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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Ein Deutscher in Posen im Jahre 1848.

'Das Folgende ist die Aufzeichnung eines deutschen Landwirths in Posen,
welche derselbe kurz nach den dargestellten Ereignissen niedergeschrieben hat.
Der Redaction ist von den Verwandten des, kurz darauf verstorbenen, pa¬
triotischen Mannes nicht gestattet worden, den Namen des Schreibers zu
nennen. Er wird Vielen in Posen kein Geheimniß sein. Für die Echtheit
der folgenden Mittheilung bürgt die Redaction.*)

"Als im Februar 1848 in Paris die Revolution losbrach, waren die
Polen in unserm Kreise von Allem unterrichtet, und acht Tage bevor die
Bewegung in Berlin entstand, konnten wir mit Gewißheit voraussehen,
was später das Land so in Schrecken setzte. Schon im Februar bil¬
deten sich im Großherzogthum Sicherheitsausschüsse, und die Behörden
kamen immer mehr außer Kraft. Um wenigstens zu erfahren, was vorging,
trat ich in das Sicherheitscomit6 unsers Kreises, brachte bald die jungen
polnischen Hitzköpfe heraus und zog verständige Leute hinein. Indeß was
auch das Comitö beschloß, die jungen Polen gingen unaufhaltsam weiter;
vor uns war immer nur von einem Landsturme zum Schutz gegen Nußland
die Rede, und ich suchte ihnen eine solche Maßregel als lächerlich darzustellen.
Eines Tages aber kamen vom Posener Conn6 "Befehle für Cavalericchess;"
in diesen stand: und wenn die preußische Cavalerie kommt, so reitet sie zu
Boden. Da sprang ich empört auf, zerriß die Wische, warf sie in das Ka¬
min und erklärte mein Austreten, indem ich sagte, daß ich Preuße mit Hand
und Herz sei und sie sämmtlich in mir ihren größten Feind finden würden.
Auf dieses Losbrechen ging die Versammlung auseinander; die älteren Herren
gaben mir ganz Recht; die jünger" sahen verdutzt aus. Ich aber war wü¬
thend und sagte mich von der ganzen Gesellschaft los. Es wurden mehrfache
Versuche gemacht, meinen Entschluß zu ändern, aber vergeblich.

So stand es; da kommt eines Tages der Mieroslawsky auf meinen
Ho,f gesprengt und ruft: "Die Russen kommen! Die Russen kommen!"



'1 Dieselbe Aufzeichnung war dem Verfasser des Romans "Soll und Haben" bekannt,
und er hat einige kleine Züge aus derselben für seinen Zweck verwerthet. Unserem Leser wird
die Mittheilung der wirklichen Verhältnisse el" anderes, durchaus nicht geringeres Interesse habe".
Grenzboten I, 1862, 21
Ein Deutscher in Posen im Jahre 1848.

'Das Folgende ist die Aufzeichnung eines deutschen Landwirths in Posen,
welche derselbe kurz nach den dargestellten Ereignissen niedergeschrieben hat.
Der Redaction ist von den Verwandten des, kurz darauf verstorbenen, pa¬
triotischen Mannes nicht gestattet worden, den Namen des Schreibers zu
nennen. Er wird Vielen in Posen kein Geheimniß sein. Für die Echtheit
der folgenden Mittheilung bürgt die Redaction.*)

„Als im Februar 1848 in Paris die Revolution losbrach, waren die
Polen in unserm Kreise von Allem unterrichtet, und acht Tage bevor die
Bewegung in Berlin entstand, konnten wir mit Gewißheit voraussehen,
was später das Land so in Schrecken setzte. Schon im Februar bil¬
deten sich im Großherzogthum Sicherheitsausschüsse, und die Behörden
kamen immer mehr außer Kraft. Um wenigstens zu erfahren, was vorging,
trat ich in das Sicherheitscomit6 unsers Kreises, brachte bald die jungen
polnischen Hitzköpfe heraus und zog verständige Leute hinein. Indeß was
auch das Comitö beschloß, die jungen Polen gingen unaufhaltsam weiter;
vor uns war immer nur von einem Landsturme zum Schutz gegen Nußland
die Rede, und ich suchte ihnen eine solche Maßregel als lächerlich darzustellen.
Eines Tages aber kamen vom Posener Conn6 „Befehle für Cavalericchess;"
in diesen stand: und wenn die preußische Cavalerie kommt, so reitet sie zu
Boden. Da sprang ich empört auf, zerriß die Wische, warf sie in das Ka¬
min und erklärte mein Austreten, indem ich sagte, daß ich Preuße mit Hand
und Herz sei und sie sämmtlich in mir ihren größten Feind finden würden.
Auf dieses Losbrechen ging die Versammlung auseinander; die älteren Herren
gaben mir ganz Recht; die jünger« sahen verdutzt aus. Ich aber war wü¬
thend und sagte mich von der ganzen Gesellschaft los. Es wurden mehrfache
Versuche gemacht, meinen Entschluß zu ändern, aber vergeblich.

So stand es; da kommt eines Tages der Mieroslawsky auf meinen
Ho,f gesprengt und ruft: „Die Russen kommen! Die Russen kommen!"



'1 Dieselbe Aufzeichnung war dem Verfasser des Romans „Soll und Haben" bekannt,
und er hat einige kleine Züge aus derselben für seinen Zweck verwerthet. Unserem Leser wird
die Mittheilung der wirklichen Verhältnisse el» anderes, durchaus nicht geringeres Interesse habe».
Grenzboten I, 1862, 21
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[0169] Ein Deutscher in Posen im Jahre 1848. 'Das Folgende ist die Aufzeichnung eines deutschen Landwirths in Posen, welche derselbe kurz nach den dargestellten Ereignissen niedergeschrieben hat. Der Redaction ist von den Verwandten des, kurz darauf verstorbenen, pa¬ triotischen Mannes nicht gestattet worden, den Namen des Schreibers zu nennen. Er wird Vielen in Posen kein Geheimniß sein. Für die Echtheit der folgenden Mittheilung bürgt die Redaction.*) „Als im Februar 1848 in Paris die Revolution losbrach, waren die Polen in unserm Kreise von Allem unterrichtet, und acht Tage bevor die Bewegung in Berlin entstand, konnten wir mit Gewißheit voraussehen, was später das Land so in Schrecken setzte. Schon im Februar bil¬ deten sich im Großherzogthum Sicherheitsausschüsse, und die Behörden kamen immer mehr außer Kraft. Um wenigstens zu erfahren, was vorging, trat ich in das Sicherheitscomit6 unsers Kreises, brachte bald die jungen polnischen Hitzköpfe heraus und zog verständige Leute hinein. Indeß was auch das Comitö beschloß, die jungen Polen gingen unaufhaltsam weiter; vor uns war immer nur von einem Landsturme zum Schutz gegen Nußland die Rede, und ich suchte ihnen eine solche Maßregel als lächerlich darzustellen. Eines Tages aber kamen vom Posener Conn6 „Befehle für Cavalericchess;" in diesen stand: und wenn die preußische Cavalerie kommt, so reitet sie zu Boden. Da sprang ich empört auf, zerriß die Wische, warf sie in das Ka¬ min und erklärte mein Austreten, indem ich sagte, daß ich Preuße mit Hand und Herz sei und sie sämmtlich in mir ihren größten Feind finden würden. Auf dieses Losbrechen ging die Versammlung auseinander; die älteren Herren gaben mir ganz Recht; die jünger« sahen verdutzt aus. Ich aber war wü¬ thend und sagte mich von der ganzen Gesellschaft los. Es wurden mehrfache Versuche gemacht, meinen Entschluß zu ändern, aber vergeblich. So stand es; da kommt eines Tages der Mieroslawsky auf meinen Ho,f gesprengt und ruft: „Die Russen kommen! Die Russen kommen!" '1 Dieselbe Aufzeichnung war dem Verfasser des Romans „Soll und Haben" bekannt, und er hat einige kleine Züge aus derselben für seinen Zweck verwerthet. Unserem Leser wird die Mittheilung der wirklichen Verhältnisse el» anderes, durchaus nicht geringeres Interesse habe». Grenzboten I, 1862, 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/169>, abgerufen am 27.04.2024.