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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Die rechtliche Begründung unserer Reform mit ihren wichtigsten
Folgen.
Nebenbei die Beleuchtung eines ungerechten Angriffs von Karl Welcker. Frankfurt
bei Saucrländer 1861.

Die Blicke der Deutschen richten sich wieder, mehr als es seit langer
Zeit geschehen war, auf Baden. Diplomatische und parlamentarische Acten¬
stücke aus Karlsruhe schmücken, zuweilen an ausgezeichneter Stelle, die
Spalten nordischer Zeitungen, die sonst nicht gewohnt sind, den Borgängen
im Süden ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Eine Eröffnungsrede, Adressen
beider Kammern, Erklärungen Badens am Bundestage werden abgedruckt,
gleichsam den Regierungen und den Ständen anderer deutscher Länder zur
Nachahmung empfohlen.

Das Verfassungsleben in Baden ist verhältnißmäßig alt. liberale Re¬
gierungen sind dort auch schon da gewesen; aber neu ist bei der heu¬
tigen Entwickelung, neu. nicht allein für Baden, daß die Kammern
nicht treiben, sondern folgen, daß die Regierung nicht nachgibt, sondern
leitet. --

Die badische Verfassung datirt von 1818, der erste Landtag von
1819. Das erste Zerwürfniß zwischen Regierung und Ständen ist fast eben
so alt, es entstand durch die Weigerung der Kammer, den Aufwand für das
Militär in der von der Regierung geforderten Höhe zu bewilligen. An der
Forderung von etwas über eine Million (jetzt werden über 2 Millionen be¬
willigt) strich die Kammer von 1821 den Betrag von 50.000 Gi. Es
folgte Auflösung, Reaction, Octroyirung, servile Kammern; zehn Jahre
waren für den Fortschritt verloren.

Das Jahr 1830 brachte einen Thronwechsel, und, nach der fran¬
zösischen Julirevolution, liberale Wahlen, ein Ministerium Winter, streng
bureaukratisch, bürgerfreundlich, constitutionell, doch nicht in des Wor¬
tes verwegenster Bedeutung. Die Namen, welche aus der Wahlurne von
1830 hervorgingen, jagten dem correcten Beamten und dem ruhigen Bür¬
ger nicht- geringern Schrecken ein als die Namen vom 6. December IL61
manchem ängstlichen Gemüthe in Preußen. Und doch ließ sich mit den


Die rechtliche Begründung unserer Reform mit ihren wichtigsten
Folgen.
Nebenbei die Beleuchtung eines ungerechten Angriffs von Karl Welcker. Frankfurt
bei Saucrländer 1861.

Die Blicke der Deutschen richten sich wieder, mehr als es seit langer
Zeit geschehen war, auf Baden. Diplomatische und parlamentarische Acten¬
stücke aus Karlsruhe schmücken, zuweilen an ausgezeichneter Stelle, die
Spalten nordischer Zeitungen, die sonst nicht gewohnt sind, den Borgängen
im Süden ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Eine Eröffnungsrede, Adressen
beider Kammern, Erklärungen Badens am Bundestage werden abgedruckt,
gleichsam den Regierungen und den Ständen anderer deutscher Länder zur
Nachahmung empfohlen.

Das Verfassungsleben in Baden ist verhältnißmäßig alt. liberale Re¬
gierungen sind dort auch schon da gewesen; aber neu ist bei der heu¬
tigen Entwickelung, neu. nicht allein für Baden, daß die Kammern
nicht treiben, sondern folgen, daß die Regierung nicht nachgibt, sondern
leitet. —

Die badische Verfassung datirt von 1818, der erste Landtag von
1819. Das erste Zerwürfniß zwischen Regierung und Ständen ist fast eben
so alt, es entstand durch die Weigerung der Kammer, den Aufwand für das
Militär in der von der Regierung geforderten Höhe zu bewilligen. An der
Forderung von etwas über eine Million (jetzt werden über 2 Millionen be¬
willigt) strich die Kammer von 1821 den Betrag von 50.000 Gi. Es
folgte Auflösung, Reaction, Octroyirung, servile Kammern; zehn Jahre
waren für den Fortschritt verloren.

Das Jahr 1830 brachte einen Thronwechsel, und, nach der fran¬
zösischen Julirevolution, liberale Wahlen, ein Ministerium Winter, streng
bureaukratisch, bürgerfreundlich, constitutionell, doch nicht in des Wor¬
tes verwegenster Bedeutung. Die Namen, welche aus der Wahlurne von
1830 hervorgingen, jagten dem correcten Beamten und dem ruhigen Bür¬
ger nicht- geringern Schrecken ein als die Namen vom 6. December IL61
manchem ängstlichen Gemüthe in Preußen. Und doch ließ sich mit den


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[0511] Die rechtliche Begründung unserer Reform mit ihren wichtigsten Folgen. Nebenbei die Beleuchtung eines ungerechten Angriffs von Karl Welcker. Frankfurt bei Saucrländer 1861. Die Blicke der Deutschen richten sich wieder, mehr als es seit langer Zeit geschehen war, auf Baden. Diplomatische und parlamentarische Acten¬ stücke aus Karlsruhe schmücken, zuweilen an ausgezeichneter Stelle, die Spalten nordischer Zeitungen, die sonst nicht gewohnt sind, den Borgängen im Süden ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Eine Eröffnungsrede, Adressen beider Kammern, Erklärungen Badens am Bundestage werden abgedruckt, gleichsam den Regierungen und den Ständen anderer deutscher Länder zur Nachahmung empfohlen. Das Verfassungsleben in Baden ist verhältnißmäßig alt. liberale Re¬ gierungen sind dort auch schon da gewesen; aber neu ist bei der heu¬ tigen Entwickelung, neu. nicht allein für Baden, daß die Kammern nicht treiben, sondern folgen, daß die Regierung nicht nachgibt, sondern leitet. — Die badische Verfassung datirt von 1818, der erste Landtag von 1819. Das erste Zerwürfniß zwischen Regierung und Ständen ist fast eben so alt, es entstand durch die Weigerung der Kammer, den Aufwand für das Militär in der von der Regierung geforderten Höhe zu bewilligen. An der Forderung von etwas über eine Million (jetzt werden über 2 Millionen be¬ willigt) strich die Kammer von 1821 den Betrag von 50.000 Gi. Es folgte Auflösung, Reaction, Octroyirung, servile Kammern; zehn Jahre waren für den Fortschritt verloren. Das Jahr 1830 brachte einen Thronwechsel, und, nach der fran¬ zösischen Julirevolution, liberale Wahlen, ein Ministerium Winter, streng bureaukratisch, bürgerfreundlich, constitutionell, doch nicht in des Wor¬ tes verwegenster Bedeutung. Die Namen, welche aus der Wahlurne von 1830 hervorgingen, jagten dem correcten Beamten und dem ruhigen Bür¬ ger nicht- geringern Schrecken ein als die Namen vom 6. December IL61 manchem ängstlichen Gemüthe in Preußen. Und doch ließ sich mit den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/511>, abgerufen am 26.04.2024.