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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Die Milizen und Lanzknechte des griechischen Alterthums.

Die demokratische Strömung, welche die Neuzeit durchzieht, führt in ihren
Consequenzen auch immer wieder auf die Verwirklichung der Idee einer na¬
tionalen Wchrbarnmchung und allgemeinen Erziehung zum Kriege. Gelingt
es dem deutschen Volke, diese große Aufgabe zu lösen, auf welche die bereits
mehrfach eingeführte, nur noch sehr lückenhafte allgemeine Wehrpflicht und
der endliche Sieg der Turnerei vorzubereiten scheinen, und übernimmt es, sich
ermannend und seiner Stärke und Pflicht sich bewußt werdend, im Großen
und Ganzen seine Selbstvertheidigung, so kann man sich wohl auch der
Hoffnung hingeben, daß die Periode seiner Altersschwäche noch nicht einge¬
treten, und daß ,anch noch Kraft zu einem sittlichen Verjüngungsprocesse in
ihm vorhanden sei. Denn die Geschichte lehrt, daß sonst überall dem Auf¬
geben des Kriegsdienstes und dem Verwerfen der Wehrpflicht von Seiten der
Nationen absolutistischer Druck und endlich der Verfall und Untergang der
Selbständigkeit nicht ferne lag. Auch im römischen Staate zogen sich schon
enge vor den Bürgerkriegen die besseren Klassen vom Kriegsdienste zurück,
den sie früher als ein Ehrenrecht für sich allein beansprucht hatten; die an¬
wachsende Menge der ärmeren Bevölkerung fand dagegen in demselben eine
Nahrungsquelle, und bald gestaltete sich das Bürgerheer zu Söldnerhaufen um,
die unbekümmert um die Interessen des Vaterlandes dem zahlenden Führer
blind gehorchten, bis unter dem Kaiserregimente ein zahlreiches stehendes
Heer zur Nothwendigkeit wurde, das wohl aus Bürgern bestand, bei dessen
Aushebung aber eine Unmasse von Exceptionen und die Erlaubniß, Stellver¬
treter zu stellen, die gesetzlich fortbestehende allgemeine Verpflichtung zum
Dienste paralysirten. Kurz, die Nation faßte nie wieder ihre Kraft in sich
zusammen und unterlag den einbrechenden Barbaren trotz der wohldisciplinn-
ten kaiserlichen Soldaten.

In den hellenischen Staaten kann man im Ganzen ähnliche Erscheinun¬
gen wahrnehmen, wenn man die letzte Phase der römischen Geschichte ab¬
rechnet. Das heroische Zeitalter zeigt nach den homerischen Gedichten bereits
eine ziemlich hohe Ausbildung des Kriegswesens. Der Mann trotzte damals
auf seine Waffen und betheiligte sich gern bei den oft genug vorkommenden
Rache- und Raubkriegen. Dem Könige Heerfolge zu leisten, wird als eine
unweigerliche Verpflichtung dargestellt, der man aus Furcht vor öffentlicher
Schande und schwerer Strafe sich nie entzog. Jedes Haus scheint wenigstens
einen Mann gestellt zu haben, und in Familien, wo mehrere Söhne waren,
entschied das Loos, wer mit in den Kampf ziehen mußte. So sagt Hermes,


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Die Milizen und Lanzknechte des griechischen Alterthums.

Die demokratische Strömung, welche die Neuzeit durchzieht, führt in ihren
Consequenzen auch immer wieder auf die Verwirklichung der Idee einer na¬
tionalen Wchrbarnmchung und allgemeinen Erziehung zum Kriege. Gelingt
es dem deutschen Volke, diese große Aufgabe zu lösen, auf welche die bereits
mehrfach eingeführte, nur noch sehr lückenhafte allgemeine Wehrpflicht und
der endliche Sieg der Turnerei vorzubereiten scheinen, und übernimmt es, sich
ermannend und seiner Stärke und Pflicht sich bewußt werdend, im Großen
und Ganzen seine Selbstvertheidigung, so kann man sich wohl auch der
Hoffnung hingeben, daß die Periode seiner Altersschwäche noch nicht einge¬
treten, und daß ,anch noch Kraft zu einem sittlichen Verjüngungsprocesse in
ihm vorhanden sei. Denn die Geschichte lehrt, daß sonst überall dem Auf¬
geben des Kriegsdienstes und dem Verwerfen der Wehrpflicht von Seiten der
Nationen absolutistischer Druck und endlich der Verfall und Untergang der
Selbständigkeit nicht ferne lag. Auch im römischen Staate zogen sich schon
enge vor den Bürgerkriegen die besseren Klassen vom Kriegsdienste zurück,
den sie früher als ein Ehrenrecht für sich allein beansprucht hatten; die an¬
wachsende Menge der ärmeren Bevölkerung fand dagegen in demselben eine
Nahrungsquelle, und bald gestaltete sich das Bürgerheer zu Söldnerhaufen um,
die unbekümmert um die Interessen des Vaterlandes dem zahlenden Führer
blind gehorchten, bis unter dem Kaiserregimente ein zahlreiches stehendes
Heer zur Nothwendigkeit wurde, das wohl aus Bürgern bestand, bei dessen
Aushebung aber eine Unmasse von Exceptionen und die Erlaubniß, Stellver¬
treter zu stellen, die gesetzlich fortbestehende allgemeine Verpflichtung zum
Dienste paralysirten. Kurz, die Nation faßte nie wieder ihre Kraft in sich
zusammen und unterlag den einbrechenden Barbaren trotz der wohldisciplinn-
ten kaiserlichen Soldaten.

In den hellenischen Staaten kann man im Ganzen ähnliche Erscheinun¬
gen wahrnehmen, wenn man die letzte Phase der römischen Geschichte ab¬
rechnet. Das heroische Zeitalter zeigt nach den homerischen Gedichten bereits
eine ziemlich hohe Ausbildung des Kriegswesens. Der Mann trotzte damals
auf seine Waffen und betheiligte sich gern bei den oft genug vorkommenden
Rache- und Raubkriegen. Dem Könige Heerfolge zu leisten, wird als eine
unweigerliche Verpflichtung dargestellt, der man aus Furcht vor öffentlicher
Schande und schwerer Strafe sich nie entzog. Jedes Haus scheint wenigstens
einen Mann gestellt zu haben, und in Familien, wo mehrere Söhne waren,
entschied das Loos, wer mit in den Kampf ziehen mußte. So sagt Hermes,


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[0099] Die Milizen und Lanzknechte des griechischen Alterthums. Die demokratische Strömung, welche die Neuzeit durchzieht, führt in ihren Consequenzen auch immer wieder auf die Verwirklichung der Idee einer na¬ tionalen Wchrbarnmchung und allgemeinen Erziehung zum Kriege. Gelingt es dem deutschen Volke, diese große Aufgabe zu lösen, auf welche die bereits mehrfach eingeführte, nur noch sehr lückenhafte allgemeine Wehrpflicht und der endliche Sieg der Turnerei vorzubereiten scheinen, und übernimmt es, sich ermannend und seiner Stärke und Pflicht sich bewußt werdend, im Großen und Ganzen seine Selbstvertheidigung, so kann man sich wohl auch der Hoffnung hingeben, daß die Periode seiner Altersschwäche noch nicht einge¬ treten, und daß ,anch noch Kraft zu einem sittlichen Verjüngungsprocesse in ihm vorhanden sei. Denn die Geschichte lehrt, daß sonst überall dem Auf¬ geben des Kriegsdienstes und dem Verwerfen der Wehrpflicht von Seiten der Nationen absolutistischer Druck und endlich der Verfall und Untergang der Selbständigkeit nicht ferne lag. Auch im römischen Staate zogen sich schon enge vor den Bürgerkriegen die besseren Klassen vom Kriegsdienste zurück, den sie früher als ein Ehrenrecht für sich allein beansprucht hatten; die an¬ wachsende Menge der ärmeren Bevölkerung fand dagegen in demselben eine Nahrungsquelle, und bald gestaltete sich das Bürgerheer zu Söldnerhaufen um, die unbekümmert um die Interessen des Vaterlandes dem zahlenden Führer blind gehorchten, bis unter dem Kaiserregimente ein zahlreiches stehendes Heer zur Nothwendigkeit wurde, das wohl aus Bürgern bestand, bei dessen Aushebung aber eine Unmasse von Exceptionen und die Erlaubniß, Stellver¬ treter zu stellen, die gesetzlich fortbestehende allgemeine Verpflichtung zum Dienste paralysirten. Kurz, die Nation faßte nie wieder ihre Kraft in sich zusammen und unterlag den einbrechenden Barbaren trotz der wohldisciplinn- ten kaiserlichen Soldaten. In den hellenischen Staaten kann man im Ganzen ähnliche Erscheinun¬ gen wahrnehmen, wenn man die letzte Phase der römischen Geschichte ab¬ rechnet. Das heroische Zeitalter zeigt nach den homerischen Gedichten bereits eine ziemlich hohe Ausbildung des Kriegswesens. Der Mann trotzte damals auf seine Waffen und betheiligte sich gern bei den oft genug vorkommenden Rache- und Raubkriegen. Dem Könige Heerfolge zu leisten, wird als eine unweigerliche Verpflichtung dargestellt, der man aus Furcht vor öffentlicher Schande und schwerer Strafe sich nie entzog. Jedes Haus scheint wenigstens einen Mann gestellt zu haben, und in Familien, wo mehrere Söhne waren, entschied das Loos, wer mit in den Kampf ziehen mußte. So sagt Hermes, 12*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/99>, abgerufen am 28.04.2024.