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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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seiner Väter abschwört, oder um sich eine Anstellung zu sichern, aber selbst hier
fällt Jedermann ein Beispiel ein, bei dem man gewiß keinen Stein auf den
Abgefallenen werfen wird. Winkelmann war, wie Goethe ganz richtig be¬
merkt, ein Heide; die christlichen Confessionen waren ihm ziemlich gleichgültig;
dagegen war es ihm eine innere Nothwendigkeit, sich in die Kunstwelt Rom's
zu vertiefen. Man forderte den Preis und man zahlte ihn.

Schlegels Uebertritt erscheint mir deshalb schlimmer als diese einzelnen
Fälle, weil alle angegebenen Motive in seinem Gemüth durcheinander spielten
und er nicht Manns genug war, Eines von dem Andern zu unterscheiden. Er
vermißte das sinnliche Moment des Gottesdienstes; er fühlte die Unfähigkeit,
eine neue Religion zu machen, wie er sich zuerst vorgenommen hatte, und sehnte
sich daher nach einer recht handfesten Autorität; er hatte sich durch die Zänke¬
reien mit den Aufklärern so in seine Ideen hereingeredet, daß er zuletzt mit¬
unter selber glaubte, er sei von Herzen Katholik; er brauchte endlich Geld und
eine Stelle. Alle diese Motive spielten durcheinander, den Ausschlag gab das
letzte. Bei einem solchen Durcheinander Hort in der That auch das Mitleid
auf. Der Ueberläufer zur katholischen Kirche und der Dichter der Lucinde
sind genau die nämliche Person: Unfähigkeit einen Gedanken auszudenken,
Unfähigkeit ein Gefühl auszuempsinden, Unfähigkeit etwas zu wollen, ohne
zugleich das Gegentheil zu wollen, denn er hat sich nicht etwa aus > freiem
Entschluß als Katholiken bekannt, sondern die Zeitungen haben es sehr zu
seinem Kummer ausgeplaudert, da er noch immer hoffte, Katholik und auch
Nichtkatholik zugleich sein zu können; als das Schicksal dann gesprochen hatte,
fügte er sich freilich. Das war das letzte Resultat der sogenannten romanti¬
Julian Schmidt. schen Ironie.




Von der preußischen Grenze.

Es ist nicht möglich, das Verhalten der englischen Blätter, nachdem der
König wirklich nach Compiegne gereist ist, mit Stillschweigen zu übergehen.
Zwar hat es nicht das mindeste Interesse, die bodenlose Erbärmlichkeit dieser


seiner Väter abschwört, oder um sich eine Anstellung zu sichern, aber selbst hier
fällt Jedermann ein Beispiel ein, bei dem man gewiß keinen Stein auf den
Abgefallenen werfen wird. Winkelmann war, wie Goethe ganz richtig be¬
merkt, ein Heide; die christlichen Confessionen waren ihm ziemlich gleichgültig;
dagegen war es ihm eine innere Nothwendigkeit, sich in die Kunstwelt Rom's
zu vertiefen. Man forderte den Preis und man zahlte ihn.

Schlegels Uebertritt erscheint mir deshalb schlimmer als diese einzelnen
Fälle, weil alle angegebenen Motive in seinem Gemüth durcheinander spielten
und er nicht Manns genug war, Eines von dem Andern zu unterscheiden. Er
vermißte das sinnliche Moment des Gottesdienstes; er fühlte die Unfähigkeit,
eine neue Religion zu machen, wie er sich zuerst vorgenommen hatte, und sehnte
sich daher nach einer recht handfesten Autorität; er hatte sich durch die Zänke¬
reien mit den Aufklärern so in seine Ideen hereingeredet, daß er zuletzt mit¬
unter selber glaubte, er sei von Herzen Katholik; er brauchte endlich Geld und
eine Stelle. Alle diese Motive spielten durcheinander, den Ausschlag gab das
letzte. Bei einem solchen Durcheinander Hort in der That auch das Mitleid
auf. Der Ueberläufer zur katholischen Kirche und der Dichter der Lucinde
sind genau die nämliche Person: Unfähigkeit einen Gedanken auszudenken,
Unfähigkeit ein Gefühl auszuempsinden, Unfähigkeit etwas zu wollen, ohne
zugleich das Gegentheil zu wollen, denn er hat sich nicht etwa aus > freiem
Entschluß als Katholiken bekannt, sondern die Zeitungen haben es sehr zu
seinem Kummer ausgeplaudert, da er noch immer hoffte, Katholik und auch
Nichtkatholik zugleich sein zu können; als das Schicksal dann gesprochen hatte,
fügte er sich freilich. Das war das letzte Resultat der sogenannten romanti¬
Julian Schmidt. schen Ironie.




Von der preußischen Grenze.

Es ist nicht möglich, das Verhalten der englischen Blätter, nachdem der
König wirklich nach Compiegne gereist ist, mit Stillschweigen zu übergehen.
Zwar hat es nicht das mindeste Interesse, die bodenlose Erbärmlichkeit dieser


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[0124] seiner Väter abschwört, oder um sich eine Anstellung zu sichern, aber selbst hier fällt Jedermann ein Beispiel ein, bei dem man gewiß keinen Stein auf den Abgefallenen werfen wird. Winkelmann war, wie Goethe ganz richtig be¬ merkt, ein Heide; die christlichen Confessionen waren ihm ziemlich gleichgültig; dagegen war es ihm eine innere Nothwendigkeit, sich in die Kunstwelt Rom's zu vertiefen. Man forderte den Preis und man zahlte ihn. Schlegels Uebertritt erscheint mir deshalb schlimmer als diese einzelnen Fälle, weil alle angegebenen Motive in seinem Gemüth durcheinander spielten und er nicht Manns genug war, Eines von dem Andern zu unterscheiden. Er vermißte das sinnliche Moment des Gottesdienstes; er fühlte die Unfähigkeit, eine neue Religion zu machen, wie er sich zuerst vorgenommen hatte, und sehnte sich daher nach einer recht handfesten Autorität; er hatte sich durch die Zänke¬ reien mit den Aufklärern so in seine Ideen hereingeredet, daß er zuletzt mit¬ unter selber glaubte, er sei von Herzen Katholik; er brauchte endlich Geld und eine Stelle. Alle diese Motive spielten durcheinander, den Ausschlag gab das letzte. Bei einem solchen Durcheinander Hort in der That auch das Mitleid auf. Der Ueberläufer zur katholischen Kirche und der Dichter der Lucinde sind genau die nämliche Person: Unfähigkeit einen Gedanken auszudenken, Unfähigkeit ein Gefühl auszuempsinden, Unfähigkeit etwas zu wollen, ohne zugleich das Gegentheil zu wollen, denn er hat sich nicht etwa aus > freiem Entschluß als Katholiken bekannt, sondern die Zeitungen haben es sehr zu seinem Kummer ausgeplaudert, da er noch immer hoffte, Katholik und auch Nichtkatholik zugleich sein zu können; als das Schicksal dann gesprochen hatte, fügte er sich freilich. Das war das letzte Resultat der sogenannten romanti¬ Julian Schmidt. schen Ironie. Von der preußischen Grenze. Es ist nicht möglich, das Verhalten der englischen Blätter, nachdem der König wirklich nach Compiegne gereist ist, mit Stillschweigen zu übergehen. Zwar hat es nicht das mindeste Interesse, die bodenlose Erbärmlichkeit dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/124>, abgerufen am 29.03.2024.