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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Wien, Berlin und Wiirzburg.

Die Würzburger Politik ist in ihren innern Motiven gar nicht so schwer
zu verstehen, daß es besonderer Enthüllungen bedürfte, um hinter ihre Ge¬
heimnisse zu kommen. Die Würzburger Politik ist der natürliche Ausdruck
für die Lage der Mittelstaaten Preußen und der Nationalpartei gegenüber.
Wer diese Lage ruhig erwägt, kann alle Züge der Würzburger Politik wie in
einem blinden Schachspiel im voraus berechnen. Zum Ueberfluß sprechen sich
die leitenden Staatsmänner nicht selten mit Wünschenswerther Deutlich¬
keit aus.

Daß Herr von Borries vor einiger Zeit das Ausland mit dem Wider¬
stand gegen preußische Hegemonie-Gelüste in Verbindung brachte, mochte
ungeschickt erscheinen, schon wegen des Lärms, den es erregte; und der darauf
folgende Grafentitel war wol weniger eine Belohnung für gute Dienste, als
ein Gertenschlag gegen das protestirende Publicum. Die neuliche Rede, welche
der sächsische Minister Herr v. Reuse bei Gelegenheit der Unterredungen über
Neichsparlament und ähnliche Dinge gehalten, setzt weniger anstößig und voll¬
kommen sachgemäß die Lage auseinander.

Herr v. Beust versichert, und wie wir denken, mit vollkommener Ueber¬
zeugung, daß er der gegenwärtigen preußischen Regierung nicht die mindeste"
Eroberungsgedankcn zutraui; er deutet aber an. daß die geographische und
politische Lage Preußens auch ohne einen bösen Willen der Regierung die
Existenz der Mittclstaaten bedrohe, um so mehr, da eine Partei im Volk nach
demselben Ziel hinstrebe. Zwar fordere man nur die diplomatisch-militä¬
rische Vertretung sür Preußen, aber das sei nur der erste Schritt für die
völlige Einverleibung. Die Mittclstaaten würden daher aus dem natürlichen
Triebe der Selbsterhaltung nicht bloß diesen Schritt, sondern schon die Vor¬
bereitungen dazu unmöglich zu machen suchen.

Dies ist, vollkommen correct ausgedrückt, das leitende Motiv der Würz¬
burger Politik. Es mag in Preußen regieren wer da will, die geographische
Lage Preußens bedroht die Existenz der Mittelstaaten, und jeder mitteldeutsche
Staatsmann wird es für seine Pflicht halten. Anstalten zu treffen, die Gefahr
dieser Lage soviel als möglich zu beseitigen.

Die Gefahr würde verstärkt: l) durch die Verbindung Preußens mit der
liberalen Partei in Deutschland; 2) durch eine aufrichtige Allianz zwischen
Oestreich und Preußen; 3) durch ein Heransdrängen Oestreichs aus dem denk-


Wien, Berlin und Wiirzburg.

Die Würzburger Politik ist in ihren innern Motiven gar nicht so schwer
zu verstehen, daß es besonderer Enthüllungen bedürfte, um hinter ihre Ge¬
heimnisse zu kommen. Die Würzburger Politik ist der natürliche Ausdruck
für die Lage der Mittelstaaten Preußen und der Nationalpartei gegenüber.
Wer diese Lage ruhig erwägt, kann alle Züge der Würzburger Politik wie in
einem blinden Schachspiel im voraus berechnen. Zum Ueberfluß sprechen sich
die leitenden Staatsmänner nicht selten mit Wünschenswerther Deutlich¬
keit aus.

Daß Herr von Borries vor einiger Zeit das Ausland mit dem Wider¬
stand gegen preußische Hegemonie-Gelüste in Verbindung brachte, mochte
ungeschickt erscheinen, schon wegen des Lärms, den es erregte; und der darauf
folgende Grafentitel war wol weniger eine Belohnung für gute Dienste, als
ein Gertenschlag gegen das protestirende Publicum. Die neuliche Rede, welche
der sächsische Minister Herr v. Reuse bei Gelegenheit der Unterredungen über
Neichsparlament und ähnliche Dinge gehalten, setzt weniger anstößig und voll¬
kommen sachgemäß die Lage auseinander.

Herr v. Beust versichert, und wie wir denken, mit vollkommener Ueber¬
zeugung, daß er der gegenwärtigen preußischen Regierung nicht die mindeste»
Eroberungsgedankcn zutraui; er deutet aber an. daß die geographische und
politische Lage Preußens auch ohne einen bösen Willen der Regierung die
Existenz der Mittclstaaten bedrohe, um so mehr, da eine Partei im Volk nach
demselben Ziel hinstrebe. Zwar fordere man nur die diplomatisch-militä¬
rische Vertretung sür Preußen, aber das sei nur der erste Schritt für die
völlige Einverleibung. Die Mittclstaaten würden daher aus dem natürlichen
Triebe der Selbsterhaltung nicht bloß diesen Schritt, sondern schon die Vor¬
bereitungen dazu unmöglich zu machen suchen.

Dies ist, vollkommen correct ausgedrückt, das leitende Motiv der Würz¬
burger Politik. Es mag in Preußen regieren wer da will, die geographische
Lage Preußens bedroht die Existenz der Mittelstaaten, und jeder mitteldeutsche
Staatsmann wird es für seine Pflicht halten. Anstalten zu treffen, die Gefahr
dieser Lage soviel als möglich zu beseitigen.

Die Gefahr würde verstärkt: l) durch die Verbindung Preußens mit der
liberalen Partei in Deutschland; 2) durch eine aufrichtige Allianz zwischen
Oestreich und Preußen; 3) durch ein Heransdrängen Oestreichs aus dem denk-


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[0406] Wien, Berlin und Wiirzburg. Die Würzburger Politik ist in ihren innern Motiven gar nicht so schwer zu verstehen, daß es besonderer Enthüllungen bedürfte, um hinter ihre Ge¬ heimnisse zu kommen. Die Würzburger Politik ist der natürliche Ausdruck für die Lage der Mittelstaaten Preußen und der Nationalpartei gegenüber. Wer diese Lage ruhig erwägt, kann alle Züge der Würzburger Politik wie in einem blinden Schachspiel im voraus berechnen. Zum Ueberfluß sprechen sich die leitenden Staatsmänner nicht selten mit Wünschenswerther Deutlich¬ keit aus. Daß Herr von Borries vor einiger Zeit das Ausland mit dem Wider¬ stand gegen preußische Hegemonie-Gelüste in Verbindung brachte, mochte ungeschickt erscheinen, schon wegen des Lärms, den es erregte; und der darauf folgende Grafentitel war wol weniger eine Belohnung für gute Dienste, als ein Gertenschlag gegen das protestirende Publicum. Die neuliche Rede, welche der sächsische Minister Herr v. Reuse bei Gelegenheit der Unterredungen über Neichsparlament und ähnliche Dinge gehalten, setzt weniger anstößig und voll¬ kommen sachgemäß die Lage auseinander. Herr v. Beust versichert, und wie wir denken, mit vollkommener Ueber¬ zeugung, daß er der gegenwärtigen preußischen Regierung nicht die mindeste» Eroberungsgedankcn zutraui; er deutet aber an. daß die geographische und politische Lage Preußens auch ohne einen bösen Willen der Regierung die Existenz der Mittclstaaten bedrohe, um so mehr, da eine Partei im Volk nach demselben Ziel hinstrebe. Zwar fordere man nur die diplomatisch-militä¬ rische Vertretung sür Preußen, aber das sei nur der erste Schritt für die völlige Einverleibung. Die Mittclstaaten würden daher aus dem natürlichen Triebe der Selbsterhaltung nicht bloß diesen Schritt, sondern schon die Vor¬ bereitungen dazu unmöglich zu machen suchen. Dies ist, vollkommen correct ausgedrückt, das leitende Motiv der Würz¬ burger Politik. Es mag in Preußen regieren wer da will, die geographische Lage Preußens bedroht die Existenz der Mittelstaaten, und jeder mitteldeutsche Staatsmann wird es für seine Pflicht halten. Anstalten zu treffen, die Gefahr dieser Lage soviel als möglich zu beseitigen. Die Gefahr würde verstärkt: l) durch die Verbindung Preußens mit der liberalen Partei in Deutschland; 2) durch eine aufrichtige Allianz zwischen Oestreich und Preußen; 3) durch ein Heransdrängen Oestreichs aus dem denk-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/406>, abgerufen am 05.05.2024.