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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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hat. Wir haben sie nie mit dem abschließenden Hochmuth einer sieg¬
reichen Kaste behandelt, wir haben ihnen länger als durch ein halbes Jahr¬
hundert eine Nachsicht und Schonung bewiesen, welche zuweilen weicher Schwäche
mehr ähnlich sah, als sicherer Kraft. Wir sind in die Lage gekommen, mit
ihnen einen friedlichen Kampf um Grund und Boden kämpfen zu müssen,
nicht aus roher Eroberungssucht, nicht weil es uns Freude macht, sie von
ihrer heimischen Erde zu vertreiben, sondern weil die Sorge für unsere Selbst¬
erhaltung uns dazu zwang. Wenn der Engländer Macaulay in dem nach¬
gelassenen Band seiner englischen Geschichte die Theilung Polens die schmach¬
vollste That der europäischen Politik nennt, so verzeihen wir diese hohle
Zeitungsphrase einem Todten; seinen Landsleuten aber wünschen wir, daß sie
bei allen ihren Kämpfen mit fremden Nationalitäten mit so gutem Gewissen
und unter dem Zwange einer so ernsten Nothwendigkeit gehandelt haben
mögen, wie Preußen, da es Stücke des polnischen Landes für sich und Deutsch¬
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Eine Stimme aus den Hansestädten.

Die Artikel, welche die "Grenzboten" der zu begründenden deutschen
Kriegsmarine gewidmet haben, sind wol nirgend mit lebhafterem Interesse
gelesen worden als in unseren Seestädten, obwol wir selbst nicht eben sehr
glimpflich von dem Verfasser behandelt worden sind. Er stellt uns, wie wir
uns nicht verhehlen können, gewissermaßen an den Pranger und wirft uns
eine Reihe politischer Laster und Gebrechen vor. welche uns selbst mit Abscheu
erfüllen müssen. Wir besitzen keinen Patriotismus; wir wollen lieber bettle"
haft durch die Welt uns krümmen als etwas von unserem Mammon für eine
deutsche Marine opfern; wir sind von einem engherzigen Particularismus be¬
sessen; wir sind vernarrt in unsere kleine Souveränetät; wir sind so beschränkt,
daß wir nicht einmal die Interessen unseres eigenen Handels verstehen; wir
sind namentlich die entarteten Nachkommen der alten Hansa, unfähig den
Ruhm der kriegerischen Büder zu wahren, vor deren Flagge einst die Könige
zitterten. Ungeachtet dieser von schweren Anschuldigungen strotzenden Anklage-


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hat. Wir haben sie nie mit dem abschließenden Hochmuth einer sieg¬
reichen Kaste behandelt, wir haben ihnen länger als durch ein halbes Jahr¬
hundert eine Nachsicht und Schonung bewiesen, welche zuweilen weicher Schwäche
mehr ähnlich sah, als sicherer Kraft. Wir sind in die Lage gekommen, mit
ihnen einen friedlichen Kampf um Grund und Boden kämpfen zu müssen,
nicht aus roher Eroberungssucht, nicht weil es uns Freude macht, sie von
ihrer heimischen Erde zu vertreiben, sondern weil die Sorge für unsere Selbst¬
erhaltung uns dazu zwang. Wenn der Engländer Macaulay in dem nach¬
gelassenen Band seiner englischen Geschichte die Theilung Polens die schmach¬
vollste That der europäischen Politik nennt, so verzeihen wir diese hohle
Zeitungsphrase einem Todten; seinen Landsleuten aber wünschen wir, daß sie
bei allen ihren Kämpfen mit fremden Nationalitäten mit so gutem Gewissen
und unter dem Zwange einer so ernsten Nothwendigkeit gehandelt haben
mögen, wie Preußen, da es Stücke des polnischen Landes für sich und Deutsch¬
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Eine Stimme aus den Hansestädten.

Die Artikel, welche die „Grenzboten" der zu begründenden deutschen
Kriegsmarine gewidmet haben, sind wol nirgend mit lebhafterem Interesse
gelesen worden als in unseren Seestädten, obwol wir selbst nicht eben sehr
glimpflich von dem Verfasser behandelt worden sind. Er stellt uns, wie wir
uns nicht verhehlen können, gewissermaßen an den Pranger und wirft uns
eine Reihe politischer Laster und Gebrechen vor. welche uns selbst mit Abscheu
erfüllen müssen. Wir besitzen keinen Patriotismus; wir wollen lieber bettle»
haft durch die Welt uns krümmen als etwas von unserem Mammon für eine
deutsche Marine opfern; wir sind von einem engherzigen Particularismus be¬
sessen; wir sind vernarrt in unsere kleine Souveränetät; wir sind so beschränkt,
daß wir nicht einmal die Interessen unseres eigenen Handels verstehen; wir
sind namentlich die entarteten Nachkommen der alten Hansa, unfähig den
Ruhm der kriegerischen Büder zu wahren, vor deren Flagge einst die Könige
zitterten. Ungeachtet dieser von schweren Anschuldigungen strotzenden Anklage-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/101>, abgerufen am 26.04.2024.