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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Die polnische Bewegung und die Deutschen.

Sie tragen silberne Gürtel zu schwarzen Trauerröcken, sie arrangiren stumme
Trauerdiners mit Haselhühnern und Champagner, sie veranstalten Processionen
vornehmer Frauen zu berühmten Muttergottesbildern mit Wagen und Pferden,
damit die müden Pilgerinnen, so oft von der Fußprocession keine Wirkung zu
erwarten ist, einsteigen können. Schwarzgekleidete Damen sitzen an den Kir¬
chenthüren und sammeln für Polen, Seelenmessen werden für patriotische
Märtyrer gehalten, welche noch im Licht der Sonne Tabak rauchend und
Branntwein trinkend umherlungern. Jede Art von dramatischer Schaustellung
wird angewandt, das Volk aufzuregen. Und da die Masse des polnischen
Volkes für die alte Größe Polens schwer zu begeistern ist, und auf die Mehr¬
zahl der Agitatoren ohne besonderes Vertrauen blickt, so wird die Kirche zur
Bundesgenossin geworben, die Geistlichkeit hat bereitwillig ihren Theil an dem
Aufregungsgeschäft übernommen, sie vorzugsweise trägt die Schuld, wenn die
neue Bewegung wieder tausend Unwissende und Vertrauensvolle elend macht.

Aber wie komödiantenhaft das Aussehen der Bewegung ist, welche in
den polnischen Ländern arbeitet. -- die Czechen verdienen eine ganz besondere
Besprechung -- so soll die Art, in welcher sich die gegenwärtige Erregung
patriotischer Seelen zeigt, doch nicht unempfindlich machen gegen den sittlichen
Inhalt, den die Bewegung wenigstens bei vielen Einzelnen unbestritten hat.

Wir Deutsche erfüllen die Pflicht theilnehmender Nachbarn, wenn wir
denen von Russisch-Polen und Galizien ein ehrliches Bedauern darüber aus¬
drücken, daß sie zur Zeit sich noch in so ungemüthlichen Zustande befinden.
Und wir verhehlen ihnen dabei unsere Ansicht nicht, daß der Weg, den sie
jetzt einschlagen, um Polen groß zu machen, von allen möglichen politischen
Operationen die unzweckmäßigste ist, und voraussichtlich ebenso blutig enden
wird, als sie theatralisch begonnen wurde.

Ob es den Polen durch ihre Agitation gelingen wird, die russische Re¬
gierung zu einer mehr oder weniger vollständigen Ablösung Polens von Ru߬
land zu zwingen, darüber wollen wir nicht entscheiden. Sie mögen die gegen¬
wärtige Schwäche Rußlands besser kennen, als wir; sie möge" durch das


Grenzboten IV. 1SL1, 11
Die polnische Bewegung und die Deutschen.

Sie tragen silberne Gürtel zu schwarzen Trauerröcken, sie arrangiren stumme
Trauerdiners mit Haselhühnern und Champagner, sie veranstalten Processionen
vornehmer Frauen zu berühmten Muttergottesbildern mit Wagen und Pferden,
damit die müden Pilgerinnen, so oft von der Fußprocession keine Wirkung zu
erwarten ist, einsteigen können. Schwarzgekleidete Damen sitzen an den Kir¬
chenthüren und sammeln für Polen, Seelenmessen werden für patriotische
Märtyrer gehalten, welche noch im Licht der Sonne Tabak rauchend und
Branntwein trinkend umherlungern. Jede Art von dramatischer Schaustellung
wird angewandt, das Volk aufzuregen. Und da die Masse des polnischen
Volkes für die alte Größe Polens schwer zu begeistern ist, und auf die Mehr¬
zahl der Agitatoren ohne besonderes Vertrauen blickt, so wird die Kirche zur
Bundesgenossin geworben, die Geistlichkeit hat bereitwillig ihren Theil an dem
Aufregungsgeschäft übernommen, sie vorzugsweise trägt die Schuld, wenn die
neue Bewegung wieder tausend Unwissende und Vertrauensvolle elend macht.

Aber wie komödiantenhaft das Aussehen der Bewegung ist, welche in
den polnischen Ländern arbeitet. — die Czechen verdienen eine ganz besondere
Besprechung — so soll die Art, in welcher sich die gegenwärtige Erregung
patriotischer Seelen zeigt, doch nicht unempfindlich machen gegen den sittlichen
Inhalt, den die Bewegung wenigstens bei vielen Einzelnen unbestritten hat.

Wir Deutsche erfüllen die Pflicht theilnehmender Nachbarn, wenn wir
denen von Russisch-Polen und Galizien ein ehrliches Bedauern darüber aus¬
drücken, daß sie zur Zeit sich noch in so ungemüthlichen Zustande befinden.
Und wir verhehlen ihnen dabei unsere Ansicht nicht, daß der Weg, den sie
jetzt einschlagen, um Polen groß zu machen, von allen möglichen politischen
Operationen die unzweckmäßigste ist, und voraussichtlich ebenso blutig enden
wird, als sie theatralisch begonnen wurde.

Ob es den Polen durch ihre Agitation gelingen wird, die russische Re¬
gierung zu einer mehr oder weniger vollständigen Ablösung Polens von Ru߬
land zu zwingen, darüber wollen wir nicht entscheiden. Sie mögen die gegen¬
wärtige Schwäche Rußlands besser kennen, als wir; sie möge» durch das


Grenzboten IV. 1SL1, 11
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[0091] Die polnische Bewegung und die Deutschen. Sie tragen silberne Gürtel zu schwarzen Trauerröcken, sie arrangiren stumme Trauerdiners mit Haselhühnern und Champagner, sie veranstalten Processionen vornehmer Frauen zu berühmten Muttergottesbildern mit Wagen und Pferden, damit die müden Pilgerinnen, so oft von der Fußprocession keine Wirkung zu erwarten ist, einsteigen können. Schwarzgekleidete Damen sitzen an den Kir¬ chenthüren und sammeln für Polen, Seelenmessen werden für patriotische Märtyrer gehalten, welche noch im Licht der Sonne Tabak rauchend und Branntwein trinkend umherlungern. Jede Art von dramatischer Schaustellung wird angewandt, das Volk aufzuregen. Und da die Masse des polnischen Volkes für die alte Größe Polens schwer zu begeistern ist, und auf die Mehr¬ zahl der Agitatoren ohne besonderes Vertrauen blickt, so wird die Kirche zur Bundesgenossin geworben, die Geistlichkeit hat bereitwillig ihren Theil an dem Aufregungsgeschäft übernommen, sie vorzugsweise trägt die Schuld, wenn die neue Bewegung wieder tausend Unwissende und Vertrauensvolle elend macht. Aber wie komödiantenhaft das Aussehen der Bewegung ist, welche in den polnischen Ländern arbeitet. — die Czechen verdienen eine ganz besondere Besprechung — so soll die Art, in welcher sich die gegenwärtige Erregung patriotischer Seelen zeigt, doch nicht unempfindlich machen gegen den sittlichen Inhalt, den die Bewegung wenigstens bei vielen Einzelnen unbestritten hat. Wir Deutsche erfüllen die Pflicht theilnehmender Nachbarn, wenn wir denen von Russisch-Polen und Galizien ein ehrliches Bedauern darüber aus¬ drücken, daß sie zur Zeit sich noch in so ungemüthlichen Zustande befinden. Und wir verhehlen ihnen dabei unsere Ansicht nicht, daß der Weg, den sie jetzt einschlagen, um Polen groß zu machen, von allen möglichen politischen Operationen die unzweckmäßigste ist, und voraussichtlich ebenso blutig enden wird, als sie theatralisch begonnen wurde. Ob es den Polen durch ihre Agitation gelingen wird, die russische Re¬ gierung zu einer mehr oder weniger vollständigen Ablösung Polens von Ru߬ land zu zwingen, darüber wollen wir nicht entscheiden. Sie mögen die gegen¬ wärtige Schwäche Rußlands besser kennen, als wir; sie möge» durch das Grenzboten IV. 1SL1, 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/91>, abgerufen am 25.04.2024.