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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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die Hegelsche Schule, wie Raumer in jenem Briefe meint, welche die Kritik
beherrschte, obgleich sie ihr durch Zersetzung der Begriffe bedeutend vorgear¬
beitet hat. Es waren in erster Linie Heine und Börne, dann Menzel und seine
Schule, endlich Gervinus und die zahlreichen Aesthetiker und Geschichtsschrei¬
ber, die in seine Stimmung eingingen. Wie enge Gervinus mit Schlosser
zusammenhängt, ist bekannt, und daraus begreift sich die Abneigung Rau¬
mers gegen diesen Historiker, der zuerst dem hergebrachten Nimbus der ge¬
wöhnlichen Vorstellung als ein Ungläubiger entgegentrat.

Ueber sich selbst hat Raumer ein vortreffliches Wort gesagt: "Ich erlebe
alle Stufen der religiösen, politischen, philosophischen u. s. w. Ansichten,
mein Kopf und mein Herz versenken sich darin, spielen sie. und nicht bloß
äußerlich, und in leerem Scherze, sondern innerlich und ernstlichst durch --
und doch hege ich keine Furcht, daß ich mir selbst ganz abhanden käme, und
nicht mehr der Professor von Raumer wäre!" -- Das Wort charakterisirt ihn
so vollkommen, daß wir damit diese Anzeige schließen.

Nock sei die dritte verbesserte Auflage seines beliebten Werks erwähnt:
"Ueber die geschichtliche Entwickelung der Begriffe von Recht, Staat und Po¬
litik" (Leipzig, Brockhaus). Das Buch ist. was man von einem Lehrbuch
selten sagen kann, im höchsten Grade unterhaltend, und man erfährt doch
ungefähr daraus, was die bedeutendsten Denker des Alterthums, des Mit¬
telalters und der Neuzeit sich über das Staatsleben für Vorstellungen ge¬
Julian Schmidt. macht haben.




Die Denkschrift des Finanzministers Fould.
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,"l,i."'
Dienstag, 12. November, versammelte der Kaiser der Franzosen in den
Tuilerien seine Minister und Räthe zu einer außerordentlichen Sitzung. Zwei
Tage später brachte der Moniteur den Gegenstand und das Ergebniß der
Berathung. Der Gegenstand war eine Denkschrift des frühern Ministers
Fould an den Kaiser über die bedenkliche Finanzwirthschaft, datirt aus Tar-
bes, 29. September. Der Kaiser hatte sich zur Erwägung Zeit genommen;
seine vollständige Zustimmung zu den Ansichten des Herrn Fould war wohl
überlegt. Die Denkschrift wurde im Moniteur abgedruckt. ihr Verfasser über-


die Hegelsche Schule, wie Raumer in jenem Briefe meint, welche die Kritik
beherrschte, obgleich sie ihr durch Zersetzung der Begriffe bedeutend vorgear¬
beitet hat. Es waren in erster Linie Heine und Börne, dann Menzel und seine
Schule, endlich Gervinus und die zahlreichen Aesthetiker und Geschichtsschrei¬
ber, die in seine Stimmung eingingen. Wie enge Gervinus mit Schlosser
zusammenhängt, ist bekannt, und daraus begreift sich die Abneigung Rau¬
mers gegen diesen Historiker, der zuerst dem hergebrachten Nimbus der ge¬
wöhnlichen Vorstellung als ein Ungläubiger entgegentrat.

Ueber sich selbst hat Raumer ein vortreffliches Wort gesagt: „Ich erlebe
alle Stufen der religiösen, politischen, philosophischen u. s. w. Ansichten,
mein Kopf und mein Herz versenken sich darin, spielen sie. und nicht bloß
äußerlich, und in leerem Scherze, sondern innerlich und ernstlichst durch —
und doch hege ich keine Furcht, daß ich mir selbst ganz abhanden käme, und
nicht mehr der Professor von Raumer wäre!" — Das Wort charakterisirt ihn
so vollkommen, daß wir damit diese Anzeige schließen.

Nock sei die dritte verbesserte Auflage seines beliebten Werks erwähnt:
„Ueber die geschichtliche Entwickelung der Begriffe von Recht, Staat und Po¬
litik" (Leipzig, Brockhaus). Das Buch ist. was man von einem Lehrbuch
selten sagen kann, im höchsten Grade unterhaltend, und man erfährt doch
ungefähr daraus, was die bedeutendsten Denker des Alterthums, des Mit¬
telalters und der Neuzeit sich über das Staatsleben für Vorstellungen ge¬
Julian Schmidt. macht haben.




Die Denkschrift des Finanzministers Fould.
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Dienstag, 12. November, versammelte der Kaiser der Franzosen in den
Tuilerien seine Minister und Räthe zu einer außerordentlichen Sitzung. Zwei
Tage später brachte der Moniteur den Gegenstand und das Ergebniß der
Berathung. Der Gegenstand war eine Denkschrift des frühern Ministers
Fould an den Kaiser über die bedenkliche Finanzwirthschaft, datirt aus Tar-
bes, 29. September. Der Kaiser hatte sich zur Erwägung Zeit genommen;
seine vollständige Zustimmung zu den Ansichten des Herrn Fould war wohl
überlegt. Die Denkschrift wurde im Moniteur abgedruckt. ihr Verfasser über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/380>, abgerufen am 19.04.2024.