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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Die Preußen und Kaiser Napoleon

Sorgenvoll heftet sich der Blick des Deutschen und Preußen auf die
Wolken, welche finster um das aufgehende Licht des neuen Jahres lagern.
Vieles Biedre und Schmerzliche haben die letzten Wochen gebracht, den
Verlust der Amazone, den nicht zu verdeckenden Gegensatz, in welchen die Krone
von Preußen zu dem erwachenden politischen Leben eines treuen und loyalen
Volkes getreten ist, zuletzt den Tod des Fürsten, welcher wie kein anderer ge¬
eignet war. den Plänen Frankreichs mit vorsichtiger Ruhe entgegenzu¬
treten.

Dem Kaiser Napoleon war das letzte Jahr eine Zeit des besorgten Schwan-
kens und Abwägens. Seine Stellung zur italienischen Frage, sein Verhältniß
zu England, die Beziehungen zu Preußen schwebten unklar in mehrfachem Wechsel;
dazu kam, was ihn stärker als die auswärtige Politik beschäftigte, eine Mißernte
in Frankreich, und durch den amerikanischen Conflict ernste Verlegenheiten der
Industrie und des Handels.

Nach längerem Experimentiren hat er sich in die Politik zurückgefunden,
welche ihm der Zug seines ganzen Lebens vorzuschreiben scheint. Die Wun¬
den Italiens offen halten, die Freundschaft mit England bis zu der Stunde
conserviren, in welcher er unzweifelhaft der Stärkere ist; die unfertigen Zu¬
stände Deutschlands ohne Parteinahme lauernd beobachten, den Geldsorgen
Frankreichs und einer möglichen Geschäftskrisis dadurch zuvorkommen, daß er
große Finanzreformen in Aussicht stellte, bei denen der gute Schein ihm nach
seiner Art wichtiger war als die Sache selbst; das war das Resultat vielfacher
Ueberlegung. und sehr entgegengesetzter Einflüsse seiner Umgebung.

Bis zum letzten Monat durfte der Kaiser ohne besondere Freude auf die
politischen Erfolge des Jahres 1861 zurücksehen. Er hatte bis zum Herbst
die Italiener nicht gefügig genug gefunden, ihm für eine zweite Hilfe weitere
Gebictsvergröszerungen einzuräumen, sein Kampf mit Rom blieb resultatlos,
er mußte, nicht als Sieger, mit der Kirche seinen Frieden machen. Es
gelang ihm trotz aller Selbstverläugnung nur unvollkommen. Mißtrauen und
Abneigung, welche in England gegen ihn aufbäumten, zu beruhigen. Auch
sein Versuch, sich Preußen zu nähern, hatte nicht den gehofften Erfolg.

Erst jetzt, im letzten Monat des Jahres, versetzt der drohende Krieg zwi-


Grenzboten I. 1662. 1
Die Preußen und Kaiser Napoleon

Sorgenvoll heftet sich der Blick des Deutschen und Preußen auf die
Wolken, welche finster um das aufgehende Licht des neuen Jahres lagern.
Vieles Biedre und Schmerzliche haben die letzten Wochen gebracht, den
Verlust der Amazone, den nicht zu verdeckenden Gegensatz, in welchen die Krone
von Preußen zu dem erwachenden politischen Leben eines treuen und loyalen
Volkes getreten ist, zuletzt den Tod des Fürsten, welcher wie kein anderer ge¬
eignet war. den Plänen Frankreichs mit vorsichtiger Ruhe entgegenzu¬
treten.

Dem Kaiser Napoleon war das letzte Jahr eine Zeit des besorgten Schwan-
kens und Abwägens. Seine Stellung zur italienischen Frage, sein Verhältniß
zu England, die Beziehungen zu Preußen schwebten unklar in mehrfachem Wechsel;
dazu kam, was ihn stärker als die auswärtige Politik beschäftigte, eine Mißernte
in Frankreich, und durch den amerikanischen Conflict ernste Verlegenheiten der
Industrie und des Handels.

Nach längerem Experimentiren hat er sich in die Politik zurückgefunden,
welche ihm der Zug seines ganzen Lebens vorzuschreiben scheint. Die Wun¬
den Italiens offen halten, die Freundschaft mit England bis zu der Stunde
conserviren, in welcher er unzweifelhaft der Stärkere ist; die unfertigen Zu¬
stände Deutschlands ohne Parteinahme lauernd beobachten, den Geldsorgen
Frankreichs und einer möglichen Geschäftskrisis dadurch zuvorkommen, daß er
große Finanzreformen in Aussicht stellte, bei denen der gute Schein ihm nach
seiner Art wichtiger war als die Sache selbst; das war das Resultat vielfacher
Ueberlegung. und sehr entgegengesetzter Einflüsse seiner Umgebung.

Bis zum letzten Monat durfte der Kaiser ohne besondere Freude auf die
politischen Erfolge des Jahres 1861 zurücksehen. Er hatte bis zum Herbst
die Italiener nicht gefügig genug gefunden, ihm für eine zweite Hilfe weitere
Gebictsvergröszerungen einzuräumen, sein Kampf mit Rom blieb resultatlos,
er mußte, nicht als Sieger, mit der Kirche seinen Frieden machen. Es
gelang ihm trotz aller Selbstverläugnung nur unvollkommen. Mißtrauen und
Abneigung, welche in England gegen ihn aufbäumten, zu beruhigen. Auch
sein Versuch, sich Preußen zu nähern, hatte nicht den gehofften Erfolg.

Erst jetzt, im letzten Monat des Jahres, versetzt der drohende Krieg zwi-


Grenzboten I. 1662. 1
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[0009] Die Preußen und Kaiser Napoleon Sorgenvoll heftet sich der Blick des Deutschen und Preußen auf die Wolken, welche finster um das aufgehende Licht des neuen Jahres lagern. Vieles Biedre und Schmerzliche haben die letzten Wochen gebracht, den Verlust der Amazone, den nicht zu verdeckenden Gegensatz, in welchen die Krone von Preußen zu dem erwachenden politischen Leben eines treuen und loyalen Volkes getreten ist, zuletzt den Tod des Fürsten, welcher wie kein anderer ge¬ eignet war. den Plänen Frankreichs mit vorsichtiger Ruhe entgegenzu¬ treten. Dem Kaiser Napoleon war das letzte Jahr eine Zeit des besorgten Schwan- kens und Abwägens. Seine Stellung zur italienischen Frage, sein Verhältniß zu England, die Beziehungen zu Preußen schwebten unklar in mehrfachem Wechsel; dazu kam, was ihn stärker als die auswärtige Politik beschäftigte, eine Mißernte in Frankreich, und durch den amerikanischen Conflict ernste Verlegenheiten der Industrie und des Handels. Nach längerem Experimentiren hat er sich in die Politik zurückgefunden, welche ihm der Zug seines ganzen Lebens vorzuschreiben scheint. Die Wun¬ den Italiens offen halten, die Freundschaft mit England bis zu der Stunde conserviren, in welcher er unzweifelhaft der Stärkere ist; die unfertigen Zu¬ stände Deutschlands ohne Parteinahme lauernd beobachten, den Geldsorgen Frankreichs und einer möglichen Geschäftskrisis dadurch zuvorkommen, daß er große Finanzreformen in Aussicht stellte, bei denen der gute Schein ihm nach seiner Art wichtiger war als die Sache selbst; das war das Resultat vielfacher Ueberlegung. und sehr entgegengesetzter Einflüsse seiner Umgebung. Bis zum letzten Monat durfte der Kaiser ohne besondere Freude auf die politischen Erfolge des Jahres 1861 zurücksehen. Er hatte bis zum Herbst die Italiener nicht gefügig genug gefunden, ihm für eine zweite Hilfe weitere Gebictsvergröszerungen einzuräumen, sein Kampf mit Rom blieb resultatlos, er mußte, nicht als Sieger, mit der Kirche seinen Frieden machen. Es gelang ihm trotz aller Selbstverläugnung nur unvollkommen. Mißtrauen und Abneigung, welche in England gegen ihn aufbäumten, zu beruhigen. Auch sein Versuch, sich Preußen zu nähern, hatte nicht den gehofften Erfolg. Erst jetzt, im letzten Monat des Jahres, versetzt der drohende Krieg zwi- Grenzboten I. 1662. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/9>, abgerufen am 27.04.2024.