Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Scene, um so leidenschaftlicher die Geberden, um so höllischer der Lärm.
Aus den engen Nebengäßchen brachen ganze Schwärme von verdächtigen
Frauenzimmern mit Dolchen und Pistolen bewaffnet hervor und bahnten sich
mit kreischenden Geschrei ihren Weg, die Pikenmänner, jetzt von schmutzigen
Mönchen mit Fackeln begleitet, erschienen ebenfalls wieder -- die wüthende
Ertase, welche sich in Mienen, Gesten und Schreien ausdrückte, hätte mich in
Lebcnsangst gesetzt, wenn dies Volk, anstatt Maccaroni zu essen, der nordischen
Passion des Trinkens huldigte. Dennoch war ich froh, als ich ohne Schaden
meine Wohnung wieder erreichte.

Garibaldi hat, wie früher in Calabrien, so auch hier die sämmtlichen
Beamten in ihren Würden bestätigt. Romano hatte ja schon als constitutio-
neller Minister Sorge getragen, überall nur Garibaldianer anzustellen. Der
Uebergang von der legitimen zur revolutionären Regierung ist also ein fast
unmerklicher gewesen. Einige Cavouristen sind sogar verhaftet worden, d. h..
es soll kein Pnrteiwesen geduldet werden. Indessen haben viele wohlhabende
Familien die Stadt verlassen, die Gasthöfe sind leer, der Handel liegt dar¬
nieder und an hohen Contributionen wird es nicht fehlen. Ob die Neapoli¬
taner auf die Dauer zufriedener mit der Regierung ihres magnanimo Dittatore
sein werden, als es die Sicilianer zu sein scheinen, das wird sich in wenigen
G. R. Monaten entscheiden.




Die östreichischen Berfaffungsprogramme.

Mehr als zwölf Jahre sind dahingegangen, seit
Oestreich in die Verfassungswehen trat. Der unmittelbare Anstoß mag ein
äußerer gewesen sein, der Grund lag tiefer. Die absolute Monarchie ist nur
so lange möglich, als die Kräfte, welche den Staat ausmachen, nicht zu jenem
Grade des Selbstbewußtseins und der Intelligenz gediehen sind, der sie befähigt
ihre Handlungen zu prüfen und über ihre Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Man
kann die Cultur eines Volkes Jahrhunderte lang gegen außen absperren, zurück¬
halten, unterdrücken, der Strom der Zeit durchbricht am Ende jeden künstlichen
Damm, ein Paraguay ist aus die Dauer unmöglich, zumal im Herzen Euro¬
pa's. Der Zwischenfall, daß ein schlauer Despot auf eine intelligente Nation


Scene, um so leidenschaftlicher die Geberden, um so höllischer der Lärm.
Aus den engen Nebengäßchen brachen ganze Schwärme von verdächtigen
Frauenzimmern mit Dolchen und Pistolen bewaffnet hervor und bahnten sich
mit kreischenden Geschrei ihren Weg, die Pikenmänner, jetzt von schmutzigen
Mönchen mit Fackeln begleitet, erschienen ebenfalls wieder — die wüthende
Ertase, welche sich in Mienen, Gesten und Schreien ausdrückte, hätte mich in
Lebcnsangst gesetzt, wenn dies Volk, anstatt Maccaroni zu essen, der nordischen
Passion des Trinkens huldigte. Dennoch war ich froh, als ich ohne Schaden
meine Wohnung wieder erreichte.

Garibaldi hat, wie früher in Calabrien, so auch hier die sämmtlichen
Beamten in ihren Würden bestätigt. Romano hatte ja schon als constitutio-
neller Minister Sorge getragen, überall nur Garibaldianer anzustellen. Der
Uebergang von der legitimen zur revolutionären Regierung ist also ein fast
unmerklicher gewesen. Einige Cavouristen sind sogar verhaftet worden, d. h..
es soll kein Pnrteiwesen geduldet werden. Indessen haben viele wohlhabende
Familien die Stadt verlassen, die Gasthöfe sind leer, der Handel liegt dar¬
nieder und an hohen Contributionen wird es nicht fehlen. Ob die Neapoli¬
taner auf die Dauer zufriedener mit der Regierung ihres magnanimo Dittatore
sein werden, als es die Sicilianer zu sein scheinen, das wird sich in wenigen
G. R. Monaten entscheiden.




Die östreichischen Berfaffungsprogramme.

Mehr als zwölf Jahre sind dahingegangen, seit
Oestreich in die Verfassungswehen trat. Der unmittelbare Anstoß mag ein
äußerer gewesen sein, der Grund lag tiefer. Die absolute Monarchie ist nur
so lange möglich, als die Kräfte, welche den Staat ausmachen, nicht zu jenem
Grade des Selbstbewußtseins und der Intelligenz gediehen sind, der sie befähigt
ihre Handlungen zu prüfen und über ihre Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Man
kann die Cultur eines Volkes Jahrhunderte lang gegen außen absperren, zurück¬
halten, unterdrücken, der Strom der Zeit durchbricht am Ende jeden künstlichen
Damm, ein Paraguay ist aus die Dauer unmöglich, zumal im Herzen Euro¬
pa's. Der Zwischenfall, daß ein schlauer Despot auf eine intelligente Nation


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0044" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110392"/>
          <p xml:id="ID_94" prev="#ID_93"> Scene, um so leidenschaftlicher die Geberden, um so höllischer der Lärm.<lb/>
Aus den engen Nebengäßchen brachen ganze Schwärme von verdächtigen<lb/>
Frauenzimmern mit Dolchen und Pistolen bewaffnet hervor und bahnten sich<lb/>
mit kreischenden Geschrei ihren Weg, die Pikenmänner, jetzt von schmutzigen<lb/>
Mönchen mit Fackeln begleitet, erschienen ebenfalls wieder &#x2014; die wüthende<lb/>
Ertase, welche sich in Mienen, Gesten und Schreien ausdrückte, hätte mich in<lb/>
Lebcnsangst gesetzt, wenn dies Volk, anstatt Maccaroni zu essen, der nordischen<lb/>
Passion des Trinkens huldigte. Dennoch war ich froh, als ich ohne Schaden<lb/>
meine Wohnung wieder erreichte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_95"> Garibaldi hat, wie früher in Calabrien, so auch hier die sämmtlichen<lb/>
Beamten in ihren Würden bestätigt. Romano hatte ja schon als constitutio-<lb/>
neller Minister Sorge getragen, überall nur Garibaldianer anzustellen. Der<lb/>
Uebergang von der legitimen zur revolutionären Regierung ist also ein fast<lb/>
unmerklicher gewesen. Einige Cavouristen sind sogar verhaftet worden, d. h..<lb/>
es soll kein Pnrteiwesen geduldet werden. Indessen haben viele wohlhabende<lb/>
Familien die Stadt verlassen, die Gasthöfe sind leer, der Handel liegt dar¬<lb/>
nieder und an hohen Contributionen wird es nicht fehlen. Ob die Neapoli¬<lb/>
taner auf die Dauer zufriedener mit der Regierung ihres magnanimo Dittatore<lb/>
sein werden, als es die Sicilianer zu sein scheinen, das wird sich in wenigen<lb/><note type="byline"> G. R.</note> Monaten entscheiden. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die östreichischen Berfaffungsprogramme.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_96" next="#ID_97"> Mehr als zwölf Jahre sind dahingegangen, seit<lb/>
Oestreich in die Verfassungswehen trat. Der unmittelbare Anstoß mag ein<lb/>
äußerer gewesen sein, der Grund lag tiefer. Die absolute Monarchie ist nur<lb/>
so lange möglich, als die Kräfte, welche den Staat ausmachen, nicht zu jenem<lb/>
Grade des Selbstbewußtseins und der Intelligenz gediehen sind, der sie befähigt<lb/>
ihre Handlungen zu prüfen und über ihre Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Man<lb/>
kann die Cultur eines Volkes Jahrhunderte lang gegen außen absperren, zurück¬<lb/>
halten, unterdrücken, der Strom der Zeit durchbricht am Ende jeden künstlichen<lb/>
Damm, ein Paraguay ist aus die Dauer unmöglich, zumal im Herzen Euro¬<lb/>
pa's. Der Zwischenfall, daß ein schlauer Despot auf eine intelligente Nation</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0044] Scene, um so leidenschaftlicher die Geberden, um so höllischer der Lärm. Aus den engen Nebengäßchen brachen ganze Schwärme von verdächtigen Frauenzimmern mit Dolchen und Pistolen bewaffnet hervor und bahnten sich mit kreischenden Geschrei ihren Weg, die Pikenmänner, jetzt von schmutzigen Mönchen mit Fackeln begleitet, erschienen ebenfalls wieder — die wüthende Ertase, welche sich in Mienen, Gesten und Schreien ausdrückte, hätte mich in Lebcnsangst gesetzt, wenn dies Volk, anstatt Maccaroni zu essen, der nordischen Passion des Trinkens huldigte. Dennoch war ich froh, als ich ohne Schaden meine Wohnung wieder erreichte. Garibaldi hat, wie früher in Calabrien, so auch hier die sämmtlichen Beamten in ihren Würden bestätigt. Romano hatte ja schon als constitutio- neller Minister Sorge getragen, überall nur Garibaldianer anzustellen. Der Uebergang von der legitimen zur revolutionären Regierung ist also ein fast unmerklicher gewesen. Einige Cavouristen sind sogar verhaftet worden, d. h.. es soll kein Pnrteiwesen geduldet werden. Indessen haben viele wohlhabende Familien die Stadt verlassen, die Gasthöfe sind leer, der Handel liegt dar¬ nieder und an hohen Contributionen wird es nicht fehlen. Ob die Neapoli¬ taner auf die Dauer zufriedener mit der Regierung ihres magnanimo Dittatore sein werden, als es die Sicilianer zu sein scheinen, das wird sich in wenigen G. R. Monaten entscheiden. Die östreichischen Berfaffungsprogramme. Mehr als zwölf Jahre sind dahingegangen, seit Oestreich in die Verfassungswehen trat. Der unmittelbare Anstoß mag ein äußerer gewesen sein, der Grund lag tiefer. Die absolute Monarchie ist nur so lange möglich, als die Kräfte, welche den Staat ausmachen, nicht zu jenem Grade des Selbstbewußtseins und der Intelligenz gediehen sind, der sie befähigt ihre Handlungen zu prüfen und über ihre Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Man kann die Cultur eines Volkes Jahrhunderte lang gegen außen absperren, zurück¬ halten, unterdrücken, der Strom der Zeit durchbricht am Ende jeden künstlichen Damm, ein Paraguay ist aus die Dauer unmöglich, zumal im Herzen Euro¬ pa's. Der Zwischenfall, daß ein schlauer Despot auf eine intelligente Nation

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/44
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/44>, abgerufen am 04.05.2024.