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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Die bildende Kunst des 19. Jahrhunderts in Frankreich.
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Der Einfluß der romantischen Kunst, Die historische Kunst und die
Vermittelung d er Gegensätze. Vernet. Cogniet. Robert. Delaroche.

Es lag in der Natur der Sache, daß die romantische Kunst der G6ri-
cault, Delacroix und Ary Scheffer eine Schule in demselben Sinne, wie David
und Ingres, nicht bildete. Einerseits gab die romantische Anschauungsweise
die Phantasie des Künstlers vollkommen frei; dieser sollte, an kein Gesetz
und keine Schranke gebunden, als die er in sich jelber findet, nur auf die wirk¬
same Darstellung dessen, was ihn innerlich bewegte, bedacht sein. Andrerseits
aber sollte er, damit sein Bild die ergreifende Wahrheit der wirklichen Er¬
scheinung erhalte, die Natur in ihrer ganz unbewußten, willenlosen Bestimmt¬
heit, in ihren zufälligen Aeußerungen belauschen, sie auf der That gleichsam
ertappen, sie in der Flüchtigkeit des Momentes festhalten, in dem sie ganz
und unverholen ihr Inneres herausgibt. So ist die romantische Kunst in
Frankreich nach der einen Seite realistisch, denn sie bemüht sich ihren Werken
die Fülle und Bedingtheit der ganz natürlichen Erscheinung zu geben, nach
der andern phantastisch, denn sie läßt, sie will der subjectiven Einbildungs¬
kraft des Künstlers durchaus freies Spiel lassen. Natürlich kann sich der
Maler bald mehr der einen bald mehr der andern Seite zuneigen, je nach¬
dem ihn seine Individualität mehr zur kräftigen Herausbildung lebensvoller
Motive, oder vornehmlich zur weichen träumerischen Behandlung mehr inner¬
licher Phantasiegebilde treibt. Daher sind, obwol Beide Romantiker. Geri-
cault und A>y Scheffer Gegenpole. In einer gleichsam verschwimmenden
Mitte zwischen beiden steht Delacroix. und es ist bezeichnend, daß dieser der
Colorist war. der in dem Verschweben und Vcrzittcrn der ineinanderwirkenden
Töne alle Festigkeit der Form und nicht selten sogar die Bestimmtheit der
Localfarbe auflöste, während er die menschliche Natur in ihrer leidenschaft¬
lichen Aufregung und in ihren gewaltsamsten Bewegungen festzuhalten suchte.
Die deutsche romantische Kunst neigte sich, beiläufig gesagt, zu einer mehr
idealen Anschauung; denn sie suchte gleich Anfangs nach einem festen Inhalte
für die Phantasie, glaubte diesen in den religiösen Motiven zu finden und
kam daher zu einer typischen Behandlungsweise. Ein ähnlicher Rückschlag
fand, wie wir gesehen, in Frankreich unter den Idealisten statt.

Die neue Kunstweise, welche den Maler einmal an seine eigene Phan-


Die bildende Kunst des 19. Jahrhunderts in Frankreich.
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Der Einfluß der romantischen Kunst, Die historische Kunst und die
Vermittelung d er Gegensätze. Vernet. Cogniet. Robert. Delaroche.

Es lag in der Natur der Sache, daß die romantische Kunst der G6ri-
cault, Delacroix und Ary Scheffer eine Schule in demselben Sinne, wie David
und Ingres, nicht bildete. Einerseits gab die romantische Anschauungsweise
die Phantasie des Künstlers vollkommen frei; dieser sollte, an kein Gesetz
und keine Schranke gebunden, als die er in sich jelber findet, nur auf die wirk¬
same Darstellung dessen, was ihn innerlich bewegte, bedacht sein. Andrerseits
aber sollte er, damit sein Bild die ergreifende Wahrheit der wirklichen Er¬
scheinung erhalte, die Natur in ihrer ganz unbewußten, willenlosen Bestimmt¬
heit, in ihren zufälligen Aeußerungen belauschen, sie auf der That gleichsam
ertappen, sie in der Flüchtigkeit des Momentes festhalten, in dem sie ganz
und unverholen ihr Inneres herausgibt. So ist die romantische Kunst in
Frankreich nach der einen Seite realistisch, denn sie bemüht sich ihren Werken
die Fülle und Bedingtheit der ganz natürlichen Erscheinung zu geben, nach
der andern phantastisch, denn sie läßt, sie will der subjectiven Einbildungs¬
kraft des Künstlers durchaus freies Spiel lassen. Natürlich kann sich der
Maler bald mehr der einen bald mehr der andern Seite zuneigen, je nach¬
dem ihn seine Individualität mehr zur kräftigen Herausbildung lebensvoller
Motive, oder vornehmlich zur weichen träumerischen Behandlung mehr inner¬
licher Phantasiegebilde treibt. Daher sind, obwol Beide Romantiker. Geri-
cault und A>y Scheffer Gegenpole. In einer gleichsam verschwimmenden
Mitte zwischen beiden steht Delacroix. und es ist bezeichnend, daß dieser der
Colorist war. der in dem Verschweben und Vcrzittcrn der ineinanderwirkenden
Töne alle Festigkeit der Form und nicht selten sogar die Bestimmtheit der
Localfarbe auflöste, während er die menschliche Natur in ihrer leidenschaft¬
lichen Aufregung und in ihren gewaltsamsten Bewegungen festzuhalten suchte.
Die deutsche romantische Kunst neigte sich, beiläufig gesagt, zu einer mehr
idealen Anschauung; denn sie suchte gleich Anfangs nach einem festen Inhalte
für die Phantasie, glaubte diesen in den religiösen Motiven zu finden und
kam daher zu einer typischen Behandlungsweise. Ein ähnlicher Rückschlag
fand, wie wir gesehen, in Frankreich unter den Idealisten statt.

Die neue Kunstweise, welche den Maler einmal an seine eigene Phan-


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[0230] Die bildende Kunst des 19. Jahrhunderts in Frankreich. '' ->.Ili. it»M/^ÄiM^>^7i8koitll-oosr--chjItnsAy i.iiL)iMf Der Einfluß der romantischen Kunst, Die historische Kunst und die Vermittelung d er Gegensätze. Vernet. Cogniet. Robert. Delaroche. Es lag in der Natur der Sache, daß die romantische Kunst der G6ri- cault, Delacroix und Ary Scheffer eine Schule in demselben Sinne, wie David und Ingres, nicht bildete. Einerseits gab die romantische Anschauungsweise die Phantasie des Künstlers vollkommen frei; dieser sollte, an kein Gesetz und keine Schranke gebunden, als die er in sich jelber findet, nur auf die wirk¬ same Darstellung dessen, was ihn innerlich bewegte, bedacht sein. Andrerseits aber sollte er, damit sein Bild die ergreifende Wahrheit der wirklichen Er¬ scheinung erhalte, die Natur in ihrer ganz unbewußten, willenlosen Bestimmt¬ heit, in ihren zufälligen Aeußerungen belauschen, sie auf der That gleichsam ertappen, sie in der Flüchtigkeit des Momentes festhalten, in dem sie ganz und unverholen ihr Inneres herausgibt. So ist die romantische Kunst in Frankreich nach der einen Seite realistisch, denn sie bemüht sich ihren Werken die Fülle und Bedingtheit der ganz natürlichen Erscheinung zu geben, nach der andern phantastisch, denn sie läßt, sie will der subjectiven Einbildungs¬ kraft des Künstlers durchaus freies Spiel lassen. Natürlich kann sich der Maler bald mehr der einen bald mehr der andern Seite zuneigen, je nach¬ dem ihn seine Individualität mehr zur kräftigen Herausbildung lebensvoller Motive, oder vornehmlich zur weichen träumerischen Behandlung mehr inner¬ licher Phantasiegebilde treibt. Daher sind, obwol Beide Romantiker. Geri- cault und A>y Scheffer Gegenpole. In einer gleichsam verschwimmenden Mitte zwischen beiden steht Delacroix. und es ist bezeichnend, daß dieser der Colorist war. der in dem Verschweben und Vcrzittcrn der ineinanderwirkenden Töne alle Festigkeit der Form und nicht selten sogar die Bestimmtheit der Localfarbe auflöste, während er die menschliche Natur in ihrer leidenschaft¬ lichen Aufregung und in ihren gewaltsamsten Bewegungen festzuhalten suchte. Die deutsche romantische Kunst neigte sich, beiläufig gesagt, zu einer mehr idealen Anschauung; denn sie suchte gleich Anfangs nach einem festen Inhalte für die Phantasie, glaubte diesen in den religiösen Motiven zu finden und kam daher zu einer typischen Behandlungsweise. Ein ähnlicher Rückschlag fand, wie wir gesehen, in Frankreich unter den Idealisten statt. Die neue Kunstweise, welche den Maler einmal an seine eigene Phan-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/230>, abgerufen am 29.03.2024.