Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwei verschollene Inseln.
)-,n
ilitM'üsI
Thule.

Interessant ist. zu verfolgen, wie der Kreis geographischen Wissens bei
den Alten sich allmälig erweiterte. In der Zeit der Rhapsoden, aus deren
Gesängen die Odyssee hervorging, war es nur ein kleiner sonniger Fleck, der
wenig mehr als das cigäische Meer mit seinen Inseln und Küsten umfaßte,
um denselben ein im Norden schmälerer, im Süden, Osten und Westen brei¬
terer Ring von halbhellen Gegenden, in denen einige ganz lichte und sichere
Punkte lagen, um diesen wieder dichter düsterer Nebel, wenig wirklicher als
das Nichts, darin fluthend und webend allerlei Seltsames und Ungeheures
von dämmernden Umrissen und schwankender Localitnt, Zwielichtsbildcr, halb
Hallucination, halb Gesehenes, Ahnungen, Götter, Riesen und Gespenster.

Man wußte von einem schroffen Felseneiland im Westen, wo König Aeo-
lus, der Vater der Winde, mit seinen zwölf Kindern einen Palast bewohnte
und, wenn nicht mit Erregung oder Beschwichtigung der Stürme beschäftigt,
mit Schmausen bei rauschender Musik die Zeit verbrachte. Seemannssagen gingen
von einer andern westlichen Insel, auf der das gvttentstammte Volk der Phäaken
in anmuthigen Gärten ein heiteres glanzvolles Dasein führte und zu ihnen
Verschlagene nach gastlicher Bewirthung auf Wundcrschifsen ohne Steuer und
Ruder in die Heimath zurückbrachte. Der sicilische Feuerberg gebar das un¬
heimliche Bild der Cyklopen, riesiger rußgeschwärztcr Schmiedegesellen, von
deren Hammerschlägen die Erde bebte. Aus Urwäldern über meerumbrandeten
Klippen traten in das Bereich d^er Schiffersage andere Graungestalten, ein¬
äugige Ziegenhirten von ungeheurem Leibesban, tiefer, weithinschallender
Stimme und greuelvoller Neigung zur Menschenfresserei. Man erzählte von
Meerengen mit'zusammenklappenden Felsen, dnrch welche kein Vogel, geschweige
ein Fahrzeug unverletzt hindnrchkam, von Strudeln, in denen blutlüsterne Un¬
geheuer aus schwarzem Höhlengeklüft vielköpfig und, langhälsig nach den Vor-
überruderndcn herausführen, von der verführerischen Tücke weiblicher Seedämo¬
nen, der schönen Jnselfec Circe, den mit Wundergesängen berauschenden Sirenen.
Man berichtete von einem Eiland eine Tagereise vom großen Aegyptosstrom,
auf welchem Proteus hauste, der alte Robbcuhirt. der kundige Meeresgreis,
ein Orakelspender für den, der den Verschlagnen, unablässig sich Verwandeln¬
den, aalgleich aus eigner Gestalt in einen Löwen, eine Schlange, einen Baum,
einen Wasserquell Entschlüpfenden zu fassen verstand. Am Rande der Erdscheibe
endlich, d. h. irgendwo in dem zweiten dunkleren Nebelring um den Kreis der


Zwei verschollene Inseln.
)-,n
ilitM'üsI
Thule.

Interessant ist. zu verfolgen, wie der Kreis geographischen Wissens bei
den Alten sich allmälig erweiterte. In der Zeit der Rhapsoden, aus deren
Gesängen die Odyssee hervorging, war es nur ein kleiner sonniger Fleck, der
wenig mehr als das cigäische Meer mit seinen Inseln und Küsten umfaßte,
um denselben ein im Norden schmälerer, im Süden, Osten und Westen brei¬
terer Ring von halbhellen Gegenden, in denen einige ganz lichte und sichere
Punkte lagen, um diesen wieder dichter düsterer Nebel, wenig wirklicher als
das Nichts, darin fluthend und webend allerlei Seltsames und Ungeheures
von dämmernden Umrissen und schwankender Localitnt, Zwielichtsbildcr, halb
Hallucination, halb Gesehenes, Ahnungen, Götter, Riesen und Gespenster.

Man wußte von einem schroffen Felseneiland im Westen, wo König Aeo-
lus, der Vater der Winde, mit seinen zwölf Kindern einen Palast bewohnte
und, wenn nicht mit Erregung oder Beschwichtigung der Stürme beschäftigt,
mit Schmausen bei rauschender Musik die Zeit verbrachte. Seemannssagen gingen
von einer andern westlichen Insel, auf der das gvttentstammte Volk der Phäaken
in anmuthigen Gärten ein heiteres glanzvolles Dasein führte und zu ihnen
Verschlagene nach gastlicher Bewirthung auf Wundcrschifsen ohne Steuer und
Ruder in die Heimath zurückbrachte. Der sicilische Feuerberg gebar das un¬
heimliche Bild der Cyklopen, riesiger rußgeschwärztcr Schmiedegesellen, von
deren Hammerschlägen die Erde bebte. Aus Urwäldern über meerumbrandeten
Klippen traten in das Bereich d^er Schiffersage andere Graungestalten, ein¬
äugige Ziegenhirten von ungeheurem Leibesban, tiefer, weithinschallender
Stimme und greuelvoller Neigung zur Menschenfresserei. Man erzählte von
Meerengen mit'zusammenklappenden Felsen, dnrch welche kein Vogel, geschweige
ein Fahrzeug unverletzt hindnrchkam, von Strudeln, in denen blutlüsterne Un¬
geheuer aus schwarzem Höhlengeklüft vielköpfig und, langhälsig nach den Vor-
überruderndcn herausführen, von der verführerischen Tücke weiblicher Seedämo¬
nen, der schönen Jnselfec Circe, den mit Wundergesängen berauschenden Sirenen.
Man berichtete von einem Eiland eine Tagereise vom großen Aegyptosstrom,
auf welchem Proteus hauste, der alte Robbcuhirt. der kundige Meeresgreis,
ein Orakelspender für den, der den Verschlagnen, unablässig sich Verwandeln¬
den, aalgleich aus eigner Gestalt in einen Löwen, eine Schlange, einen Baum,
einen Wasserquell Entschlüpfenden zu fassen verstand. Am Rande der Erdscheibe
endlich, d. h. irgendwo in dem zweiten dunkleren Nebelring um den Kreis der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111456"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zwei verschollene Inseln.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> )-,n<lb/>
ilitM'üsI<lb/>
Thule.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_43"> Interessant ist. zu verfolgen, wie der Kreis geographischen Wissens bei<lb/>
den Alten sich allmälig erweiterte. In der Zeit der Rhapsoden, aus deren<lb/>
Gesängen die Odyssee hervorging, war es nur ein kleiner sonniger Fleck, der<lb/>
wenig mehr als das cigäische Meer mit seinen Inseln und Küsten umfaßte,<lb/>
um denselben ein im Norden schmälerer, im Süden, Osten und Westen brei¬<lb/>
terer Ring von halbhellen Gegenden, in denen einige ganz lichte und sichere<lb/>
Punkte lagen, um diesen wieder dichter düsterer Nebel, wenig wirklicher als<lb/>
das Nichts, darin fluthend und webend allerlei Seltsames und Ungeheures<lb/>
von dämmernden Umrissen und schwankender Localitnt, Zwielichtsbildcr, halb<lb/>
Hallucination, halb Gesehenes, Ahnungen, Götter, Riesen und Gespenster.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_44" next="#ID_45"> Man wußte von einem schroffen Felseneiland im Westen, wo König Aeo-<lb/>
lus, der Vater der Winde, mit seinen zwölf Kindern einen Palast bewohnte<lb/>
und, wenn nicht mit Erregung oder Beschwichtigung der Stürme beschäftigt,<lb/>
mit Schmausen bei rauschender Musik die Zeit verbrachte. Seemannssagen gingen<lb/>
von einer andern westlichen Insel, auf der das gvttentstammte Volk der Phäaken<lb/>
in anmuthigen Gärten ein heiteres glanzvolles Dasein führte und zu ihnen<lb/>
Verschlagene nach gastlicher Bewirthung auf Wundcrschifsen ohne Steuer und<lb/>
Ruder in die Heimath zurückbrachte. Der sicilische Feuerberg gebar das un¬<lb/>
heimliche Bild der Cyklopen, riesiger rußgeschwärztcr Schmiedegesellen, von<lb/>
deren Hammerschlägen die Erde bebte. Aus Urwäldern über meerumbrandeten<lb/>
Klippen traten in das Bereich d^er Schiffersage andere Graungestalten, ein¬<lb/>
äugige Ziegenhirten von ungeheurem Leibesban, tiefer, weithinschallender<lb/>
Stimme und greuelvoller Neigung zur Menschenfresserei. Man erzählte von<lb/>
Meerengen mit'zusammenklappenden Felsen, dnrch welche kein Vogel, geschweige<lb/>
ein Fahrzeug unverletzt hindnrchkam, von Strudeln, in denen blutlüsterne Un¬<lb/>
geheuer aus schwarzem Höhlengeklüft vielköpfig und, langhälsig nach den Vor-<lb/>
überruderndcn herausführen, von der verführerischen Tücke weiblicher Seedämo¬<lb/>
nen, der schönen Jnselfec Circe, den mit Wundergesängen berauschenden Sirenen.<lb/>
Man berichtete von einem Eiland eine Tagereise vom großen Aegyptosstrom,<lb/>
auf welchem Proteus hauste, der alte Robbcuhirt. der kundige Meeresgreis,<lb/>
ein Orakelspender für den, der den Verschlagnen, unablässig sich Verwandeln¬<lb/>
den, aalgleich aus eigner Gestalt in einen Löwen, eine Schlange, einen Baum,<lb/>
einen Wasserquell Entschlüpfenden zu fassen verstand. Am Rande der Erdscheibe<lb/>
endlich, d. h. irgendwo in dem zweiten dunkleren Nebelring um den Kreis der</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0024] Zwei verschollene Inseln. )-,n ilitM'üsI Thule. Interessant ist. zu verfolgen, wie der Kreis geographischen Wissens bei den Alten sich allmälig erweiterte. In der Zeit der Rhapsoden, aus deren Gesängen die Odyssee hervorging, war es nur ein kleiner sonniger Fleck, der wenig mehr als das cigäische Meer mit seinen Inseln und Küsten umfaßte, um denselben ein im Norden schmälerer, im Süden, Osten und Westen brei¬ terer Ring von halbhellen Gegenden, in denen einige ganz lichte und sichere Punkte lagen, um diesen wieder dichter düsterer Nebel, wenig wirklicher als das Nichts, darin fluthend und webend allerlei Seltsames und Ungeheures von dämmernden Umrissen und schwankender Localitnt, Zwielichtsbildcr, halb Hallucination, halb Gesehenes, Ahnungen, Götter, Riesen und Gespenster. Man wußte von einem schroffen Felseneiland im Westen, wo König Aeo- lus, der Vater der Winde, mit seinen zwölf Kindern einen Palast bewohnte und, wenn nicht mit Erregung oder Beschwichtigung der Stürme beschäftigt, mit Schmausen bei rauschender Musik die Zeit verbrachte. Seemannssagen gingen von einer andern westlichen Insel, auf der das gvttentstammte Volk der Phäaken in anmuthigen Gärten ein heiteres glanzvolles Dasein führte und zu ihnen Verschlagene nach gastlicher Bewirthung auf Wundcrschifsen ohne Steuer und Ruder in die Heimath zurückbrachte. Der sicilische Feuerberg gebar das un¬ heimliche Bild der Cyklopen, riesiger rußgeschwärztcr Schmiedegesellen, von deren Hammerschlägen die Erde bebte. Aus Urwäldern über meerumbrandeten Klippen traten in das Bereich d^er Schiffersage andere Graungestalten, ein¬ äugige Ziegenhirten von ungeheurem Leibesban, tiefer, weithinschallender Stimme und greuelvoller Neigung zur Menschenfresserei. Man erzählte von Meerengen mit'zusammenklappenden Felsen, dnrch welche kein Vogel, geschweige ein Fahrzeug unverletzt hindnrchkam, von Strudeln, in denen blutlüsterne Un¬ geheuer aus schwarzem Höhlengeklüft vielköpfig und, langhälsig nach den Vor- überruderndcn herausführen, von der verführerischen Tücke weiblicher Seedämo¬ nen, der schönen Jnselfec Circe, den mit Wundergesängen berauschenden Sirenen. Man berichtete von einem Eiland eine Tagereise vom großen Aegyptosstrom, auf welchem Proteus hauste, der alte Robbcuhirt. der kundige Meeresgreis, ein Orakelspender für den, der den Verschlagnen, unablässig sich Verwandeln¬ den, aalgleich aus eigner Gestalt in einen Löwen, eine Schlange, einen Baum, einen Wasserquell Entschlüpfenden zu fassen verstand. Am Rande der Erdscheibe endlich, d. h. irgendwo in dem zweiten dunkleren Nebelring um den Kreis der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/24
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/24>, abgerufen am 05.05.2024.