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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Die deutsche Frage und das preußische Abgeordnetenhaus.

Das größte politische Interesse der vergangenen Woche haftete in Berlin
an der deutschen Commission des Abgeordnetenhauses und an den Ver¬
handlungen, welche zwischen dieser Commission und dem Minister des Aus¬
wärtigen stattgefunden haben. Vergegenwärtigen wir zunächst die Thatsachen.

(5s waren drei verschiedene Anträge zur deutschen Frage eingebracht
worden: von der Fraction Grabow, von der Fortschrittspartei und von einer
Anzahl liberaler rheinischer Abgeordneter. Die drei Anträge unterscheiden sich
mehr durch die Form als durch den Inhalt. Der Grundgedanke war bei
allen drei übereinstimmend die Aufrechterhaltung des bisherigen weiteren Bun¬
desverhältnisses mit Oestreich, die bundesstaatliche Einigung des außeröstrci-
chischen Dentschland nnter preußischer Hegemonie, dle Begründung einer
gemeinsamen deutschen Volksvertretung neben der Ccnlralregierung, welcher
die militärische, diplomatische und handelspolitische Führung des gesammten
Deutichland zu übertragen ist. Der Unterschied der drei Anträge lag theils
in der größeren oder geringeren Schärfe, mit welcher der Gedanke der bun¬
desstaatlichen Einigung ausgesprochen war, theils in den bei" eigentlichen Re¬
solutionsantrag vorausgeschickten motivirendrn Erwägungen. Der Antrag der
Fraction Grabow schloß sich in seinem ganzen Geoankengaugc sehr nahe den
Ideen an. welche Graf Bernstorff in seiner bekannten Depesche vom 20. Decbr.
v. I. entwickelt hat. Namentlich wurde das Necht zur Eonstituimug eines
engeren Bundes aus dem im Artikel 11 der Bundesacte den einzelnen Staa¬
ten gewährten Bündnißrccht abgeleitet. Der Antrag der Fortschrittspartei
"nimmt die militärische, diplomatische und handelspolitlschc Führung in dem
zu bildenden deutschen Bundesstaat, unbeschadet der inneren Selbständigkeit
der Einzelstaaten, für die Krone Preußen in Anspruch, will aber zugleich für.
Freiheit und Recht der Nation durch die deutsche Volksvertretung die unerlä߬
lichen Garantieen schaffen." Dies ist nichts Anderes, als was auch die Frac-
tion Grabow will; aber die Fortschrittspartei bezeichnet die Bundesreform als
ein "unveräußerliches Recht der Nation"; sie begründet das Necht zur bundes¬
staatlichen Einigung nicht auf den Artikel 11 der Bundesacte, sondern auf
das nationale Bedürfniß; sie spricht von einem "nur thatsächlich bestehenden Bun-
destag". während die Regierung bekanntlich den Bundestag als zu Recht be-


Grenzboten I. 1S62. 51
Die deutsche Frage und das preußische Abgeordnetenhaus.

Das größte politische Interesse der vergangenen Woche haftete in Berlin
an der deutschen Commission des Abgeordnetenhauses und an den Ver¬
handlungen, welche zwischen dieser Commission und dem Minister des Aus¬
wärtigen stattgefunden haben. Vergegenwärtigen wir zunächst die Thatsachen.

(5s waren drei verschiedene Anträge zur deutschen Frage eingebracht
worden: von der Fraction Grabow, von der Fortschrittspartei und von einer
Anzahl liberaler rheinischer Abgeordneter. Die drei Anträge unterscheiden sich
mehr durch die Form als durch den Inhalt. Der Grundgedanke war bei
allen drei übereinstimmend die Aufrechterhaltung des bisherigen weiteren Bun¬
desverhältnisses mit Oestreich, die bundesstaatliche Einigung des außeröstrci-
chischen Dentschland nnter preußischer Hegemonie, dle Begründung einer
gemeinsamen deutschen Volksvertretung neben der Ccnlralregierung, welcher
die militärische, diplomatische und handelspolitische Führung des gesammten
Deutichland zu übertragen ist. Der Unterschied der drei Anträge lag theils
in der größeren oder geringeren Schärfe, mit welcher der Gedanke der bun¬
desstaatlichen Einigung ausgesprochen war, theils in den bei» eigentlichen Re¬
solutionsantrag vorausgeschickten motivirendrn Erwägungen. Der Antrag der
Fraction Grabow schloß sich in seinem ganzen Geoankengaugc sehr nahe den
Ideen an. welche Graf Bernstorff in seiner bekannten Depesche vom 20. Decbr.
v. I. entwickelt hat. Namentlich wurde das Necht zur Eonstituimug eines
engeren Bundes aus dem im Artikel 11 der Bundesacte den einzelnen Staa¬
ten gewährten Bündnißrccht abgeleitet. Der Antrag der Fortschrittspartei
„nimmt die militärische, diplomatische und handelspolitlschc Führung in dem
zu bildenden deutschen Bundesstaat, unbeschadet der inneren Selbständigkeit
der Einzelstaaten, für die Krone Preußen in Anspruch, will aber zugleich für.
Freiheit und Recht der Nation durch die deutsche Volksvertretung die unerlä߬
lichen Garantieen schaffen." Dies ist nichts Anderes, als was auch die Frac-
tion Grabow will; aber die Fortschrittspartei bezeichnet die Bundesreform als
ein „unveräußerliches Recht der Nation"; sie begründet das Necht zur bundes¬
staatlichen Einigung nicht auf den Artikel 11 der Bundesacte, sondern auf
das nationale Bedürfniß; sie spricht von einem „nur thatsächlich bestehenden Bun-
destag". während die Regierung bekanntlich den Bundestag als zu Recht be-


Grenzboten I. 1S62. 51
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[0409] Die deutsche Frage und das preußische Abgeordnetenhaus. Das größte politische Interesse der vergangenen Woche haftete in Berlin an der deutschen Commission des Abgeordnetenhauses und an den Ver¬ handlungen, welche zwischen dieser Commission und dem Minister des Aus¬ wärtigen stattgefunden haben. Vergegenwärtigen wir zunächst die Thatsachen. (5s waren drei verschiedene Anträge zur deutschen Frage eingebracht worden: von der Fraction Grabow, von der Fortschrittspartei und von einer Anzahl liberaler rheinischer Abgeordneter. Die drei Anträge unterscheiden sich mehr durch die Form als durch den Inhalt. Der Grundgedanke war bei allen drei übereinstimmend die Aufrechterhaltung des bisherigen weiteren Bun¬ desverhältnisses mit Oestreich, die bundesstaatliche Einigung des außeröstrci- chischen Dentschland nnter preußischer Hegemonie, dle Begründung einer gemeinsamen deutschen Volksvertretung neben der Ccnlralregierung, welcher die militärische, diplomatische und handelspolitische Führung des gesammten Deutichland zu übertragen ist. Der Unterschied der drei Anträge lag theils in der größeren oder geringeren Schärfe, mit welcher der Gedanke der bun¬ desstaatlichen Einigung ausgesprochen war, theils in den bei» eigentlichen Re¬ solutionsantrag vorausgeschickten motivirendrn Erwägungen. Der Antrag der Fraction Grabow schloß sich in seinem ganzen Geoankengaugc sehr nahe den Ideen an. welche Graf Bernstorff in seiner bekannten Depesche vom 20. Decbr. v. I. entwickelt hat. Namentlich wurde das Necht zur Eonstituimug eines engeren Bundes aus dem im Artikel 11 der Bundesacte den einzelnen Staa¬ ten gewährten Bündnißrccht abgeleitet. Der Antrag der Fortschrittspartei „nimmt die militärische, diplomatische und handelspolitlschc Führung in dem zu bildenden deutschen Bundesstaat, unbeschadet der inneren Selbständigkeit der Einzelstaaten, für die Krone Preußen in Anspruch, will aber zugleich für. Freiheit und Recht der Nation durch die deutsche Volksvertretung die unerlä߬ lichen Garantieen schaffen." Dies ist nichts Anderes, als was auch die Frac- tion Grabow will; aber die Fortschrittspartei bezeichnet die Bundesreform als ein „unveräußerliches Recht der Nation"; sie begründet das Necht zur bundes¬ staatlichen Einigung nicht auf den Artikel 11 der Bundesacte, sondern auf das nationale Bedürfniß; sie spricht von einem „nur thatsächlich bestehenden Bun- destag". während die Regierung bekanntlich den Bundestag als zu Recht be- Grenzboten I. 1S62. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/409>, abgerufen am 28.04.2024.