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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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so daß die Form des Einzelnen kaum noch zu erkennen ist und die Bravour
des "alle" immer mehr hervortritt. In jüngster Zeit sucht Charles Buf-
fon in derselben Richtung seinen Bildern mehr Haltung und Bestimmtheit
zu geben. Nüchtern, wie aus Holz geschnitten und daher unwahr sieht die
Natur in dieser realistischen Nachbildung aus, wenn der körperhafte Schein
der Stoffe zur Hauptsache wird (Barbier, Bim. Harpignies.) --

In der neuesten Kunst ist die Landschaft so reichlich wie keine andere
Gattung vertreten. Die moderne Malerei hat sich auf allen Gebieten des
nur irgend darstellbaren Lebens umgethan und es zu einer großen Tüchtigkeit
in der Darstellung gebracht, aber sie hat in keinem Zweige die Höhepunkte
der Vergangenheit erreicht. Denn es fehlt ihr die Harmlosigkeit der Auffassung
und das innige Verhältniß zum Stoffe. Daher das Bestreben, einerseits die
volle Naturwahrheit zu erreichen, andrerseits durch eine eigenthümliche An-
schauung und Behandlung sich hervorzuthun. Vielleicht erträgt noch die
Landschaft am ehesten eure solche Darstellungsweise von Seiten des Künstlers,
in einzelnen neueren Bildern durchdringt sich der realistische Schein mit ihrer
subjectiven Behandlung zu einer seelenvollen Stimmung. und vielleicht tritt
hier ein neues Element auf, das wenigstens als Durchgangspunkt der Kunst
zu einer neuen Entwicklung führen kann. Aber auch diese Hoffnung ist mehr
als ungewiß; denn die Landschaft stellt sich als der letzte Ausläufer einer nun
schon vergangenen Entwicklung dar, und es wäre eine in der Geschichte neue
Erscheinung, wenn das Ende zugleich ejn Anfang wäre und die Kunst statt
mit der Bildung des Menschen, mit der ins Kleine sich verlierenden- und
keineswegs naiven Darstellung der leblosen Natur eine neue Phase einleitete.'


^. e.


Berliner Briefe.

Bevor diese Zeilen in die Presse gehen können, werden die Wahlmänner in
der ganzen Monarchie gewählt sein. Die Wahlbewegung tritt dann in ein neues
Stadium. In den Versammlungen der Urwähler werden gewöhnlich die politischen
Programme mehr im Allgemeinen discutirt, um die Wahlmänner je nach dem
Verhältniß, welches sie zu den großen Fragen der Gegenwart einnehmen, auszu¬
wählen. Bei den jetzt bevorstehenden Berathungen der Wahlmänner treten die
Personen der Wahlcandidatcn und ihr Verhältniß zu den speciellen Fragen der
nächsten Legislaturperiode mehr in den Vordergrund.

Die größte Bedeutung unter diesen Fragen wird ohne Zweifel wieder die


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so daß die Form des Einzelnen kaum noch zu erkennen ist und die Bravour
des „alle" immer mehr hervortritt. In jüngster Zeit sucht Charles Buf-
fon in derselben Richtung seinen Bildern mehr Haltung und Bestimmtheit
zu geben. Nüchtern, wie aus Holz geschnitten und daher unwahr sieht die
Natur in dieser realistischen Nachbildung aus, wenn der körperhafte Schein
der Stoffe zur Hauptsache wird (Barbier, Bim. Harpignies.) —

In der neuesten Kunst ist die Landschaft so reichlich wie keine andere
Gattung vertreten. Die moderne Malerei hat sich auf allen Gebieten des
nur irgend darstellbaren Lebens umgethan und es zu einer großen Tüchtigkeit
in der Darstellung gebracht, aber sie hat in keinem Zweige die Höhepunkte
der Vergangenheit erreicht. Denn es fehlt ihr die Harmlosigkeit der Auffassung
und das innige Verhältniß zum Stoffe. Daher das Bestreben, einerseits die
volle Naturwahrheit zu erreichen, andrerseits durch eine eigenthümliche An-
schauung und Behandlung sich hervorzuthun. Vielleicht erträgt noch die
Landschaft am ehesten eure solche Darstellungsweise von Seiten des Künstlers,
in einzelnen neueren Bildern durchdringt sich der realistische Schein mit ihrer
subjectiven Behandlung zu einer seelenvollen Stimmung. und vielleicht tritt
hier ein neues Element auf, das wenigstens als Durchgangspunkt der Kunst
zu einer neuen Entwicklung führen kann. Aber auch diese Hoffnung ist mehr
als ungewiß; denn die Landschaft stellt sich als der letzte Ausläufer einer nun
schon vergangenen Entwicklung dar, und es wäre eine in der Geschichte neue
Erscheinung, wenn das Ende zugleich ejn Anfang wäre und die Kunst statt
mit der Bildung des Menschen, mit der ins Kleine sich verlierenden- und
keineswegs naiven Darstellung der leblosen Natur eine neue Phase einleitete.'


^. e.


Berliner Briefe.

Bevor diese Zeilen in die Presse gehen können, werden die Wahlmänner in
der ganzen Monarchie gewählt sein. Die Wahlbewegung tritt dann in ein neues
Stadium. In den Versammlungen der Urwähler werden gewöhnlich die politischen
Programme mehr im Allgemeinen discutirt, um die Wahlmänner je nach dem
Verhältniß, welches sie zu den großen Fragen der Gegenwart einnehmen, auszu¬
wählen. Bei den jetzt bevorstehenden Berathungen der Wahlmänner treten die
Personen der Wahlcandidatcn und ihr Verhältniß zu den speciellen Fragen der
nächsten Legislaturperiode mehr in den Vordergrund.

Die größte Bedeutung unter diesen Fragen wird ohne Zweifel wieder die


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[0365] so daß die Form des Einzelnen kaum noch zu erkennen ist und die Bravour des „alle" immer mehr hervortritt. In jüngster Zeit sucht Charles Buf- fon in derselben Richtung seinen Bildern mehr Haltung und Bestimmtheit zu geben. Nüchtern, wie aus Holz geschnitten und daher unwahr sieht die Natur in dieser realistischen Nachbildung aus, wenn der körperhafte Schein der Stoffe zur Hauptsache wird (Barbier, Bim. Harpignies.) — In der neuesten Kunst ist die Landschaft so reichlich wie keine andere Gattung vertreten. Die moderne Malerei hat sich auf allen Gebieten des nur irgend darstellbaren Lebens umgethan und es zu einer großen Tüchtigkeit in der Darstellung gebracht, aber sie hat in keinem Zweige die Höhepunkte der Vergangenheit erreicht. Denn es fehlt ihr die Harmlosigkeit der Auffassung und das innige Verhältniß zum Stoffe. Daher das Bestreben, einerseits die volle Naturwahrheit zu erreichen, andrerseits durch eine eigenthümliche An- schauung und Behandlung sich hervorzuthun. Vielleicht erträgt noch die Landschaft am ehesten eure solche Darstellungsweise von Seiten des Künstlers, in einzelnen neueren Bildern durchdringt sich der realistische Schein mit ihrer subjectiven Behandlung zu einer seelenvollen Stimmung. und vielleicht tritt hier ein neues Element auf, das wenigstens als Durchgangspunkt der Kunst zu einer neuen Entwicklung führen kann. Aber auch diese Hoffnung ist mehr als ungewiß; denn die Landschaft stellt sich als der letzte Ausläufer einer nun schon vergangenen Entwicklung dar, und es wäre eine in der Geschichte neue Erscheinung, wenn das Ende zugleich ejn Anfang wäre und die Kunst statt mit der Bildung des Menschen, mit der ins Kleine sich verlierenden- und keineswegs naiven Darstellung der leblosen Natur eine neue Phase einleitete.' ^. e. Berliner Briefe. Bevor diese Zeilen in die Presse gehen können, werden die Wahlmänner in der ganzen Monarchie gewählt sein. Die Wahlbewegung tritt dann in ein neues Stadium. In den Versammlungen der Urwähler werden gewöhnlich die politischen Programme mehr im Allgemeinen discutirt, um die Wahlmänner je nach dem Verhältniß, welches sie zu den großen Fragen der Gegenwart einnehmen, auszu¬ wählen. Bei den jetzt bevorstehenden Berathungen der Wahlmänner treten die Personen der Wahlcandidatcn und ihr Verhältniß zu den speciellen Fragen der nächsten Legislaturperiode mehr in den Vordergrund. Die größte Bedeutung unter diesen Fragen wird ohne Zweifel wieder die 45*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/365>, abgerufen am 18.04.2024.