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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Der Ministem echsel in Preußen.

Die Entscheidung ist schneller gekommen, als sie erwartet wurde, der
liberale Theil des Ministeriums ist zurückgetreten: die Majorität der Herren von
Auerswald, von Patow, Graf Piickler, Graf Schwerin, von Bernuth hat sich
weniger einflußreich erwiesen, als die Minorität, in welcher freilich die Mini¬
sterien des Auswärtigen und des Krieges sind, bei denen der persönliche Wille
des Monarchen sich in Preußen am meisten geltend macht.

Mit Theilnahme wird das preußische Volk den letzten Entschluß der
genannten Herren begrüßen. Wir sind nicht so reich an Namen und Kräf¬
ten, daß es uns gleichgültig gewesen wäre, wenn sie in einem fruchtlosen
Kampf ohne Freude, Anerkennung und Erfolg sich aufgerieben hätten und der
liberalen Partei verloren wären. Die Wächter ihrer politischen Ehre mußten
sie selbst sein. In ihrem eigenen Gewissen hatten sie zu entscheiden, wie weit
sie ihre Privatübcrzeugungen der übernommenen Aufgabe opfern durften.
Aber auch ihnen kann nicht verborgen geblieben sein, daß ihre treuesten An¬
hänger schon längst die Stunde gekommen glaubten, wo den Ministern die
Pflicht gegen die großen politischen Grundsätze, welche sonst ihr öffentliches
Leben adelten, geboten hätte, entweder im vertrauten Rath der Krone mit
Entschlossenheit ihre Forderungen durchzusetzen, oder zu resigniren. Die Preußen
sind nicht mehr in der Lage, mit ihnen zu grollen, daß sie den nothwen¬
digen Entschluß nicht früher gefaßt. Man weiß, daß es kein persönlicher Ehr¬
geiz war, der sie so lange zögern ließ. Und das Volk ist jetzt in der Stimmung,
ihnen öffentlich dafür zu danken, daß sie ihrer Pflicht eingedenk waren, und
daß sie sich für unsere Zukunft möglich erhalten haben.

Denn die Aufgabe, welche sie sich gestellt hatten, war in der Weise,
wie sie dieselbe erfaßten, unlösbar. Der Versuch mußte ohne wesentlichen
Nutzen für den Staat, für sie selbst mit peinlichen und niederbeugenden Em¬
pfindungen enden. Was sie an ihre Aemter fesselte: Dank für das persönliche
Vertrauen, das ihr erlauchter Herr ihnen gewährte, Dank dafür, daß er dem
heillosen Mißregiment der kranken Zeit ein Ende gemacht, endlich loyale Hoff¬
nung, die Krone selbst und ihre alten Hcrschertraditionen mit der neuen Zeit
allmälig zu versöhnen, das war ein System gemüthvoller und idealer Stim¬
mungen, aber ihm fehlten zu sehr einige von den Bedingungen, welche eine kräf¬
tige reale Thätigkeit möglich gemacht hätten. Es ist wahr, einige der frühern
Minister hatten jahrelang als Führer der liberalen Partei gegen vergangene
Regierungen gekämpft, aber sie waren nicht als Parteiführer, gestützt und ge¬
halten durch die Majorität der Volksvertreter, in die Ministerien getreten, sie
waren plötzlich aus dem Privatleben in die Nähe ihres Königs gestellt worden.


Grenzlwten I. 1S62. 66
Der Ministem echsel in Preußen.

Die Entscheidung ist schneller gekommen, als sie erwartet wurde, der
liberale Theil des Ministeriums ist zurückgetreten: die Majorität der Herren von
Auerswald, von Patow, Graf Piickler, Graf Schwerin, von Bernuth hat sich
weniger einflußreich erwiesen, als die Minorität, in welcher freilich die Mini¬
sterien des Auswärtigen und des Krieges sind, bei denen der persönliche Wille
des Monarchen sich in Preußen am meisten geltend macht.

Mit Theilnahme wird das preußische Volk den letzten Entschluß der
genannten Herren begrüßen. Wir sind nicht so reich an Namen und Kräf¬
ten, daß es uns gleichgültig gewesen wäre, wenn sie in einem fruchtlosen
Kampf ohne Freude, Anerkennung und Erfolg sich aufgerieben hätten und der
liberalen Partei verloren wären. Die Wächter ihrer politischen Ehre mußten
sie selbst sein. In ihrem eigenen Gewissen hatten sie zu entscheiden, wie weit
sie ihre Privatübcrzeugungen der übernommenen Aufgabe opfern durften.
Aber auch ihnen kann nicht verborgen geblieben sein, daß ihre treuesten An¬
hänger schon längst die Stunde gekommen glaubten, wo den Ministern die
Pflicht gegen die großen politischen Grundsätze, welche sonst ihr öffentliches
Leben adelten, geboten hätte, entweder im vertrauten Rath der Krone mit
Entschlossenheit ihre Forderungen durchzusetzen, oder zu resigniren. Die Preußen
sind nicht mehr in der Lage, mit ihnen zu grollen, daß sie den nothwen¬
digen Entschluß nicht früher gefaßt. Man weiß, daß es kein persönlicher Ehr¬
geiz war, der sie so lange zögern ließ. Und das Volk ist jetzt in der Stimmung,
ihnen öffentlich dafür zu danken, daß sie ihrer Pflicht eingedenk waren, und
daß sie sich für unsere Zukunft möglich erhalten haben.

Denn die Aufgabe, welche sie sich gestellt hatten, war in der Weise,
wie sie dieselbe erfaßten, unlösbar. Der Versuch mußte ohne wesentlichen
Nutzen für den Staat, für sie selbst mit peinlichen und niederbeugenden Em¬
pfindungen enden. Was sie an ihre Aemter fesselte: Dank für das persönliche
Vertrauen, das ihr erlauchter Herr ihnen gewährte, Dank dafür, daß er dem
heillosen Mißregiment der kranken Zeit ein Ende gemacht, endlich loyale Hoff¬
nung, die Krone selbst und ihre alten Hcrschertraditionen mit der neuen Zeit
allmälig zu versöhnen, das war ein System gemüthvoller und idealer Stim¬
mungen, aber ihm fehlten zu sehr einige von den Bedingungen, welche eine kräf¬
tige reale Thätigkeit möglich gemacht hätten. Es ist wahr, einige der frühern
Minister hatten jahrelang als Führer der liberalen Partei gegen vergangene
Regierungen gekämpft, aber sie waren nicht als Parteiführer, gestützt und ge¬
halten durch die Majorität der Volksvertreter, in die Ministerien getreten, sie
waren plötzlich aus dem Privatleben in die Nähe ihres Königs gestellt worden.


Grenzlwten I. 1S62. 66
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[0529] Der Ministem echsel in Preußen. Die Entscheidung ist schneller gekommen, als sie erwartet wurde, der liberale Theil des Ministeriums ist zurückgetreten: die Majorität der Herren von Auerswald, von Patow, Graf Piickler, Graf Schwerin, von Bernuth hat sich weniger einflußreich erwiesen, als die Minorität, in welcher freilich die Mini¬ sterien des Auswärtigen und des Krieges sind, bei denen der persönliche Wille des Monarchen sich in Preußen am meisten geltend macht. Mit Theilnahme wird das preußische Volk den letzten Entschluß der genannten Herren begrüßen. Wir sind nicht so reich an Namen und Kräf¬ ten, daß es uns gleichgültig gewesen wäre, wenn sie in einem fruchtlosen Kampf ohne Freude, Anerkennung und Erfolg sich aufgerieben hätten und der liberalen Partei verloren wären. Die Wächter ihrer politischen Ehre mußten sie selbst sein. In ihrem eigenen Gewissen hatten sie zu entscheiden, wie weit sie ihre Privatübcrzeugungen der übernommenen Aufgabe opfern durften. Aber auch ihnen kann nicht verborgen geblieben sein, daß ihre treuesten An¬ hänger schon längst die Stunde gekommen glaubten, wo den Ministern die Pflicht gegen die großen politischen Grundsätze, welche sonst ihr öffentliches Leben adelten, geboten hätte, entweder im vertrauten Rath der Krone mit Entschlossenheit ihre Forderungen durchzusetzen, oder zu resigniren. Die Preußen sind nicht mehr in der Lage, mit ihnen zu grollen, daß sie den nothwen¬ digen Entschluß nicht früher gefaßt. Man weiß, daß es kein persönlicher Ehr¬ geiz war, der sie so lange zögern ließ. Und das Volk ist jetzt in der Stimmung, ihnen öffentlich dafür zu danken, daß sie ihrer Pflicht eingedenk waren, und daß sie sich für unsere Zukunft möglich erhalten haben. Denn die Aufgabe, welche sie sich gestellt hatten, war in der Weise, wie sie dieselbe erfaßten, unlösbar. Der Versuch mußte ohne wesentlichen Nutzen für den Staat, für sie selbst mit peinlichen und niederbeugenden Em¬ pfindungen enden. Was sie an ihre Aemter fesselte: Dank für das persönliche Vertrauen, das ihr erlauchter Herr ihnen gewährte, Dank dafür, daß er dem heillosen Mißregiment der kranken Zeit ein Ende gemacht, endlich loyale Hoff¬ nung, die Krone selbst und ihre alten Hcrschertraditionen mit der neuen Zeit allmälig zu versöhnen, das war ein System gemüthvoller und idealer Stim¬ mungen, aber ihm fehlten zu sehr einige von den Bedingungen, welche eine kräf¬ tige reale Thätigkeit möglich gemacht hätten. Es ist wahr, einige der frühern Minister hatten jahrelang als Führer der liberalen Partei gegen vergangene Regierungen gekämpft, aber sie waren nicht als Parteiführer, gestützt und ge¬ halten durch die Majorität der Volksvertreter, in die Ministerien getreten, sie waren plötzlich aus dem Privatleben in die Nähe ihres Königs gestellt worden. Grenzlwten I. 1S62. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/529>, abgerufen am 28.04.2024.