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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Preußen und die deutsche Frage.

Eine Woche großer politischer Aufregung ist den Deutschen vorüberge-
gangen. Nicht die Parteien im Volke, sondern in den Kabinetten haben ein
Kampfgetöse verursacht, welches durch ganz Europa schallte und Folgen nach
sich ziehen muß. an welche der Verfertiger jener gleichlautenden Noten schwer¬
lich gedacht hat.

Die Partei deutscher Patrioten, deren Interessen auch d. Bl. dient, hat
jede Ursache, dem Grafen Nechberg, soweit er Ucheber dieser unerwarteten
Lebensäußerungen war, ihren Dank auszusprechen. Ob derselbe sich als
Leiter der auswärtigen Angelegenheiten des Kaiserstaats den Dank der Völker
Oestreichs verdient hat, mögen Andere beurtheilen, uns hat er mehremal bei
diplomatischen Acten eine ungewöhnliche Eigenschaft bewährt, die Eigenschaft,
seinen Gegnern größere Dienste zu leisten, als sie sich selbst zu leisten in der Lage
waren. -- von dem geheimnißvollen Brief bei dem Frieden von Villaframa und
jenen seltsamen Manifesten des 12. Juli 1859 an. welche den preußischen Hof und
die preußische Armee so tief verletzten, daß seitdem kaum noch von einer östreichi¬
schen Partei in diesen Kreisen die Rede sein konnte, bis zu der unhöflichen Note
gegen das kleine Coburg, welche dort die Bürger so sehr kränkte, daß vornehmlich
deshalb die vielbesprochene Militärconvention mit Preußen bereitwillige An¬
nahme fand. Jetzt wieder ist durch eine unerwartete Offensivbcwegung der
kaiserlichen Regierung und der Würzburger das Selbstgefühl der preußischen
Regierung und ihres Volkes so kräftig aufgeregt worden, daß die Ruhe und
der leise Schlummer, in welche die deutsche Frage zu fallen drohte, hoffentlich
für lange zerstört worden ist. Mit Recht sieht die deutsche Presse in den gleich¬
lautenden Noten ein folgenschweres Ereigniß, welches die Entwickelung der
großen deutschen Angelegenheit um einige Schritte fördern muß.

Die Lage war vor den Noten für die östreichische Partei so günstig, als
eine Partei nur wünschen kann, welche gegen einzelne höchste Bedürfnisse des
Volkes zu reagiren genöthigt ist und deshalb auf bedeutende Erfolge und sichere
Siege überhaupt nicht zu hoffen hat. Es war Aussicht, die gegenwärtige
Lage auf Jahre zu conserviren. Preußen ist in einer innern Bewegung be¬
griffen, welche die junge ungeübte Volkskraft dieses Staates auf einige Zeit für
die eigenen Angelegenheiten in Anspruch nehmen mochte. Die Negierung,
nicht ohne Mißtrauen gegen die Stimmungen und Wünsche der drängenden
Parteien, hatte mehrere Momente, in denen sie geneigter war. sich die In-


Grenzboten I. 1862. 41
Preußen und die deutsche Frage.

Eine Woche großer politischer Aufregung ist den Deutschen vorüberge-
gangen. Nicht die Parteien im Volke, sondern in den Kabinetten haben ein
Kampfgetöse verursacht, welches durch ganz Europa schallte und Folgen nach
sich ziehen muß. an welche der Verfertiger jener gleichlautenden Noten schwer¬
lich gedacht hat.

Die Partei deutscher Patrioten, deren Interessen auch d. Bl. dient, hat
jede Ursache, dem Grafen Nechberg, soweit er Ucheber dieser unerwarteten
Lebensäußerungen war, ihren Dank auszusprechen. Ob derselbe sich als
Leiter der auswärtigen Angelegenheiten des Kaiserstaats den Dank der Völker
Oestreichs verdient hat, mögen Andere beurtheilen, uns hat er mehremal bei
diplomatischen Acten eine ungewöhnliche Eigenschaft bewährt, die Eigenschaft,
seinen Gegnern größere Dienste zu leisten, als sie sich selbst zu leisten in der Lage
waren. — von dem geheimnißvollen Brief bei dem Frieden von Villaframa und
jenen seltsamen Manifesten des 12. Juli 1859 an. welche den preußischen Hof und
die preußische Armee so tief verletzten, daß seitdem kaum noch von einer östreichi¬
schen Partei in diesen Kreisen die Rede sein konnte, bis zu der unhöflichen Note
gegen das kleine Coburg, welche dort die Bürger so sehr kränkte, daß vornehmlich
deshalb die vielbesprochene Militärconvention mit Preußen bereitwillige An¬
nahme fand. Jetzt wieder ist durch eine unerwartete Offensivbcwegung der
kaiserlichen Regierung und der Würzburger das Selbstgefühl der preußischen
Regierung und ihres Volkes so kräftig aufgeregt worden, daß die Ruhe und
der leise Schlummer, in welche die deutsche Frage zu fallen drohte, hoffentlich
für lange zerstört worden ist. Mit Recht sieht die deutsche Presse in den gleich¬
lautenden Noten ein folgenschweres Ereigniß, welches die Entwickelung der
großen deutschen Angelegenheit um einige Schritte fördern muß.

Die Lage war vor den Noten für die östreichische Partei so günstig, als
eine Partei nur wünschen kann, welche gegen einzelne höchste Bedürfnisse des
Volkes zu reagiren genöthigt ist und deshalb auf bedeutende Erfolge und sichere
Siege überhaupt nicht zu hoffen hat. Es war Aussicht, die gegenwärtige
Lage auf Jahre zu conserviren. Preußen ist in einer innern Bewegung be¬
griffen, welche die junge ungeübte Volkskraft dieses Staates auf einige Zeit für
die eigenen Angelegenheiten in Anspruch nehmen mochte. Die Negierung,
nicht ohne Mißtrauen gegen die Stimmungen und Wünsche der drängenden
Parteien, hatte mehrere Momente, in denen sie geneigter war. sich die In-


Grenzboten I. 1862. 41
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[0329] Preußen und die deutsche Frage. Eine Woche großer politischer Aufregung ist den Deutschen vorüberge- gangen. Nicht die Parteien im Volke, sondern in den Kabinetten haben ein Kampfgetöse verursacht, welches durch ganz Europa schallte und Folgen nach sich ziehen muß. an welche der Verfertiger jener gleichlautenden Noten schwer¬ lich gedacht hat. Die Partei deutscher Patrioten, deren Interessen auch d. Bl. dient, hat jede Ursache, dem Grafen Nechberg, soweit er Ucheber dieser unerwarteten Lebensäußerungen war, ihren Dank auszusprechen. Ob derselbe sich als Leiter der auswärtigen Angelegenheiten des Kaiserstaats den Dank der Völker Oestreichs verdient hat, mögen Andere beurtheilen, uns hat er mehremal bei diplomatischen Acten eine ungewöhnliche Eigenschaft bewährt, die Eigenschaft, seinen Gegnern größere Dienste zu leisten, als sie sich selbst zu leisten in der Lage waren. — von dem geheimnißvollen Brief bei dem Frieden von Villaframa und jenen seltsamen Manifesten des 12. Juli 1859 an. welche den preußischen Hof und die preußische Armee so tief verletzten, daß seitdem kaum noch von einer östreichi¬ schen Partei in diesen Kreisen die Rede sein konnte, bis zu der unhöflichen Note gegen das kleine Coburg, welche dort die Bürger so sehr kränkte, daß vornehmlich deshalb die vielbesprochene Militärconvention mit Preußen bereitwillige An¬ nahme fand. Jetzt wieder ist durch eine unerwartete Offensivbcwegung der kaiserlichen Regierung und der Würzburger das Selbstgefühl der preußischen Regierung und ihres Volkes so kräftig aufgeregt worden, daß die Ruhe und der leise Schlummer, in welche die deutsche Frage zu fallen drohte, hoffentlich für lange zerstört worden ist. Mit Recht sieht die deutsche Presse in den gleich¬ lautenden Noten ein folgenschweres Ereigniß, welches die Entwickelung der großen deutschen Angelegenheit um einige Schritte fördern muß. Die Lage war vor den Noten für die östreichische Partei so günstig, als eine Partei nur wünschen kann, welche gegen einzelne höchste Bedürfnisse des Volkes zu reagiren genöthigt ist und deshalb auf bedeutende Erfolge und sichere Siege überhaupt nicht zu hoffen hat. Es war Aussicht, die gegenwärtige Lage auf Jahre zu conserviren. Preußen ist in einer innern Bewegung be¬ griffen, welche die junge ungeübte Volkskraft dieses Staates auf einige Zeit für die eigenen Angelegenheiten in Anspruch nehmen mochte. Die Negierung, nicht ohne Mißtrauen gegen die Stimmungen und Wünsche der drängenden Parteien, hatte mehrere Momente, in denen sie geneigter war. sich die In- Grenzboten I. 1862. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/329>, abgerufen am 28.04.2024.