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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Literatur.

Aus dem Leben eines Volkskämpfers. -- Erinnerungen von Cor-
vin. Vier Bände. Amsterdam, Gebrüder Binger. -- 1861.

Der Versasser -- er nannte sich, bevor er "Volkskämpfer", zu deutsch: Barri-
kad-nmann, wurde, von Corvin-Wiersvitzki -- besitzt das Talent, anschaulich, leben¬
dig und ergötzlich zu erzählen, er hat einen reichlichen Vorrath von Witzen, Schnur¬
ren und Anekdoten bei der Hand, die ersten Kapitel enthalten hübsche Beiträge zur
Culturgeschichte des Adels und des Ofsizicrsstandcs in der Zeit zwischen den Freiheits¬
kriegen und dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms des Vierten, die letzten man¬
ches gute Bild aus jenen Kreisen von 1848 und 1849, die von Jemand aus deren
Mitte als die "Schwefelbande" bezeichnet worden sind. Mit dem "Volkskämpfer"
selbst vermögen wir uns nicht zu befreunden. Mit den Liebhabereien eines Casa-
nova mischt sich in ihm die skandalfrohe Rücksichtslosigkeit eines Vchse, mit
sentimentalen Velleitäten die Keckheit eines Jndustricritters, der erst in Vettern¬
uno Basenprotection, dann in Literatur, dann in zweifelhaften Erfindungen
und zuletzt in Demokratie macht, nachdem vorher Versuche, für die Rückkehr
des Herzogs Karl von Rraunschwcig auf den Thron zu wirken, zu nichts geführt
haben. Daß der "Volkskämpfer" nicht begriff, welch ein ungesundes Leben er
damit enthüllte, würde nicht zu erklären sein, wenn wir nicht annehmen dürsten,
die maßlose Eitelkeit, die sich in allen seinen Mittheilungen spiegelt, habe ihm alles
bei solchem Leben etwa noch übrig gebliebene Urtheil verblendet. Daß diese Er¬
innerungen in ihren Einzelnheiten nur mit großer Vorsicht als Geschichtsquelle zu
brauchen sind, liegt auf der Hand, als Ganzes aber sind sie ein nicht uninteressanter
Beitrag zum Verständniß der Zeit, in der solche Charaktere sich bildeten, eine Rolle
spielen und schließlich sich als Märtyrer betrachten konnten.

Einiges aus meinem Leben, oder Pius der Neunte, Napoleon der
Dritte, die Jesuiten, Italien und Oesterreich. Von H. G. Arckwort. Berlin in
Commission bei Fr. Duncker. 1861.

Ein ebenfalls ungesundes Leben, vielfach herumgeworfen, haltlos, abenteuerlich
und doch im Grunde philisterhaft. Als Knabe in den Katholicismus verlockt, dann
von seiner Einfalt zu den Jesuiten getrieben, aber eben wegen dieser Einfalt vom
Orden nicht zu brauchen, wird der Verfasser Schlüsselsoldat, will dann wieder
Mönch werden, macht aber üble Erfahrungen, läßt sich nach mancherlei Fahrten
in Ancona. nieder und wandert dann vor der italienischen Revolution nach Oestreich
aus. Sein Horizont ist sehr beschränkt, seine Bildung gering, sei Räsonnement
allenthalben trivial, indeß kennt er die niedern Schichten des italienischen Lebens
genau, und seine Schilderungen aus den Kreisen des dortigen Klerus sind zum gro¬
ßen Theil lesenswerth.

Aus dem Leben eines italienischen Patrioten. Denkwürdigkeiten


60*
Literatur.

Aus dem Leben eines Volkskämpfers. — Erinnerungen von Cor-
vin. Vier Bände. Amsterdam, Gebrüder Binger. — 1861.

Der Versasser — er nannte sich, bevor er „Volkskämpfer", zu deutsch: Barri-
kad-nmann, wurde, von Corvin-Wiersvitzki — besitzt das Talent, anschaulich, leben¬
dig und ergötzlich zu erzählen, er hat einen reichlichen Vorrath von Witzen, Schnur¬
ren und Anekdoten bei der Hand, die ersten Kapitel enthalten hübsche Beiträge zur
Culturgeschichte des Adels und des Ofsizicrsstandcs in der Zeit zwischen den Freiheits¬
kriegen und dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms des Vierten, die letzten man¬
ches gute Bild aus jenen Kreisen von 1848 und 1849, die von Jemand aus deren
Mitte als die „Schwefelbande" bezeichnet worden sind. Mit dem „Volkskämpfer"
selbst vermögen wir uns nicht zu befreunden. Mit den Liebhabereien eines Casa-
nova mischt sich in ihm die skandalfrohe Rücksichtslosigkeit eines Vchse, mit
sentimentalen Velleitäten die Keckheit eines Jndustricritters, der erst in Vettern¬
uno Basenprotection, dann in Literatur, dann in zweifelhaften Erfindungen
und zuletzt in Demokratie macht, nachdem vorher Versuche, für die Rückkehr
des Herzogs Karl von Rraunschwcig auf den Thron zu wirken, zu nichts geführt
haben. Daß der „Volkskämpfer" nicht begriff, welch ein ungesundes Leben er
damit enthüllte, würde nicht zu erklären sein, wenn wir nicht annehmen dürsten,
die maßlose Eitelkeit, die sich in allen seinen Mittheilungen spiegelt, habe ihm alles
bei solchem Leben etwa noch übrig gebliebene Urtheil verblendet. Daß diese Er¬
innerungen in ihren Einzelnheiten nur mit großer Vorsicht als Geschichtsquelle zu
brauchen sind, liegt auf der Hand, als Ganzes aber sind sie ein nicht uninteressanter
Beitrag zum Verständniß der Zeit, in der solche Charaktere sich bildeten, eine Rolle
spielen und schließlich sich als Märtyrer betrachten konnten.

Einiges aus meinem Leben, oder Pius der Neunte, Napoleon der
Dritte, die Jesuiten, Italien und Oesterreich. Von H. G. Arckwort. Berlin in
Commission bei Fr. Duncker. 1861.

Ein ebenfalls ungesundes Leben, vielfach herumgeworfen, haltlos, abenteuerlich
und doch im Grunde philisterhaft. Als Knabe in den Katholicismus verlockt, dann
von seiner Einfalt zu den Jesuiten getrieben, aber eben wegen dieser Einfalt vom
Orden nicht zu brauchen, wird der Verfasser Schlüsselsoldat, will dann wieder
Mönch werden, macht aber üble Erfahrungen, läßt sich nach mancherlei Fahrten
in Ancona. nieder und wandert dann vor der italienischen Revolution nach Oestreich
aus. Sein Horizont ist sehr beschränkt, seine Bildung gering, sei Räsonnement
allenthalben trivial, indeß kennt er die niedern Schichten des italienischen Lebens
genau, und seine Schilderungen aus den Kreisen des dortigen Klerus sind zum gro¬
ßen Theil lesenswerth.

Aus dem Leben eines italienischen Patrioten. Denkwürdigkeiten


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[0485] Literatur. Aus dem Leben eines Volkskämpfers. — Erinnerungen von Cor- vin. Vier Bände. Amsterdam, Gebrüder Binger. — 1861. Der Versasser — er nannte sich, bevor er „Volkskämpfer", zu deutsch: Barri- kad-nmann, wurde, von Corvin-Wiersvitzki — besitzt das Talent, anschaulich, leben¬ dig und ergötzlich zu erzählen, er hat einen reichlichen Vorrath von Witzen, Schnur¬ ren und Anekdoten bei der Hand, die ersten Kapitel enthalten hübsche Beiträge zur Culturgeschichte des Adels und des Ofsizicrsstandcs in der Zeit zwischen den Freiheits¬ kriegen und dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms des Vierten, die letzten man¬ ches gute Bild aus jenen Kreisen von 1848 und 1849, die von Jemand aus deren Mitte als die „Schwefelbande" bezeichnet worden sind. Mit dem „Volkskämpfer" selbst vermögen wir uns nicht zu befreunden. Mit den Liebhabereien eines Casa- nova mischt sich in ihm die skandalfrohe Rücksichtslosigkeit eines Vchse, mit sentimentalen Velleitäten die Keckheit eines Jndustricritters, der erst in Vettern¬ uno Basenprotection, dann in Literatur, dann in zweifelhaften Erfindungen und zuletzt in Demokratie macht, nachdem vorher Versuche, für die Rückkehr des Herzogs Karl von Rraunschwcig auf den Thron zu wirken, zu nichts geführt haben. Daß der „Volkskämpfer" nicht begriff, welch ein ungesundes Leben er damit enthüllte, würde nicht zu erklären sein, wenn wir nicht annehmen dürsten, die maßlose Eitelkeit, die sich in allen seinen Mittheilungen spiegelt, habe ihm alles bei solchem Leben etwa noch übrig gebliebene Urtheil verblendet. Daß diese Er¬ innerungen in ihren Einzelnheiten nur mit großer Vorsicht als Geschichtsquelle zu brauchen sind, liegt auf der Hand, als Ganzes aber sind sie ein nicht uninteressanter Beitrag zum Verständniß der Zeit, in der solche Charaktere sich bildeten, eine Rolle spielen und schließlich sich als Märtyrer betrachten konnten. Einiges aus meinem Leben, oder Pius der Neunte, Napoleon der Dritte, die Jesuiten, Italien und Oesterreich. Von H. G. Arckwort. Berlin in Commission bei Fr. Duncker. 1861. Ein ebenfalls ungesundes Leben, vielfach herumgeworfen, haltlos, abenteuerlich und doch im Grunde philisterhaft. Als Knabe in den Katholicismus verlockt, dann von seiner Einfalt zu den Jesuiten getrieben, aber eben wegen dieser Einfalt vom Orden nicht zu brauchen, wird der Verfasser Schlüsselsoldat, will dann wieder Mönch werden, macht aber üble Erfahrungen, läßt sich nach mancherlei Fahrten in Ancona. nieder und wandert dann vor der italienischen Revolution nach Oestreich aus. Sein Horizont ist sehr beschränkt, seine Bildung gering, sei Räsonnement allenthalben trivial, indeß kennt er die niedern Schichten des italienischen Lebens genau, und seine Schilderungen aus den Kreisen des dortigen Klerus sind zum gro¬ ßen Theil lesenswerth. Aus dem Leben eines italienischen Patrioten. Denkwürdigkeiten 60*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/485>, abgerufen am 25.04.2024.