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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Die bildende Kunst des 19. Jahrhunderts in Frankreich.
(Schluß,)
Die Landschaft.

Wir haben absichtlich aus der bisherigen geschichtlichen Entwicklung die
Landschaft ausgeschieden, um sie nun in ihrem Zusammenhange und dem ihr
eigenthümlichen Verlaufe zu betrachten. Es liegt im Wesen unseres Zeitalters,
das sich aus der Natur zurückgezogen und ebendeshalb einerseits ihre ob¬
jective Schönheit zum Gegenstand der Reflexion gemacht hat, andrerseits nun
doch wieder seine Seelenstimmungen in ihr wiederfinden will, daß es gerne
die selbständige Erscheinung der Landschaft zum Objecte der Kunst macht.
In Frankreich kommt der historische Gang der Malerei hinzu, gerade diesem
Zweige eine bedeutende Ausdehnung zu geben. In wenigen Jahrzehnten hat
die französische Kunst das ganze Reich der Mythe und Geschichte durchlaufen,
selbst die Poesie hat sie in ihren Kreis gezogen. Sie neigte sich, das war
nicht zu verkennen, sowol in der Wahl der Motive als in der Behandlung,
auch wo sie die ideale Anschauung in sich hereinnahm, immer mehr zu dem
lebenswarmen Schein der Wirklichkeit und Gegenwart. Aber der Darstellung
der menschliche" Welt bietet die Ungunst des Zeitalters eine Menge verwickelter
Schwierigkeiten. Was Wunder, daß sich die Kunst die Ausbildung der land¬
schaftlichen Natur angelegen sein ließ und sowol sie selber in ihre", intimsten
Wesen, in ihrem Licht- und Lustspiel zu belauschen, als die Stimmungen des
menschlichen Gemüths in sie hineinzulegen suchte. --

Unter der unbedingten Herrschaft, welche Davids classische Richtung über
die Kunst seines Zeitalters ausübte, fand sich für die Landschaft nnr wenig
Raum und Interesse. David betrachtete die Malerei fast wie eine Angelegen¬
heit des Staates, und nur mit den höchsten Aufgaben sollte sie sich seiner
Ueberzeugung nach beschäftigen. Erst als die Kunst von dieser Strenge nach¬
ließ und sich auf die verschiedenen Gebiete des Lebens ausdehnte, begann die
Landschaft hervorzutreten. Es waren erst nur schüchterne Versuche; Valen-
ciennes. Bidault. I. V. Bertin suchten nach ziemlich treuen Skizzen die
südliche Natur. Watelet mehr die rauhe nordische Landschaft wiederzugeben:
meistens vedutcnartige Bilder von bestimmter Zeichnung, geringem Farben-
reiz und harter, stimmungsloser Behandlung, während man andrerseits noch
hier und da die Natur in prächtigen Compositionen zu überbieten suchte.
Eine eigentliche Neubelebung sollte erst -- im Einklang mit der geschichtlichen
Richtung der Malerei überhaupt -- durch die historische Landschaft ein,


Die bildende Kunst des 19. Jahrhunderts in Frankreich.
(Schluß,)
Die Landschaft.

Wir haben absichtlich aus der bisherigen geschichtlichen Entwicklung die
Landschaft ausgeschieden, um sie nun in ihrem Zusammenhange und dem ihr
eigenthümlichen Verlaufe zu betrachten. Es liegt im Wesen unseres Zeitalters,
das sich aus der Natur zurückgezogen und ebendeshalb einerseits ihre ob¬
jective Schönheit zum Gegenstand der Reflexion gemacht hat, andrerseits nun
doch wieder seine Seelenstimmungen in ihr wiederfinden will, daß es gerne
die selbständige Erscheinung der Landschaft zum Objecte der Kunst macht.
In Frankreich kommt der historische Gang der Malerei hinzu, gerade diesem
Zweige eine bedeutende Ausdehnung zu geben. In wenigen Jahrzehnten hat
die französische Kunst das ganze Reich der Mythe und Geschichte durchlaufen,
selbst die Poesie hat sie in ihren Kreis gezogen. Sie neigte sich, das war
nicht zu verkennen, sowol in der Wahl der Motive als in der Behandlung,
auch wo sie die ideale Anschauung in sich hereinnahm, immer mehr zu dem
lebenswarmen Schein der Wirklichkeit und Gegenwart. Aber der Darstellung
der menschliche» Welt bietet die Ungunst des Zeitalters eine Menge verwickelter
Schwierigkeiten. Was Wunder, daß sich die Kunst die Ausbildung der land¬
schaftlichen Natur angelegen sein ließ und sowol sie selber in ihre», intimsten
Wesen, in ihrem Licht- und Lustspiel zu belauschen, als die Stimmungen des
menschlichen Gemüths in sie hineinzulegen suchte. —

Unter der unbedingten Herrschaft, welche Davids classische Richtung über
die Kunst seines Zeitalters ausübte, fand sich für die Landschaft nnr wenig
Raum und Interesse. David betrachtete die Malerei fast wie eine Angelegen¬
heit des Staates, und nur mit den höchsten Aufgaben sollte sie sich seiner
Ueberzeugung nach beschäftigen. Erst als die Kunst von dieser Strenge nach¬
ließ und sich auf die verschiedenen Gebiete des Lebens ausdehnte, begann die
Landschaft hervorzutreten. Es waren erst nur schüchterne Versuche; Valen-
ciennes. Bidault. I. V. Bertin suchten nach ziemlich treuen Skizzen die
südliche Natur. Watelet mehr die rauhe nordische Landschaft wiederzugeben:
meistens vedutcnartige Bilder von bestimmter Zeichnung, geringem Farben-
reiz und harter, stimmungsloser Behandlung, während man andrerseits noch
hier und da die Natur in prächtigen Compositionen zu überbieten suchte.
Eine eigentliche Neubelebung sollte erst — im Einklang mit der geschichtlichen
Richtung der Malerei überhaupt — durch die historische Landschaft ein,


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[0359] Die bildende Kunst des 19. Jahrhunderts in Frankreich. (Schluß,) Die Landschaft. Wir haben absichtlich aus der bisherigen geschichtlichen Entwicklung die Landschaft ausgeschieden, um sie nun in ihrem Zusammenhange und dem ihr eigenthümlichen Verlaufe zu betrachten. Es liegt im Wesen unseres Zeitalters, das sich aus der Natur zurückgezogen und ebendeshalb einerseits ihre ob¬ jective Schönheit zum Gegenstand der Reflexion gemacht hat, andrerseits nun doch wieder seine Seelenstimmungen in ihr wiederfinden will, daß es gerne die selbständige Erscheinung der Landschaft zum Objecte der Kunst macht. In Frankreich kommt der historische Gang der Malerei hinzu, gerade diesem Zweige eine bedeutende Ausdehnung zu geben. In wenigen Jahrzehnten hat die französische Kunst das ganze Reich der Mythe und Geschichte durchlaufen, selbst die Poesie hat sie in ihren Kreis gezogen. Sie neigte sich, das war nicht zu verkennen, sowol in der Wahl der Motive als in der Behandlung, auch wo sie die ideale Anschauung in sich hereinnahm, immer mehr zu dem lebenswarmen Schein der Wirklichkeit und Gegenwart. Aber der Darstellung der menschliche» Welt bietet die Ungunst des Zeitalters eine Menge verwickelter Schwierigkeiten. Was Wunder, daß sich die Kunst die Ausbildung der land¬ schaftlichen Natur angelegen sein ließ und sowol sie selber in ihre», intimsten Wesen, in ihrem Licht- und Lustspiel zu belauschen, als die Stimmungen des menschlichen Gemüths in sie hineinzulegen suchte. — Unter der unbedingten Herrschaft, welche Davids classische Richtung über die Kunst seines Zeitalters ausübte, fand sich für die Landschaft nnr wenig Raum und Interesse. David betrachtete die Malerei fast wie eine Angelegen¬ heit des Staates, und nur mit den höchsten Aufgaben sollte sie sich seiner Ueberzeugung nach beschäftigen. Erst als die Kunst von dieser Strenge nach¬ ließ und sich auf die verschiedenen Gebiete des Lebens ausdehnte, begann die Landschaft hervorzutreten. Es waren erst nur schüchterne Versuche; Valen- ciennes. Bidault. I. V. Bertin suchten nach ziemlich treuen Skizzen die südliche Natur. Watelet mehr die rauhe nordische Landschaft wiederzugeben: meistens vedutcnartige Bilder von bestimmter Zeichnung, geringem Farben- reiz und harter, stimmungsloser Behandlung, während man andrerseits noch hier und da die Natur in prächtigen Compositionen zu überbieten suchte. Eine eigentliche Neubelebung sollte erst — im Einklang mit der geschichtlichen Richtung der Malerei überhaupt — durch die historische Landschaft ein,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/359>, abgerufen am 29.03.2024.