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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Der Gesammtwerth dieser patriotischen Gaben wird von Thiers auf vier¬
zig Millionen Franken geschätzt.




Aus Tirol.

Unlängst wurde vor dem Gerichtshof zu Botzen ein interessanter Fall
verhandelt. Als Angeklagter stand der Priester Andersag vor den Schranken,
weil er bei Anlaß des Protestantengesetzes zu Schlanders eine sehr heftige
Predigt gehalten hatte. Sein Urtheil lautete auf 14 Tage Haft. Was soll
jedoch das heißen? Zufolge des Concordates darf er diese nicht in einem
bürgerlichen Gefängniß absitzen, sondern in einem Kloster, wo man ihn gewiß
als Märtyrer für die gute Sache mit Auszeichnung aufnehmen, für die em¬
pörende Ungerechtigkeit der Regierung gegen einen Diener Gottes schadlos
halten und auf das Beste bewirthen wird. Sehr instructiv war das Verhalten
der vorgeladenen Zeugen, welche großentheils, den Bezirksrichter Klingler voran,
die Schmähungen Andcrsags vergessen haben wollten; vermuthlich hat die
Furcht vor dem noch immer mächtigen Klerus auf ihr Gedächtniß gewirkt.
So lange man übrigens nur gegen Priester in untergeordneter Stellung vor¬
geht und auch noch diese fast wie ein moti ins eg-ngerö behandelt, ist kein
Erfolg zu hoffen, man muß höher greisen. Die Bischöfe, wenn sie sich etwa
gegen die Strafgesetze vergehen, genießen freilich in Folge des famosen Arti¬
kels Ur. XIV des Concordates nahezu einer vollständigen Immunität, indem
sie nur von einem Provinzialconcil oder dem Papste selbst gerichtet werden
können. Es thäte aber auch zur Aufmunterung unseres Beamtenstandes recht
gut, wenn man einmal alle Förderer der Reaction bei Seite schöbe, damit sie
nicht heimlich ihren Unflat auf alle Maßregeln, welche ein neues Stadium
bürgerlicher und politischer Freiheit schaffen sollen, werfen und sie dadurch in
Mißcredit bringen. Das wäre um so trauriger, weil das Ministerium Schmer¬
ling ohnehin vom letzten Sparpfennig des öffentlichen Vertrauens zehrt und
bei schlechter Verwendung desselben der Ruin des Staates unausbleiblich wäre.
Es ist eine Frage, welche nicht einschlafen darf und die man daher stets wie¬
derholen muß: warum sind Haßlwandter, Scheuchenstuel, Pelzer u. A. noch
stets in amtlicher Thätigkeit? Freilich sollte man auch in Wien anfangen.


Der Gesammtwerth dieser patriotischen Gaben wird von Thiers auf vier¬
zig Millionen Franken geschätzt.




Aus Tirol.

Unlängst wurde vor dem Gerichtshof zu Botzen ein interessanter Fall
verhandelt. Als Angeklagter stand der Priester Andersag vor den Schranken,
weil er bei Anlaß des Protestantengesetzes zu Schlanders eine sehr heftige
Predigt gehalten hatte. Sein Urtheil lautete auf 14 Tage Haft. Was soll
jedoch das heißen? Zufolge des Concordates darf er diese nicht in einem
bürgerlichen Gefängniß absitzen, sondern in einem Kloster, wo man ihn gewiß
als Märtyrer für die gute Sache mit Auszeichnung aufnehmen, für die em¬
pörende Ungerechtigkeit der Regierung gegen einen Diener Gottes schadlos
halten und auf das Beste bewirthen wird. Sehr instructiv war das Verhalten
der vorgeladenen Zeugen, welche großentheils, den Bezirksrichter Klingler voran,
die Schmähungen Andcrsags vergessen haben wollten; vermuthlich hat die
Furcht vor dem noch immer mächtigen Klerus auf ihr Gedächtniß gewirkt.
So lange man übrigens nur gegen Priester in untergeordneter Stellung vor¬
geht und auch noch diese fast wie ein moti ins eg-ngerö behandelt, ist kein
Erfolg zu hoffen, man muß höher greisen. Die Bischöfe, wenn sie sich etwa
gegen die Strafgesetze vergehen, genießen freilich in Folge des famosen Arti¬
kels Ur. XIV des Concordates nahezu einer vollständigen Immunität, indem
sie nur von einem Provinzialconcil oder dem Papste selbst gerichtet werden
können. Es thäte aber auch zur Aufmunterung unseres Beamtenstandes recht
gut, wenn man einmal alle Förderer der Reaction bei Seite schöbe, damit sie
nicht heimlich ihren Unflat auf alle Maßregeln, welche ein neues Stadium
bürgerlicher und politischer Freiheit schaffen sollen, werfen und sie dadurch in
Mißcredit bringen. Das wäre um so trauriger, weil das Ministerium Schmer¬
ling ohnehin vom letzten Sparpfennig des öffentlichen Vertrauens zehrt und
bei schlechter Verwendung desselben der Ruin des Staates unausbleiblich wäre.
Es ist eine Frage, welche nicht einschlafen darf und die man daher stets wie¬
derholen muß: warum sind Haßlwandter, Scheuchenstuel, Pelzer u. A. noch
stets in amtlicher Thätigkeit? Freilich sollte man auch in Wien anfangen.


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[0110] Der Gesammtwerth dieser patriotischen Gaben wird von Thiers auf vier¬ zig Millionen Franken geschätzt. Aus Tirol. Unlängst wurde vor dem Gerichtshof zu Botzen ein interessanter Fall verhandelt. Als Angeklagter stand der Priester Andersag vor den Schranken, weil er bei Anlaß des Protestantengesetzes zu Schlanders eine sehr heftige Predigt gehalten hatte. Sein Urtheil lautete auf 14 Tage Haft. Was soll jedoch das heißen? Zufolge des Concordates darf er diese nicht in einem bürgerlichen Gefängniß absitzen, sondern in einem Kloster, wo man ihn gewiß als Märtyrer für die gute Sache mit Auszeichnung aufnehmen, für die em¬ pörende Ungerechtigkeit der Regierung gegen einen Diener Gottes schadlos halten und auf das Beste bewirthen wird. Sehr instructiv war das Verhalten der vorgeladenen Zeugen, welche großentheils, den Bezirksrichter Klingler voran, die Schmähungen Andcrsags vergessen haben wollten; vermuthlich hat die Furcht vor dem noch immer mächtigen Klerus auf ihr Gedächtniß gewirkt. So lange man übrigens nur gegen Priester in untergeordneter Stellung vor¬ geht und auch noch diese fast wie ein moti ins eg-ngerö behandelt, ist kein Erfolg zu hoffen, man muß höher greisen. Die Bischöfe, wenn sie sich etwa gegen die Strafgesetze vergehen, genießen freilich in Folge des famosen Arti¬ kels Ur. XIV des Concordates nahezu einer vollständigen Immunität, indem sie nur von einem Provinzialconcil oder dem Papste selbst gerichtet werden können. Es thäte aber auch zur Aufmunterung unseres Beamtenstandes recht gut, wenn man einmal alle Förderer der Reaction bei Seite schöbe, damit sie nicht heimlich ihren Unflat auf alle Maßregeln, welche ein neues Stadium bürgerlicher und politischer Freiheit schaffen sollen, werfen und sie dadurch in Mißcredit bringen. Das wäre um so trauriger, weil das Ministerium Schmer¬ ling ohnehin vom letzten Sparpfennig des öffentlichen Vertrauens zehrt und bei schlechter Verwendung desselben der Ruin des Staates unausbleiblich wäre. Es ist eine Frage, welche nicht einschlafen darf und die man daher stets wie¬ derholen muß: warum sind Haßlwandter, Scheuchenstuel, Pelzer u. A. noch stets in amtlicher Thätigkeit? Freilich sollte man auch in Wien anfangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/110>, abgerufen am 24.04.2024.