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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Fähnlein der sieben Aufrechten." Auch sonst enthält der Kalender lesenswerthe Bei¬
träge von namhaften Mitarbeitern, Einer davon, von Karl Andres, hat uns
überrascht; die Franzoscnfrcsscrei wollen wir hingehn lassen, denn diese liegt in der
Strömung der Zeit, auch Sätze wie der folgende: "der Sympathiemichcl ist der wider¬
wärtigste von allen. Für ein Volk gibt es nur eine einzige Politik," nämlich die
Interessen des eignen Landes u. s. w, (Wenn man nur die wirklichen Interessen
kennt!) Aber weniger duldsam können wir sein, wenn wir hören (S. 131): "Bis zu
den heillosen und wahnwitzigen Kriegen um kirchliche Lehrmeinungen war Deutsch-
land die vorwaltende Macht in Europa. Als die innern Kämpfe um Glaubenssätze
begannen, über deren Richtigkeit oder Falschheit endgiltig abzuurtheilen keinem Men¬
schen gegeben ist, begann der Verfall," "Heillos und wahnwitzig" war das Unter¬
fangen Kaiser Ferdinands des Zweiten, die Glaubensfreiheit zu unterdrücken und
Deutschland wieder dem Joch der Jesuiten zu unterwerfen; aber nicht heillos und
wahnwitzig, sondern sehr vernünftig und'gerecht war der Widerstand der Protestanten,
dem wir die ganze Blüte unsres geistigen Lebens von 1750--1805 verdanken, dem
wir verdanken, daß wenigstens ein Theil unsres Vaterlandes von dem dumpfen Druck
gerettet wurde, dem der andere unterlag, -- Der Kampf galt gar nicht blos den
Glaubenssätzen, sondern hauptsächlich dem sittlichen Leben. -- In welchem Compen-
dium hat denn der Verfasser gelernt, daß Deutschland im vierzehnten und fünfzehn¬
ten Jahrhundert die "vorwaltende Macht in Europa" war? Wenn Auerbach wirklich
mit seinem Kalender das Volk bilden will, so sollte er dafür sorgen, daß dergleichen
nicht wieder vorkommt.


Trewendt's Volkskalendcr,

Siebzehnter Jahrgang (Breslau, Trewendt)
entspricht seinem alten guten Ruf; besonders angesprochen hat uns eine Skizze
von Höfer und ein schlesisches Gedicht von Holtei. -- Ein historischer
Roman: Angelika Kaufmann, 2 Bd. (Frankfurt ni. M., Sauerländcr) beruht
auf tüchtigen Studien und ist sehr gut geschrieben; der Geniecultus hätte ein wenig
gemäßigt werden können. -- Diana und Endymion von Natalis Victor
(Frankfurt a. M., literarische Anstalt), Salonstück, aber mit gesunder Tendenz; einiges
sogar recht fein charakterisirt. -- Von Ziegler's Nondum (Erzählungen im Sinn
deS politischen Fortschritts) ist der zweite Theil erschienen (Berlin, David). --
Golo Raimund's Novellen, von uns theilweise schon besprochen, erscheinen in
zweiter sehr wohlfeiler Ausgabe (4 Bd., Hannover, Nümpler: Zwei Bräute; der Tauf¬
schein; ein Familicnschmuck; Liebesfrcud und Liebesleid; Gebrüder Spalding; aus
dem Bauernleben; ein deutsches Weib; bürgerlich Blut; kein Vertrauen). -- Noch
sind zu erwähnen: Religion und Liebe, Roman aus dem Tagebuch eines Ano¬
nymen (Hamburg, Hoffmann und Comp.) und der letzte Mönch, eine Schwarz¬
waldsage vom Verfasser des Eckmann (Tübingen, Riecker). --




Fähnlein der sieben Aufrechten." Auch sonst enthält der Kalender lesenswerthe Bei¬
träge von namhaften Mitarbeitern, Einer davon, von Karl Andres, hat uns
überrascht; die Franzoscnfrcsscrei wollen wir hingehn lassen, denn diese liegt in der
Strömung der Zeit, auch Sätze wie der folgende: „der Sympathiemichcl ist der wider¬
wärtigste von allen. Für ein Volk gibt es nur eine einzige Politik," nämlich die
Interessen des eignen Landes u. s. w, (Wenn man nur die wirklichen Interessen
kennt!) Aber weniger duldsam können wir sein, wenn wir hören (S. 131): „Bis zu
den heillosen und wahnwitzigen Kriegen um kirchliche Lehrmeinungen war Deutsch-
land die vorwaltende Macht in Europa. Als die innern Kämpfe um Glaubenssätze
begannen, über deren Richtigkeit oder Falschheit endgiltig abzuurtheilen keinem Men¬
schen gegeben ist, begann der Verfall," „Heillos und wahnwitzig" war das Unter¬
fangen Kaiser Ferdinands des Zweiten, die Glaubensfreiheit zu unterdrücken und
Deutschland wieder dem Joch der Jesuiten zu unterwerfen; aber nicht heillos und
wahnwitzig, sondern sehr vernünftig und'gerecht war der Widerstand der Protestanten,
dem wir die ganze Blüte unsres geistigen Lebens von 1750—1805 verdanken, dem
wir verdanken, daß wenigstens ein Theil unsres Vaterlandes von dem dumpfen Druck
gerettet wurde, dem der andere unterlag, — Der Kampf galt gar nicht blos den
Glaubenssätzen, sondern hauptsächlich dem sittlichen Leben. — In welchem Compen-
dium hat denn der Verfasser gelernt, daß Deutschland im vierzehnten und fünfzehn¬
ten Jahrhundert die „vorwaltende Macht in Europa" war? Wenn Auerbach wirklich
mit seinem Kalender das Volk bilden will, so sollte er dafür sorgen, daß dergleichen
nicht wieder vorkommt.


Trewendt's Volkskalendcr,

Siebzehnter Jahrgang (Breslau, Trewendt)
entspricht seinem alten guten Ruf; besonders angesprochen hat uns eine Skizze
von Höfer und ein schlesisches Gedicht von Holtei. — Ein historischer
Roman: Angelika Kaufmann, 2 Bd. (Frankfurt ni. M., Sauerländcr) beruht
auf tüchtigen Studien und ist sehr gut geschrieben; der Geniecultus hätte ein wenig
gemäßigt werden können. — Diana und Endymion von Natalis Victor
(Frankfurt a. M., literarische Anstalt), Salonstück, aber mit gesunder Tendenz; einiges
sogar recht fein charakterisirt. — Von Ziegler's Nondum (Erzählungen im Sinn
deS politischen Fortschritts) ist der zweite Theil erschienen (Berlin, David). —
Golo Raimund's Novellen, von uns theilweise schon besprochen, erscheinen in
zweiter sehr wohlfeiler Ausgabe (4 Bd., Hannover, Nümpler: Zwei Bräute; der Tauf¬
schein; ein Familicnschmuck; Liebesfrcud und Liebesleid; Gebrüder Spalding; aus
dem Bauernleben; ein deutsches Weib; bürgerlich Blut; kein Vertrauen). — Noch
sind zu erwähnen: Religion und Liebe, Roman aus dem Tagebuch eines Ano¬
nymen (Hamburg, Hoffmann und Comp.) und der letzte Mönch, eine Schwarz¬
waldsage vom Verfasser des Eckmann (Tübingen, Riecker). —




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/249>, abgerufen am 03.05.2024.