italiener nach Gründung eines nationalen Staats strebten, schrien sie ihnen
wieder zu-, ihr dürft nicht, denn Wien leidet darunter. Dasselbe Argument wird jetz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/210>, abgerufen am 03.05.2024.