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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Der Streit EnlsiaM mit Amerika.

- Fünf volle Wochen sind seit der Wegnahme der südlichen Emissäre vom
"Trent" verflossen, und noch immer läßt sich nicht mit Bestimmtheit angeben,
ob dieser Act zum Krieg zwischen England und Amerika führen wird oder
nicht. Das Schiff, mit dem man die entscheidende Antwort erwartete, hat
eine Vertagung der Frage gebracht und nebenher die Nachricht, daß die Aus-
sichten, soweit es auf die Stimmung der Massen jenseits des Oceans ankommt,
sich beträchtlich friedlicher gestaltet haben. Wir haben mit den Verständigen w
England alle Ursache uns dazu Glück zu wünschen, aber nicht weniger Ursache,
die Meldung mit Vorsicht aufzunehmen. Präsident Jackson würde vermuthlich
<mis Englands Verlangen nach Genugthuung mit der brüsten Weigerung ge.
antwortet haben, die Manche mit der letzten Post zu erhalten fürchteten.' Prä¬
sident Lincoln hat dies nicht gethan, und so darf der Freund des Friedens
noch hoffen. Der gegenwärtige Träger der vollziehenden Gemalt in Amerika
ist ein schwacher Charakter, aber ehrlich und gleich den meiste" ehrlichen Leu¬
ten überlegsam. Seit seinem Amtsantritt zeigte er bei jeder Gelegenheit die
Neigung, schwierige Fragen so lange als möglich offen zu halten, und dieser-
Politik ist er auch jetzt treu geblieben. Nach dein Wonlaut der Verfassung
konnte er, ohne sich zu Ja oder Nein von irgend Jemand Rath oder Zustim¬
mung zu holen, seineu Minister des Auswärtigen sofort beauftragen. Lord
Rüssels Note zu beantworten. Nach seiner unentschlossenen Natur hat er es'
vorgezogen, sich diese Zustimmung zu verschaffen und so die Verant¬
wortlichkeit für einen Entschluß mit Andern zu theilen. Für diesen Zweck bo¬
ten sich ihm drei Körperschaften dar. die wir im Folgenden nach dem Grade,
in welchem sie eine für uns wünschenswerthe Lösung versprechen, kurz betrach¬
ten wollen.

Lincoln ist Advocat. er könnte geneigt sein, die in Rede stehende Ange-
legenheit als juristische Frage aufzufassen, und so wäre nicht unwahrscheinlich,
daß er dieselbe dem obersten Gerichtshof der Ver. Staaten zur Meinungs¬
äußerung vorlegte. Wie letztere ausfallen würde, läßt sich mit Sicherheit nicht
sagen. Doch genießt dieses Tribunal eines guten Rufes, und man darf an-


Grenzbotm I. 1862. 11
Der Streit EnlsiaM mit Amerika.

- Fünf volle Wochen sind seit der Wegnahme der südlichen Emissäre vom
„Trent" verflossen, und noch immer läßt sich nicht mit Bestimmtheit angeben,
ob dieser Act zum Krieg zwischen England und Amerika führen wird oder
nicht. Das Schiff, mit dem man die entscheidende Antwort erwartete, hat
eine Vertagung der Frage gebracht und nebenher die Nachricht, daß die Aus-
sichten, soweit es auf die Stimmung der Massen jenseits des Oceans ankommt,
sich beträchtlich friedlicher gestaltet haben. Wir haben mit den Verständigen w
England alle Ursache uns dazu Glück zu wünschen, aber nicht weniger Ursache,
die Meldung mit Vorsicht aufzunehmen. Präsident Jackson würde vermuthlich
<mis Englands Verlangen nach Genugthuung mit der brüsten Weigerung ge.
antwortet haben, die Manche mit der letzten Post zu erhalten fürchteten.' Prä¬
sident Lincoln hat dies nicht gethan, und so darf der Freund des Friedens
noch hoffen. Der gegenwärtige Träger der vollziehenden Gemalt in Amerika
ist ein schwacher Charakter, aber ehrlich und gleich den meiste» ehrlichen Leu¬
ten überlegsam. Seit seinem Amtsantritt zeigte er bei jeder Gelegenheit die
Neigung, schwierige Fragen so lange als möglich offen zu halten, und dieser-
Politik ist er auch jetzt treu geblieben. Nach dein Wonlaut der Verfassung
konnte er, ohne sich zu Ja oder Nein von irgend Jemand Rath oder Zustim¬
mung zu holen, seineu Minister des Auswärtigen sofort beauftragen. Lord
Rüssels Note zu beantworten. Nach seiner unentschlossenen Natur hat er es'
vorgezogen, sich diese Zustimmung zu verschaffen und so die Verant¬
wortlichkeit für einen Entschluß mit Andern zu theilen. Für diesen Zweck bo¬
ten sich ihm drei Körperschaften dar. die wir im Folgenden nach dem Grade,
in welchem sie eine für uns wünschenswerthe Lösung versprechen, kurz betrach¬
ten wollen.

Lincoln ist Advocat. er könnte geneigt sein, die in Rede stehende Ange-
legenheit als juristische Frage aufzufassen, und so wäre nicht unwahrscheinlich,
daß er dieselbe dem obersten Gerichtshof der Ver. Staaten zur Meinungs¬
äußerung vorlegte. Wie letztere ausfallen würde, läßt sich mit Sicherheit nicht
sagen. Doch genießt dieses Tribunal eines guten Rufes, und man darf an-


Grenzbotm I. 1862. 11
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[0089] Der Streit EnlsiaM mit Amerika. - Fünf volle Wochen sind seit der Wegnahme der südlichen Emissäre vom „Trent" verflossen, und noch immer läßt sich nicht mit Bestimmtheit angeben, ob dieser Act zum Krieg zwischen England und Amerika führen wird oder nicht. Das Schiff, mit dem man die entscheidende Antwort erwartete, hat eine Vertagung der Frage gebracht und nebenher die Nachricht, daß die Aus- sichten, soweit es auf die Stimmung der Massen jenseits des Oceans ankommt, sich beträchtlich friedlicher gestaltet haben. Wir haben mit den Verständigen w England alle Ursache uns dazu Glück zu wünschen, aber nicht weniger Ursache, die Meldung mit Vorsicht aufzunehmen. Präsident Jackson würde vermuthlich <mis Englands Verlangen nach Genugthuung mit der brüsten Weigerung ge. antwortet haben, die Manche mit der letzten Post zu erhalten fürchteten.' Prä¬ sident Lincoln hat dies nicht gethan, und so darf der Freund des Friedens noch hoffen. Der gegenwärtige Träger der vollziehenden Gemalt in Amerika ist ein schwacher Charakter, aber ehrlich und gleich den meiste» ehrlichen Leu¬ ten überlegsam. Seit seinem Amtsantritt zeigte er bei jeder Gelegenheit die Neigung, schwierige Fragen so lange als möglich offen zu halten, und dieser- Politik ist er auch jetzt treu geblieben. Nach dein Wonlaut der Verfassung konnte er, ohne sich zu Ja oder Nein von irgend Jemand Rath oder Zustim¬ mung zu holen, seineu Minister des Auswärtigen sofort beauftragen. Lord Rüssels Note zu beantworten. Nach seiner unentschlossenen Natur hat er es' vorgezogen, sich diese Zustimmung zu verschaffen und so die Verant¬ wortlichkeit für einen Entschluß mit Andern zu theilen. Für diesen Zweck bo¬ ten sich ihm drei Körperschaften dar. die wir im Folgenden nach dem Grade, in welchem sie eine für uns wünschenswerthe Lösung versprechen, kurz betrach¬ ten wollen. Lincoln ist Advocat. er könnte geneigt sein, die in Rede stehende Ange- legenheit als juristische Frage aufzufassen, und so wäre nicht unwahrscheinlich, daß er dieselbe dem obersten Gerichtshof der Ver. Staaten zur Meinungs¬ äußerung vorlegte. Wie letztere ausfallen würde, läßt sich mit Sicherheit nicht sagen. Doch genießt dieses Tribunal eines guten Rufes, und man darf an- Grenzbotm I. 1862. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/89>, abgerufen am 28.04.2024.