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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Das Ministerium vom 11. October hatte sich während seiner ganzen
Dauer in einer Lage befunden, in der es schwer war. Fehler zu vermeiden.
Von seinen Anhängern bald im Augenblicke der Gefahr zu strengen Repressiv¬
mahregeln gedrängt, bald, wenn die Gefahr überwunden schien, schwach unter¬
stützt und sorglos im Stiche gelassen, hat es sich oft mehr als billig von den
vorübergehenden Stimmungen und Vorurtheilen des Augenblicks beherrschen
lassen. Immer aber ist es bemüht gewesen, im verfassungsmäßigen Sinne
zu regieren und die Consequenzen des constitutionellen Systems nach allen
Seiten hin zur Geltung zu bringen, unbekümmert um den Vorwurf der Schroff¬
heit und UnPopularität. Wenn der König bei der Trennung des Bündnisses
zwischen Guizot und Thiers die Hand im Spiele gehabt hat, so ist er schlecht
berathen gewesen und hat mit eigner Hand den Boden erschüttert, auf dem
6. sein neuer Thron gegründet war.
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Berliner Briefe.
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Die verschiedenen Parteien, welche sich für den bevorstehenden Wahlkampf zum
Sturze des Ministeriums verbunden haben, haben im Grunde gar kein positives
Interesse mit einander gemein. Die Feudalen, die Zunftmeister, die Ultramontanen,
die Polen -- man braucht nur diese vier Namen zu hören, um sich die große Ver-
schiedenartigkeit der Zwecke, welche jede dieser Parteien verfolgt, sogleich zu verge¬
genwärtigen. Das einzige Band, welches diese disparaten Elemente zusammenhält,
ist ein negatives, nämlich der Wunsch, die gesunde Fortentwickelung unseres verfas¬
sungsmäßigen Lebens zu stören und den Träger des jetzigen Systems, das Mini¬
sterium zu stürzen. Sobald dieser Wunsch erreicht wäre, würden die einzelnen
Elemente der gegenwärtigen Coalition sich sehr bald wieder feindselig gegenüver-
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Gerade umgekehrt steht es auf der liberalen Seite. Diese wird durch die größten
gemeinsamen positiven Interessen dahin getrieben, das Ministerium zu stützen. Von
einem verschwindend kleinen Bruchtheil unpraktischer Radicaler abgesehen, welche seit
1848 nichts vergessen und nichts gelernt haben, ist es der aufrichtige Wunsch aller
Schattirungen der großen liberalen Partei, daß das Ministerium erhalten werde.
Darin stimmt die Fortschrittspartei vollkommen mit den Altconstitutionellcn überein.
Das. ist auch gar nicht anders möglich. Denn eine Partei, die auf den Sturz eines
Ministeriums ausgeht, muß nothwendig die Fähigkeit haben, selbst an die Stelle der
Regierung zu treten. Sonst treibt sie ein unverantwortliches Spiel, das zu ihrem


Das Ministerium vom 11. October hatte sich während seiner ganzen
Dauer in einer Lage befunden, in der es schwer war. Fehler zu vermeiden.
Von seinen Anhängern bald im Augenblicke der Gefahr zu strengen Repressiv¬
mahregeln gedrängt, bald, wenn die Gefahr überwunden schien, schwach unter¬
stützt und sorglos im Stiche gelassen, hat es sich oft mehr als billig von den
vorübergehenden Stimmungen und Vorurtheilen des Augenblicks beherrschen
lassen. Immer aber ist es bemüht gewesen, im verfassungsmäßigen Sinne
zu regieren und die Consequenzen des constitutionellen Systems nach allen
Seiten hin zur Geltung zu bringen, unbekümmert um den Vorwurf der Schroff¬
heit und UnPopularität. Wenn der König bei der Trennung des Bündnisses
zwischen Guizot und Thiers die Hand im Spiele gehabt hat, so ist er schlecht
berathen gewesen und hat mit eigner Hand den Boden erschüttert, auf dem
6. sein neuer Thron gegründet war.
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Berliner Briefe.
'

Die verschiedenen Parteien, welche sich für den bevorstehenden Wahlkampf zum
Sturze des Ministeriums verbunden haben, haben im Grunde gar kein positives
Interesse mit einander gemein. Die Feudalen, die Zunftmeister, die Ultramontanen,
die Polen — man braucht nur diese vier Namen zu hören, um sich die große Ver-
schiedenartigkeit der Zwecke, welche jede dieser Parteien verfolgt, sogleich zu verge¬
genwärtigen. Das einzige Band, welches diese disparaten Elemente zusammenhält,
ist ein negatives, nämlich der Wunsch, die gesunde Fortentwickelung unseres verfas¬
sungsmäßigen Lebens zu stören und den Träger des jetzigen Systems, das Mini¬
sterium zu stürzen. Sobald dieser Wunsch erreicht wäre, würden die einzelnen
Elemente der gegenwärtigen Coalition sich sehr bald wieder feindselig gegenüver-
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Gerade umgekehrt steht es auf der liberalen Seite. Diese wird durch die größten
gemeinsamen positiven Interessen dahin getrieben, das Ministerium zu stützen. Von
einem verschwindend kleinen Bruchtheil unpraktischer Radicaler abgesehen, welche seit
1848 nichts vergessen und nichts gelernt haben, ist es der aufrichtige Wunsch aller
Schattirungen der großen liberalen Partei, daß das Ministerium erhalten werde.
Darin stimmt die Fortschrittspartei vollkommen mit den Altconstitutionellcn überein.
Das. ist auch gar nicht anders möglich. Denn eine Partei, die auf den Sturz eines
Ministeriums ausgeht, muß nothwendig die Fähigkeit haben, selbst an die Stelle der
Regierung zu treten. Sonst treibt sie ein unverantwortliches Spiel, das zu ihrem


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[0324] Das Ministerium vom 11. October hatte sich während seiner ganzen Dauer in einer Lage befunden, in der es schwer war. Fehler zu vermeiden. Von seinen Anhängern bald im Augenblicke der Gefahr zu strengen Repressiv¬ mahregeln gedrängt, bald, wenn die Gefahr überwunden schien, schwach unter¬ stützt und sorglos im Stiche gelassen, hat es sich oft mehr als billig von den vorübergehenden Stimmungen und Vorurtheilen des Augenblicks beherrschen lassen. Immer aber ist es bemüht gewesen, im verfassungsmäßigen Sinne zu regieren und die Consequenzen des constitutionellen Systems nach allen Seiten hin zur Geltung zu bringen, unbekümmert um den Vorwurf der Schroff¬ heit und UnPopularität. Wenn der König bei der Trennung des Bündnisses zwischen Guizot und Thiers die Hand im Spiele gehabt hat, so ist er schlecht berathen gewesen und hat mit eigner Hand den Boden erschüttert, auf dem 6. sein neuer Thron gegründet war. ' Berliner Briefe. ' Die verschiedenen Parteien, welche sich für den bevorstehenden Wahlkampf zum Sturze des Ministeriums verbunden haben, haben im Grunde gar kein positives Interesse mit einander gemein. Die Feudalen, die Zunftmeister, die Ultramontanen, die Polen — man braucht nur diese vier Namen zu hören, um sich die große Ver- schiedenartigkeit der Zwecke, welche jede dieser Parteien verfolgt, sogleich zu verge¬ genwärtigen. Das einzige Band, welches diese disparaten Elemente zusammenhält, ist ein negatives, nämlich der Wunsch, die gesunde Fortentwickelung unseres verfas¬ sungsmäßigen Lebens zu stören und den Träger des jetzigen Systems, das Mini¬ sterium zu stürzen. Sobald dieser Wunsch erreicht wäre, würden die einzelnen Elemente der gegenwärtigen Coalition sich sehr bald wieder feindselig gegenüver- Z>10^>-MttiM!5« «IttMtMIUilK 5Ä7UMd >NIZ' Willis l^'IilIiNiilt.' Zig l'17,,?t>< . stehen.'''-''''','.->-<-''-. ÄlM^U»710Nli II,^,,>»«N.Ivi !>>^ Gerade umgekehrt steht es auf der liberalen Seite. Diese wird durch die größten gemeinsamen positiven Interessen dahin getrieben, das Ministerium zu stützen. Von einem verschwindend kleinen Bruchtheil unpraktischer Radicaler abgesehen, welche seit 1848 nichts vergessen und nichts gelernt haben, ist es der aufrichtige Wunsch aller Schattirungen der großen liberalen Partei, daß das Ministerium erhalten werde. Darin stimmt die Fortschrittspartei vollkommen mit den Altconstitutionellcn überein. Das. ist auch gar nicht anders möglich. Denn eine Partei, die auf den Sturz eines Ministeriums ausgeht, muß nothwendig die Fähigkeit haben, selbst an die Stelle der Regierung zu treten. Sonst treibt sie ein unverantwortliches Spiel, das zu ihrem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/324>, abgerufen am 25.04.2024.