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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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' mittlerweile Wind und Wetter geändert, auf eine Weisung des Justizministe¬
riums bis zum Urtheil zweiter Instanz seiner Haft entlassen.

Die Herren Bach und Rauscher mögen sich freuen, durch die Künste einer
Zwölfjährigen Leitung der öffentlichen Angelegenheiten in Oestreich so dienst¬
beflissene, gehorsame, so ..correcte" Werkzeuge ihres Willens herangebildet zu
haben. Es ist jammerschade, daß diese gottesfürchtigen Leute, denen wir Je-
suiten und Concordat verdanken, sich nicht durch ein zweites Jahrzehent hiel¬
ten. Verbesserte Schulen, eindringliche Kanzelvortrage, Vereine und Missionen
Hütten ein frömmeres Geschlecht erzogen. Leider blieb der Mittelstand, das be¬
wies er durch seine laute Entrüstung über solche Justiz und nun allenthalben
beim neuesten Umschwung der Dinge, solchdm Einfluß ferne. Kein Wun¬
der, daß jene heilige Schaar die ganze Macht ihrer salbungsvollen Rede ge¬
gen Schmerling aufbot, als ihn des Kaisers Vertrauen an seine Seite rief,
ihn, der trotz aller Ungunst der Zeiten seiner Ueberzeugung treu blieb, und
das Horazische "Im^planen t'an-loue ruinav" zu seinem Wahlspruch nahm. Wir
rufen unserm Vaterlande aus vollem Herzen ein freudiges Glückauf zu, daß
endlich statt seiner Feinde ein wackerer Freund an seinem Steuerruder sitzt.
Wir hoffen, daß er den verderblichen Bund mit Rom lösen und durch freie
Männer seiner Wahl eine neue Ordnung begründen wird. Ist aus zwölfjähri¬
ger Erfahrung die Ueberzeugung gewonnen, daß Jesuiten und Jesuitismus
uns nur an den Rand des Verderbens führen, dann sind Thränen und Blut
nicht umsonst geflossen, wir sind geborgen sür die Zukunft.




Friedrich Wilhelm der Vierte.

Es ist ein bedenkliches Unternehmen, sich jetzt über den Charakter des verstor¬
benen Königs aussprechen zu wollen: nicht blos der äußeren Rücksichten wegen, son¬
dern weil die Zeit noch kaum gekommen ist, daß wir ihm gegenüber die innere Un¬
befangenheit wahren. Mußte sein langes schweres Leiden jeden aufs Tiefste erschüt¬
tern, der ein Her/in der Brust hat, so ragen die politischen Verwicklungen der letzten
zwölf Jahre noch zu weit in unser gegenwärtiges Leben hinein, sie sind noch zu
stark mit Hoffnung und Sorge verknüpft.

Aber der König war eine zu hervortretende Erscheinung, und sein inneres
Leben hat jeden von uns wie ein Räthsel zu ausdauernd beschäftigt, als daß wir nicht
wenigstens den Versuch wagen sollten, uns in unsern Gedanken offen zu orientiren.

Zwei Vorurtheile möchten wir von vornherein wegräumen. Nach dem einen
hätte dem König ein leitendes Princip gefehlt; seine Politik sei von dem Drang des
Augenblicks bestimmt worden. Starke Schwankungen sind nicht wegzuläugnen. Oft


renzotenI. 1601. 15

' mittlerweile Wind und Wetter geändert, auf eine Weisung des Justizministe¬
riums bis zum Urtheil zweiter Instanz seiner Haft entlassen.

Die Herren Bach und Rauscher mögen sich freuen, durch die Künste einer
Zwölfjährigen Leitung der öffentlichen Angelegenheiten in Oestreich so dienst¬
beflissene, gehorsame, so ..correcte" Werkzeuge ihres Willens herangebildet zu
haben. Es ist jammerschade, daß diese gottesfürchtigen Leute, denen wir Je-
suiten und Concordat verdanken, sich nicht durch ein zweites Jahrzehent hiel¬
ten. Verbesserte Schulen, eindringliche Kanzelvortrage, Vereine und Missionen
Hütten ein frömmeres Geschlecht erzogen. Leider blieb der Mittelstand, das be¬
wies er durch seine laute Entrüstung über solche Justiz und nun allenthalben
beim neuesten Umschwung der Dinge, solchdm Einfluß ferne. Kein Wun¬
der, daß jene heilige Schaar die ganze Macht ihrer salbungsvollen Rede ge¬
gen Schmerling aufbot, als ihn des Kaisers Vertrauen an seine Seite rief,
ihn, der trotz aller Ungunst der Zeiten seiner Ueberzeugung treu blieb, und
das Horazische „Im^planen t'an-loue ruinav" zu seinem Wahlspruch nahm. Wir
rufen unserm Vaterlande aus vollem Herzen ein freudiges Glückauf zu, daß
endlich statt seiner Feinde ein wackerer Freund an seinem Steuerruder sitzt.
Wir hoffen, daß er den verderblichen Bund mit Rom lösen und durch freie
Männer seiner Wahl eine neue Ordnung begründen wird. Ist aus zwölfjähri¬
ger Erfahrung die Ueberzeugung gewonnen, daß Jesuiten und Jesuitismus
uns nur an den Rand des Verderbens führen, dann sind Thränen und Blut
nicht umsonst geflossen, wir sind geborgen sür die Zukunft.




Friedrich Wilhelm der Vierte.

Es ist ein bedenkliches Unternehmen, sich jetzt über den Charakter des verstor¬
benen Königs aussprechen zu wollen: nicht blos der äußeren Rücksichten wegen, son¬
dern weil die Zeit noch kaum gekommen ist, daß wir ihm gegenüber die innere Un¬
befangenheit wahren. Mußte sein langes schweres Leiden jeden aufs Tiefste erschüt¬
tern, der ein Her/in der Brust hat, so ragen die politischen Verwicklungen der letzten
zwölf Jahre noch zu weit in unser gegenwärtiges Leben hinein, sie sind noch zu
stark mit Hoffnung und Sorge verknüpft.

Aber der König war eine zu hervortretende Erscheinung, und sein inneres
Leben hat jeden von uns wie ein Räthsel zu ausdauernd beschäftigt, als daß wir nicht
wenigstens den Versuch wagen sollten, uns in unsern Gedanken offen zu orientiren.

Zwei Vorurtheile möchten wir von vornherein wegräumen. Nach dem einen
hätte dem König ein leitendes Princip gefehlt; seine Politik sei von dem Drang des
Augenblicks bestimmt worden. Starke Schwankungen sind nicht wegzuläugnen. Oft


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[0123] ' mittlerweile Wind und Wetter geändert, auf eine Weisung des Justizministe¬ riums bis zum Urtheil zweiter Instanz seiner Haft entlassen. Die Herren Bach und Rauscher mögen sich freuen, durch die Künste einer Zwölfjährigen Leitung der öffentlichen Angelegenheiten in Oestreich so dienst¬ beflissene, gehorsame, so ..correcte" Werkzeuge ihres Willens herangebildet zu haben. Es ist jammerschade, daß diese gottesfürchtigen Leute, denen wir Je- suiten und Concordat verdanken, sich nicht durch ein zweites Jahrzehent hiel¬ ten. Verbesserte Schulen, eindringliche Kanzelvortrage, Vereine und Missionen Hütten ein frömmeres Geschlecht erzogen. Leider blieb der Mittelstand, das be¬ wies er durch seine laute Entrüstung über solche Justiz und nun allenthalben beim neuesten Umschwung der Dinge, solchdm Einfluß ferne. Kein Wun¬ der, daß jene heilige Schaar die ganze Macht ihrer salbungsvollen Rede ge¬ gen Schmerling aufbot, als ihn des Kaisers Vertrauen an seine Seite rief, ihn, der trotz aller Ungunst der Zeiten seiner Ueberzeugung treu blieb, und das Horazische „Im^planen t'an-loue ruinav" zu seinem Wahlspruch nahm. Wir rufen unserm Vaterlande aus vollem Herzen ein freudiges Glückauf zu, daß endlich statt seiner Feinde ein wackerer Freund an seinem Steuerruder sitzt. Wir hoffen, daß er den verderblichen Bund mit Rom lösen und durch freie Männer seiner Wahl eine neue Ordnung begründen wird. Ist aus zwölfjähri¬ ger Erfahrung die Ueberzeugung gewonnen, daß Jesuiten und Jesuitismus uns nur an den Rand des Verderbens führen, dann sind Thränen und Blut nicht umsonst geflossen, wir sind geborgen sür die Zukunft. Friedrich Wilhelm der Vierte. Es ist ein bedenkliches Unternehmen, sich jetzt über den Charakter des verstor¬ benen Königs aussprechen zu wollen: nicht blos der äußeren Rücksichten wegen, son¬ dern weil die Zeit noch kaum gekommen ist, daß wir ihm gegenüber die innere Un¬ befangenheit wahren. Mußte sein langes schweres Leiden jeden aufs Tiefste erschüt¬ tern, der ein Her/in der Brust hat, so ragen die politischen Verwicklungen der letzten zwölf Jahre noch zu weit in unser gegenwärtiges Leben hinein, sie sind noch zu stark mit Hoffnung und Sorge verknüpft. Aber der König war eine zu hervortretende Erscheinung, und sein inneres Leben hat jeden von uns wie ein Räthsel zu ausdauernd beschäftigt, als daß wir nicht wenigstens den Versuch wagen sollten, uns in unsern Gedanken offen zu orientiren. Zwei Vorurtheile möchten wir von vornherein wegräumen. Nach dem einen hätte dem König ein leitendes Princip gefehlt; seine Politik sei von dem Drang des Augenblicks bestimmt worden. Starke Schwankungen sind nicht wegzuläugnen. Oft renzotenI. 1601. 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/123>, abgerufen am 05.05.2024.