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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Die westfälischen FelMerichte.

Die westfälischen Fehmgcrichte gehören zu denjenigen historischen Erschei¬
nungen, welche von jeher das allgemeine Interesse in sehr hohem Maße in
Anspruch genommen haben. Dieses Interesse aber knüpft sich hauptsächlich
an die bisher gangbare Vorstellung von der Fehme; daß indessen gerade diese
fast ganz und gar falsch ist. daß das wirkliche Bild derselben von dem Bilde,
welches unsere Romane, ja selbst geschichtliche Lehrbücher entwerfen, total ver¬
schieden ist. hat die wissenschaftliche Forschung längst erwiesen. Den Resul¬
taten derselben ist es indeß ergangen, wie so manchen auf andern Ge¬
bieten des Wissens: sie sind im Kreise der Eingeweihten geblieben, während
die Laien noch im guten Glauben an den alten Vorstellungen festhalten. Es
mag daher wol gerechtfertigt erscheinen, in einem Blatte, das seinen Weg in
so weite Kreise gefunden hat, mit kurzen Worten das neue Bild zu zeichnen,
wie es sich gegenwärtig gestaltet hat; wir glauben damit der Wahrheit und
der Wissenschaft zu dienen, indem wir ihr auf diese Weise hoffentlich viele
neue Verehrer gewinnen, die ihr sonst ferne stehen bleiben würden.

Es wird gar ol.-le unter unsern Lesern geben, denen bei dem Namen
der "Heimlichen Fehme" die Phantasie gleich ein Schauriges Gemälde mittel¬
alterlicher Willkür. Barbarei und Grausamkeit vorstellt. Das ist leicht erklär¬
lich: ihre Vorstellung stammt, wie gesagt, vornehmlich aus Romanen her,
welche die Fehmgerichte durchaus als blutdürstige Tribunale schildern. Im Laufe
der Zeit aber -- und zwar schon mit dem vorigen Jahrhundert -- sind eine
große Reihe von Urkunden bekanntgeworden, welche die zuverlässigsten Nach¬
richten über die Fehme enthalten: Rechtsbücher. in denen die Grundsätze, nach
welchen gerichtet wurde, und das Verfahren, welches man befolgte, genau er¬
örtert sind; Weisihümer, d. h. allgemeine Urtheile, die über zweifelhafte
Fragen Auskunft geben; endlich Verhandlungen. Vorladungen. Briefe. Ver-
fehmungsurtunden u. f. w., welche sich auf einzelne bei den Fehmgerichten
anhängige Processe beziehen. Solche Urkunden finden sich eine Menge in fast
allen größern deutschen Archiven; denn die Fehme erstreckte ihre Wirksamkeit
fast über das ganze deutsche Reich. Mit den Archiven nun sind auch diese Ur¬
kunden zugänglich geworden, obschon sie an ihrer Stirn meist die warnenden
Worte tragen: "Diesen Brief soll niemand lesen oder lesen hören, er sei denn
ein echter Freischöffe der heimlichen beschlossenen Acht des heiligen römischen
Reiches". Diese Warnung lockt jetzt den Forscher an, statt wie früher zu schrecken.
Aus diesen untrüglichen Quellen nun. die bis zur Stunde noch Siegel und


Die westfälischen FelMerichte.

Die westfälischen Fehmgcrichte gehören zu denjenigen historischen Erschei¬
nungen, welche von jeher das allgemeine Interesse in sehr hohem Maße in
Anspruch genommen haben. Dieses Interesse aber knüpft sich hauptsächlich
an die bisher gangbare Vorstellung von der Fehme; daß indessen gerade diese
fast ganz und gar falsch ist. daß das wirkliche Bild derselben von dem Bilde,
welches unsere Romane, ja selbst geschichtliche Lehrbücher entwerfen, total ver¬
schieden ist. hat die wissenschaftliche Forschung längst erwiesen. Den Resul¬
taten derselben ist es indeß ergangen, wie so manchen auf andern Ge¬
bieten des Wissens: sie sind im Kreise der Eingeweihten geblieben, während
die Laien noch im guten Glauben an den alten Vorstellungen festhalten. Es
mag daher wol gerechtfertigt erscheinen, in einem Blatte, das seinen Weg in
so weite Kreise gefunden hat, mit kurzen Worten das neue Bild zu zeichnen,
wie es sich gegenwärtig gestaltet hat; wir glauben damit der Wahrheit und
der Wissenschaft zu dienen, indem wir ihr auf diese Weise hoffentlich viele
neue Verehrer gewinnen, die ihr sonst ferne stehen bleiben würden.

Es wird gar ol.-le unter unsern Lesern geben, denen bei dem Namen
der „Heimlichen Fehme" die Phantasie gleich ein Schauriges Gemälde mittel¬
alterlicher Willkür. Barbarei und Grausamkeit vorstellt. Das ist leicht erklär¬
lich: ihre Vorstellung stammt, wie gesagt, vornehmlich aus Romanen her,
welche die Fehmgerichte durchaus als blutdürstige Tribunale schildern. Im Laufe
der Zeit aber — und zwar schon mit dem vorigen Jahrhundert — sind eine
große Reihe von Urkunden bekanntgeworden, welche die zuverlässigsten Nach¬
richten über die Fehme enthalten: Rechtsbücher. in denen die Grundsätze, nach
welchen gerichtet wurde, und das Verfahren, welches man befolgte, genau er¬
örtert sind; Weisihümer, d. h. allgemeine Urtheile, die über zweifelhafte
Fragen Auskunft geben; endlich Verhandlungen. Vorladungen. Briefe. Ver-
fehmungsurtunden u. f. w., welche sich auf einzelne bei den Fehmgerichten
anhängige Processe beziehen. Solche Urkunden finden sich eine Menge in fast
allen größern deutschen Archiven; denn die Fehme erstreckte ihre Wirksamkeit
fast über das ganze deutsche Reich. Mit den Archiven nun sind auch diese Ur¬
kunden zugänglich geworden, obschon sie an ihrer Stirn meist die warnenden
Worte tragen: „Diesen Brief soll niemand lesen oder lesen hören, er sei denn
ein echter Freischöffe der heimlichen beschlossenen Acht des heiligen römischen
Reiches". Diese Warnung lockt jetzt den Forscher an, statt wie früher zu schrecken.
Aus diesen untrüglichen Quellen nun. die bis zur Stunde noch Siegel und


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[0350] Die westfälischen FelMerichte. Die westfälischen Fehmgcrichte gehören zu denjenigen historischen Erschei¬ nungen, welche von jeher das allgemeine Interesse in sehr hohem Maße in Anspruch genommen haben. Dieses Interesse aber knüpft sich hauptsächlich an die bisher gangbare Vorstellung von der Fehme; daß indessen gerade diese fast ganz und gar falsch ist. daß das wirkliche Bild derselben von dem Bilde, welches unsere Romane, ja selbst geschichtliche Lehrbücher entwerfen, total ver¬ schieden ist. hat die wissenschaftliche Forschung längst erwiesen. Den Resul¬ taten derselben ist es indeß ergangen, wie so manchen auf andern Ge¬ bieten des Wissens: sie sind im Kreise der Eingeweihten geblieben, während die Laien noch im guten Glauben an den alten Vorstellungen festhalten. Es mag daher wol gerechtfertigt erscheinen, in einem Blatte, das seinen Weg in so weite Kreise gefunden hat, mit kurzen Worten das neue Bild zu zeichnen, wie es sich gegenwärtig gestaltet hat; wir glauben damit der Wahrheit und der Wissenschaft zu dienen, indem wir ihr auf diese Weise hoffentlich viele neue Verehrer gewinnen, die ihr sonst ferne stehen bleiben würden. Es wird gar ol.-le unter unsern Lesern geben, denen bei dem Namen der „Heimlichen Fehme" die Phantasie gleich ein Schauriges Gemälde mittel¬ alterlicher Willkür. Barbarei und Grausamkeit vorstellt. Das ist leicht erklär¬ lich: ihre Vorstellung stammt, wie gesagt, vornehmlich aus Romanen her, welche die Fehmgerichte durchaus als blutdürstige Tribunale schildern. Im Laufe der Zeit aber — und zwar schon mit dem vorigen Jahrhundert — sind eine große Reihe von Urkunden bekanntgeworden, welche die zuverlässigsten Nach¬ richten über die Fehme enthalten: Rechtsbücher. in denen die Grundsätze, nach welchen gerichtet wurde, und das Verfahren, welches man befolgte, genau er¬ örtert sind; Weisihümer, d. h. allgemeine Urtheile, die über zweifelhafte Fragen Auskunft geben; endlich Verhandlungen. Vorladungen. Briefe. Ver- fehmungsurtunden u. f. w., welche sich auf einzelne bei den Fehmgerichten anhängige Processe beziehen. Solche Urkunden finden sich eine Menge in fast allen größern deutschen Archiven; denn die Fehme erstreckte ihre Wirksamkeit fast über das ganze deutsche Reich. Mit den Archiven nun sind auch diese Ur¬ kunden zugänglich geworden, obschon sie an ihrer Stirn meist die warnenden Worte tragen: „Diesen Brief soll niemand lesen oder lesen hören, er sei denn ein echter Freischöffe der heimlichen beschlossenen Acht des heiligen römischen Reiches". Diese Warnung lockt jetzt den Forscher an, statt wie früher zu schrecken. Aus diesen untrüglichen Quellen nun. die bis zur Stunde noch Siegel und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/350>, abgerufen am 24.04.2024.