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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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dachte Anordnung, die ideale Auffassung, die Vollendung der Erscheinung ver¬
fehlten diesmal ihre Wirkung nicht, mit dem Bilde war auch in Frankreich
Ingres' Ruf gesichert. Indessen der Künstler selber mochte doch fühlen, das;
er an sein Porbild zu eng sich gehalten und daß auch die religiöse Kunst eine
größere Kraft und Fülle und ein freieres Spiel der Phantasie zulasse; er be¬
mühte sich, die Natur nicht mehr ausschließlich mit Raphaels Augen zu sehen.
"Die Marter des Symphorian". eine Arbeit von neun Jahren, vollendet im
Jahre 1834, war schon im Motiv als wunderlose Begebenheit aus der Hei¬
ligengeschichte einer selbständigen und lebensvollen Anschauung günstiger, und
so war auch die Behandlung freier und mehr aus dem Bollen heraus. Die
gefaßte Energie in dem kräftig hinschreitcnden Heiligen, der Contrast der blü¬
henden Jugend mit dem nahen Tode, die ausdrucksvolle anfeuernde Bewe¬
gung der Mutter, die mächtige kühn gezeichnete Gestalt des Prätors, die
mannigfaltig charakterisirte Theilnahme der umgebenden Menge: in allen die¬
sen Zügen verband sich mit der idealen Erscheinung ein tüchtiges, wirkungs¬
volles Leben. Der Maler war von einem ganz richtigen Gefühle geleitet,
als er diesmal mehr an die Weise Michel Angelo's und Sebastian del Piom-
bo's sich anschloß, als an die Raphaels -- vielleicht tritt sogar in manchen
allzukräftigen musculösen Figuren, wie in den Liclmen, zu deutlich die Absicht
hervor, dem Meister des jüngsten Gerichts es nachzuthun; daß er freilich den¬
noch mehr an Raphael in den Werken, in denen derselbe mit Michel Angelo
wetteiferte, in dem Brande von Borgo und den Sibyllen, erinnert, zeigt, wie
sehr er von Natur aus sich zu demselben gezogen fühlte. Immerhin war das
Werk ein neuer Beweis für die tüchtige Durchbildung seines Talentes, ein
Schritt weiter zu einer selbständigen Entwickelung. In späterer Zeit entstand
noch von religiösen Bildern eine Madonna mit der Hostie: in ihr war es be¬
sonders auf die innige Frömmigkeit des Ausdrucks und die seelenvolle An¬
muth der jungfräulichen Mutter abgeshcen.




Literatur.

Das deutsche Volk. Deutsche Geschichte in Wort und Bild. Von Adolph
Streckfuß, Jllnstrirt von L, Löffler. Berlin, Brigt und Lobeck.

Der Text, eine Reihe von solchen Abschnitten aus der deutsche" Geschichte, bei deren
Darstellung sich Belehrung mit Unterhaltung vereinigen ließ, ist ziemlich gut ge¬
schrieben und nach liberalen Grundsätzen abgefaßt. Die eingedruckten Holzschnitte
find zum Theil hübsch gezeichnet. Das Ganze gehört in die populäre Literatur.


dachte Anordnung, die ideale Auffassung, die Vollendung der Erscheinung ver¬
fehlten diesmal ihre Wirkung nicht, mit dem Bilde war auch in Frankreich
Ingres' Ruf gesichert. Indessen der Künstler selber mochte doch fühlen, das;
er an sein Porbild zu eng sich gehalten und daß auch die religiöse Kunst eine
größere Kraft und Fülle und ein freieres Spiel der Phantasie zulasse; er be¬
mühte sich, die Natur nicht mehr ausschließlich mit Raphaels Augen zu sehen.
„Die Marter des Symphorian". eine Arbeit von neun Jahren, vollendet im
Jahre 1834, war schon im Motiv als wunderlose Begebenheit aus der Hei¬
ligengeschichte einer selbständigen und lebensvollen Anschauung günstiger, und
so war auch die Behandlung freier und mehr aus dem Bollen heraus. Die
gefaßte Energie in dem kräftig hinschreitcnden Heiligen, der Contrast der blü¬
henden Jugend mit dem nahen Tode, die ausdrucksvolle anfeuernde Bewe¬
gung der Mutter, die mächtige kühn gezeichnete Gestalt des Prätors, die
mannigfaltig charakterisirte Theilnahme der umgebenden Menge: in allen die¬
sen Zügen verband sich mit der idealen Erscheinung ein tüchtiges, wirkungs¬
volles Leben. Der Maler war von einem ganz richtigen Gefühle geleitet,
als er diesmal mehr an die Weise Michel Angelo's und Sebastian del Piom-
bo's sich anschloß, als an die Raphaels — vielleicht tritt sogar in manchen
allzukräftigen musculösen Figuren, wie in den Liclmen, zu deutlich die Absicht
hervor, dem Meister des jüngsten Gerichts es nachzuthun; daß er freilich den¬
noch mehr an Raphael in den Werken, in denen derselbe mit Michel Angelo
wetteiferte, in dem Brande von Borgo und den Sibyllen, erinnert, zeigt, wie
sehr er von Natur aus sich zu demselben gezogen fühlte. Immerhin war das
Werk ein neuer Beweis für die tüchtige Durchbildung seines Talentes, ein
Schritt weiter zu einer selbständigen Entwickelung. In späterer Zeit entstand
noch von religiösen Bildern eine Madonna mit der Hostie: in ihr war es be¬
sonders auf die innige Frömmigkeit des Ausdrucks und die seelenvolle An¬
muth der jungfräulichen Mutter abgeshcen.




Literatur.

Das deutsche Volk. Deutsche Geschichte in Wort und Bild. Von Adolph
Streckfuß, Jllnstrirt von L, Löffler. Berlin, Brigt und Lobeck.

Der Text, eine Reihe von solchen Abschnitten aus der deutsche« Geschichte, bei deren
Darstellung sich Belehrung mit Unterhaltung vereinigen ließ, ist ziemlich gut ge¬
schrieben und nach liberalen Grundsätzen abgefaßt. Die eingedruckten Holzschnitte
find zum Theil hübsch gezeichnet. Das Ganze gehört in die populäre Literatur.


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[0047] dachte Anordnung, die ideale Auffassung, die Vollendung der Erscheinung ver¬ fehlten diesmal ihre Wirkung nicht, mit dem Bilde war auch in Frankreich Ingres' Ruf gesichert. Indessen der Künstler selber mochte doch fühlen, das; er an sein Porbild zu eng sich gehalten und daß auch die religiöse Kunst eine größere Kraft und Fülle und ein freieres Spiel der Phantasie zulasse; er be¬ mühte sich, die Natur nicht mehr ausschließlich mit Raphaels Augen zu sehen. „Die Marter des Symphorian". eine Arbeit von neun Jahren, vollendet im Jahre 1834, war schon im Motiv als wunderlose Begebenheit aus der Hei¬ ligengeschichte einer selbständigen und lebensvollen Anschauung günstiger, und so war auch die Behandlung freier und mehr aus dem Bollen heraus. Die gefaßte Energie in dem kräftig hinschreitcnden Heiligen, der Contrast der blü¬ henden Jugend mit dem nahen Tode, die ausdrucksvolle anfeuernde Bewe¬ gung der Mutter, die mächtige kühn gezeichnete Gestalt des Prätors, die mannigfaltig charakterisirte Theilnahme der umgebenden Menge: in allen die¬ sen Zügen verband sich mit der idealen Erscheinung ein tüchtiges, wirkungs¬ volles Leben. Der Maler war von einem ganz richtigen Gefühle geleitet, als er diesmal mehr an die Weise Michel Angelo's und Sebastian del Piom- bo's sich anschloß, als an die Raphaels — vielleicht tritt sogar in manchen allzukräftigen musculösen Figuren, wie in den Liclmen, zu deutlich die Absicht hervor, dem Meister des jüngsten Gerichts es nachzuthun; daß er freilich den¬ noch mehr an Raphael in den Werken, in denen derselbe mit Michel Angelo wetteiferte, in dem Brande von Borgo und den Sibyllen, erinnert, zeigt, wie sehr er von Natur aus sich zu demselben gezogen fühlte. Immerhin war das Werk ein neuer Beweis für die tüchtige Durchbildung seines Talentes, ein Schritt weiter zu einer selbständigen Entwickelung. In späterer Zeit entstand noch von religiösen Bildern eine Madonna mit der Hostie: in ihr war es be¬ sonders auf die innige Frömmigkeit des Ausdrucks und die seelenvolle An¬ muth der jungfräulichen Mutter abgeshcen. Literatur. Das deutsche Volk. Deutsche Geschichte in Wort und Bild. Von Adolph Streckfuß, Jllnstrirt von L, Löffler. Berlin, Brigt und Lobeck. Der Text, eine Reihe von solchen Abschnitten aus der deutsche« Geschichte, bei deren Darstellung sich Belehrung mit Unterhaltung vereinigen ließ, ist ziemlich gut ge¬ schrieben und nach liberalen Grundsätzen abgefaßt. Die eingedruckten Holzschnitte find zum Theil hübsch gezeichnet. Das Ganze gehört in die populäre Literatur.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/47>, abgerufen am 29.03.2024.