Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Der gerechte und vollkommene Austermesser.
- '".1,,,.^ ^ < !.

Ich war von einer Reise nach Schleswig-Holstein zurückgekehrt und er
zählte mit einigem Pathos, wie die Schleswiger von den Dänen erst mit
Peitschen, dann mit Skorpionen gezüchtigt worden. Seine großen runden
hellblauen Augen lächelten mich so appetitlich an wie ein Paar der besten
Husumer Austern.

Ich sprach von den betrübenden Zuständen in Kurhessen und hoffte bal.
tige Abhülfe. Sein fettes, weißliches Antlitz mit der glänzenden Glatze da¬
rüber hörte .mit freundlicher Gelassenheit zu, und der nachdenkliche Zug um
den Mund schien sich in Worte der Sympathie auflösen zu wollen, wandelte
sich aber nur in die Frage um: "Chablis oder Porter?"

Ich ging auf die neue Aera in Preußen über, und die wohlwollende
Antwort lautete: "Ja wohl, man genießt sie jetzt wie in England mit Pfeffer.
Versuchen Sie's einmal."

Ich lenkte das Gespräch auf Goethe, von dem er früher viel gehglten.
dann auf Shakespeare, auch einen Liebling von ihm. "Schön." sagte er.
"Aber da wären unsre Freundinnen. Ich sehe, sie sind deliciös. Machen
wir uns jetzt an sie und essen wir mit Andacht."

Diese Unterhaltung fand in einem Hamburger Austernkeller statt und
wird hier mitgetheilt, weil sie Veranlassung zu den Studien und praktischen
Versuchen wurde, deren Ergebniß die folgende Abhandlung ist. Mein Vis
a Vis war eine Bekanntschaft aus Bremen, eine Art Weltweiser, der .mich
vorzüglich deshalb interessirte, weil bei ihm mehr als bei irgend einem der
Zunft Denken und Sein, Reden und Leben übereinstimmte. Er war oder ist
-- denn er existirt noch -- wenn ich's kurz sagen soll, ein Mensch von nicht
gemeiner Bildung, der aber durch irgend eine seltsame Wendung seines Ge¬
schicks erst Hypochonder, dann Gourmand, dann einseitiger Austcrnfreund
wurde und durch lange fortgesetzte geistige und leibliche Versenkung in die
Natur der Auster in starkem Grade selbst Auster geworden zu sein scheint.
Als Gegner ausfallender Behauptungen spricht er nicht leicht direct aus. daß
das Ideal menschlichen Daseins eigentlich die Auster sei, aber er lebt unge¬
fähr, als ob sie es wäre. Ob er sich wirklich durch reichliches Austernver-
speisen den Geist der Auster angegessen hat, oder ob er, mit einer Austern¬
seele geboren, sich zu fleißigem Genuß der verwandten Molluske hingezogen
fand, bleibe dahingestellt. Sicher ist nur, daß er der gerechteste und voll-


Der gerechte und vollkommene Austermesser.
- '".1,,,.^ ^ < !.

Ich war von einer Reise nach Schleswig-Holstein zurückgekehrt und er
zählte mit einigem Pathos, wie die Schleswiger von den Dänen erst mit
Peitschen, dann mit Skorpionen gezüchtigt worden. Seine großen runden
hellblauen Augen lächelten mich so appetitlich an wie ein Paar der besten
Husumer Austern.

Ich sprach von den betrübenden Zuständen in Kurhessen und hoffte bal.
tige Abhülfe. Sein fettes, weißliches Antlitz mit der glänzenden Glatze da¬
rüber hörte .mit freundlicher Gelassenheit zu, und der nachdenkliche Zug um
den Mund schien sich in Worte der Sympathie auflösen zu wollen, wandelte
sich aber nur in die Frage um: „Chablis oder Porter?"

Ich ging auf die neue Aera in Preußen über, und die wohlwollende
Antwort lautete: „Ja wohl, man genießt sie jetzt wie in England mit Pfeffer.
Versuchen Sie's einmal."

Ich lenkte das Gespräch auf Goethe, von dem er früher viel gehglten.
dann auf Shakespeare, auch einen Liebling von ihm. „Schön." sagte er.
„Aber da wären unsre Freundinnen. Ich sehe, sie sind deliciös. Machen
wir uns jetzt an sie und essen wir mit Andacht."

Diese Unterhaltung fand in einem Hamburger Austernkeller statt und
wird hier mitgetheilt, weil sie Veranlassung zu den Studien und praktischen
Versuchen wurde, deren Ergebniß die folgende Abhandlung ist. Mein Vis
a Vis war eine Bekanntschaft aus Bremen, eine Art Weltweiser, der .mich
vorzüglich deshalb interessirte, weil bei ihm mehr als bei irgend einem der
Zunft Denken und Sein, Reden und Leben übereinstimmte. Er war oder ist
— denn er existirt noch — wenn ich's kurz sagen soll, ein Mensch von nicht
gemeiner Bildung, der aber durch irgend eine seltsame Wendung seines Ge¬
schicks erst Hypochonder, dann Gourmand, dann einseitiger Austcrnfreund
wurde und durch lange fortgesetzte geistige und leibliche Versenkung in die
Natur der Auster in starkem Grade selbst Auster geworden zu sein scheint.
Als Gegner ausfallender Behauptungen spricht er nicht leicht direct aus. daß
das Ideal menschlichen Daseins eigentlich die Auster sei, aber er lebt unge¬
fähr, als ob sie es wäre. Ob er sich wirklich durch reichliches Austernver-
speisen den Geist der Auster angegessen hat, oder ob er, mit einer Austern¬
seele geboren, sich zu fleißigem Genuß der verwandten Molluske hingezogen
fand, bleibe dahingestellt. Sicher ist nur, daß er der gerechteste und voll-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0416" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112924"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der gerechte und vollkommene Austermesser.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> - '".1,,,.^ ^ &lt; !.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1243"> Ich war von einer Reise nach Schleswig-Holstein zurückgekehrt und er<lb/>
zählte mit einigem Pathos, wie die Schleswiger von den Dänen erst mit<lb/>
Peitschen, dann mit Skorpionen gezüchtigt worden. Seine großen runden<lb/>
hellblauen Augen lächelten mich so appetitlich an wie ein Paar der besten<lb/>
Husumer Austern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1244"> Ich sprach von den betrübenden Zuständen in Kurhessen und hoffte bal.<lb/>
tige Abhülfe. Sein fettes, weißliches Antlitz mit der glänzenden Glatze da¬<lb/>
rüber hörte .mit freundlicher Gelassenheit zu, und der nachdenkliche Zug um<lb/>
den Mund schien sich in Worte der Sympathie auflösen zu wollen, wandelte<lb/>
sich aber nur in die Frage um: &#x201E;Chablis oder Porter?"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1245"> Ich ging auf die neue Aera in Preußen über, und die wohlwollende<lb/>
Antwort lautete: &#x201E;Ja wohl, man genießt sie jetzt wie in England mit Pfeffer.<lb/>
Versuchen Sie's einmal."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1246"> Ich lenkte das Gespräch auf Goethe, von dem er früher viel gehglten.<lb/>
dann auf Shakespeare, auch einen Liebling von ihm. &#x201E;Schön." sagte er.<lb/>
&#x201E;Aber da wären unsre Freundinnen. Ich sehe, sie sind deliciös. Machen<lb/>
wir uns jetzt an sie und essen wir mit Andacht."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1247" next="#ID_1248"> Diese Unterhaltung fand in einem Hamburger Austernkeller statt und<lb/>
wird hier mitgetheilt, weil sie Veranlassung zu den Studien und praktischen<lb/>
Versuchen wurde, deren Ergebniß die folgende Abhandlung ist. Mein Vis<lb/>
a Vis war eine Bekanntschaft aus Bremen, eine Art Weltweiser, der .mich<lb/>
vorzüglich deshalb interessirte, weil bei ihm mehr als bei irgend einem der<lb/>
Zunft Denken und Sein, Reden und Leben übereinstimmte. Er war oder ist<lb/>
&#x2014; denn er existirt noch &#x2014; wenn ich's kurz sagen soll, ein Mensch von nicht<lb/>
gemeiner Bildung, der aber durch irgend eine seltsame Wendung seines Ge¬<lb/>
schicks erst Hypochonder, dann Gourmand, dann einseitiger Austcrnfreund<lb/>
wurde und durch lange fortgesetzte geistige und leibliche Versenkung in die<lb/>
Natur der Auster in starkem Grade selbst Auster geworden zu sein scheint.<lb/>
Als Gegner ausfallender Behauptungen spricht er nicht leicht direct aus. daß<lb/>
das Ideal menschlichen Daseins eigentlich die Auster sei, aber er lebt unge¬<lb/>
fähr, als ob sie es wäre. Ob er sich wirklich durch reichliches Austernver-<lb/>
speisen den Geist der Auster angegessen hat, oder ob er, mit einer Austern¬<lb/>
seele geboren, sich zu fleißigem Genuß der verwandten Molluske hingezogen<lb/>
fand, bleibe dahingestellt.  Sicher ist nur, daß er der gerechteste und voll-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0416] Der gerechte und vollkommene Austermesser. - '".1,,,.^ ^ < !. Ich war von einer Reise nach Schleswig-Holstein zurückgekehrt und er zählte mit einigem Pathos, wie die Schleswiger von den Dänen erst mit Peitschen, dann mit Skorpionen gezüchtigt worden. Seine großen runden hellblauen Augen lächelten mich so appetitlich an wie ein Paar der besten Husumer Austern. Ich sprach von den betrübenden Zuständen in Kurhessen und hoffte bal. tige Abhülfe. Sein fettes, weißliches Antlitz mit der glänzenden Glatze da¬ rüber hörte .mit freundlicher Gelassenheit zu, und der nachdenkliche Zug um den Mund schien sich in Worte der Sympathie auflösen zu wollen, wandelte sich aber nur in die Frage um: „Chablis oder Porter?" Ich ging auf die neue Aera in Preußen über, und die wohlwollende Antwort lautete: „Ja wohl, man genießt sie jetzt wie in England mit Pfeffer. Versuchen Sie's einmal." Ich lenkte das Gespräch auf Goethe, von dem er früher viel gehglten. dann auf Shakespeare, auch einen Liebling von ihm. „Schön." sagte er. „Aber da wären unsre Freundinnen. Ich sehe, sie sind deliciös. Machen wir uns jetzt an sie und essen wir mit Andacht." Diese Unterhaltung fand in einem Hamburger Austernkeller statt und wird hier mitgetheilt, weil sie Veranlassung zu den Studien und praktischen Versuchen wurde, deren Ergebniß die folgende Abhandlung ist. Mein Vis a Vis war eine Bekanntschaft aus Bremen, eine Art Weltweiser, der .mich vorzüglich deshalb interessirte, weil bei ihm mehr als bei irgend einem der Zunft Denken und Sein, Reden und Leben übereinstimmte. Er war oder ist — denn er existirt noch — wenn ich's kurz sagen soll, ein Mensch von nicht gemeiner Bildung, der aber durch irgend eine seltsame Wendung seines Ge¬ schicks erst Hypochonder, dann Gourmand, dann einseitiger Austcrnfreund wurde und durch lange fortgesetzte geistige und leibliche Versenkung in die Natur der Auster in starkem Grade selbst Auster geworden zu sein scheint. Als Gegner ausfallender Behauptungen spricht er nicht leicht direct aus. daß das Ideal menschlichen Daseins eigentlich die Auster sei, aber er lebt unge¬ fähr, als ob sie es wäre. Ob er sich wirklich durch reichliches Austernver- speisen den Geist der Auster angegessen hat, oder ob er, mit einer Austern¬ seele geboren, sich zu fleißigem Genuß der verwandten Molluske hingezogen fand, bleibe dahingestellt. Sicher ist nur, daß er der gerechteste und voll-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/416
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/416>, abgerufen am 24.04.2024.