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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Das heilige Feuer in Jerusalem.
Ostern 1861.

-- Es weht ein böser Wind der Aufklärung durch unsre
Zeit, und Mancher, der sich sanft gebettet hatte auf dem Polster des religiösen und
politischen Schlendrians, fährt erschreckt auf und blickt ängstlich in die Zukunft.
Was soll noch werden, wenn das vornehmste Bollwerk der Mittelalterlichkeit,
die weltliche Herrschaft der Päpste zu Boden geworfen ? Italienischer Unglaube,
piemontesische Tücke, französische Liebe und englischer Haß, Alles zerrt und zupft
an dem morschen Bau. Vereinzelt war keiner dieser Feinde furchtbar, wie ja wirklich
dem Unglauben Jahrhunderte hindurch so viele augenverdrehendc Marienbilder sieg¬
reich widerstanden, aber in ihrer Verbindung sind die Gegner übermächtig, und man
kann sich der Wahrscheinlichkeit ihres baldigen Triumphs nicht länger verschließen.

Es ist begreiflich, daß fromme Seelen sich unter diesen Umständen nach
einer sichern Zufluchtsstätte für den heiligen Vater umsehen, und diese glauben
manche in Jerusalem gefunden zu haben. Die Pforte, so arm an Kriegsmacht
und an Münze, so reich an verödeten Ländern und uneinlöslichem Papier, werde
sich, meint man, der ihr von den Mächten angesonnenen Abtretung der heiligen
Stadt nicht ernstlich widersetzen, und so solle ein neues Patrimonium Petri ent¬
steh", in seiner historischen Bedeutsamkeit weniger anfechtbar als das alte, und
an klösterlicher Austerität und Anlaß zu frommer Abnegation das blühende
Italien weit hinter sich zurücklassend. Welche Gelegenheit zu kirchlichen Uebungen
an den zahlreichen heiligen Stätten! und zum Fasten in einer Stadt, deren
Umgebung weit und breit den größten Theil des Jahres nur die magerste Zie¬
genweide bietet! Daneben eine Bevölkerung, welche, wenn auch in Beziehung
auf fremdes Eigenthum und Leben lockeren Principien huldigend, auch nur zu
geringem Theile der allein seligmachenden angehörig, zur Reform führende
Klügelei in biedrer Einfachheit verschmäht, unter welcher ein Peterspfennig
mehr ausrichtet, als ein Dutzend hochgeschulter Missionarien. Und dann hat
ja auch Jerusalem sein Wunder, ein noch in unsern Tagen von dem festen
Glauben vieler Millionen getragenes Wunder, ein Wunder, auf das freilich der
Katholicismus jetzt, wo es durch die Ungunst der Zeiten in schismatische Hände


Grenzboten II. 1S62. 16
Das heilige Feuer in Jerusalem.
Ostern 1861.

— Es weht ein böser Wind der Aufklärung durch unsre
Zeit, und Mancher, der sich sanft gebettet hatte auf dem Polster des religiösen und
politischen Schlendrians, fährt erschreckt auf und blickt ängstlich in die Zukunft.
Was soll noch werden, wenn das vornehmste Bollwerk der Mittelalterlichkeit,
die weltliche Herrschaft der Päpste zu Boden geworfen ? Italienischer Unglaube,
piemontesische Tücke, französische Liebe und englischer Haß, Alles zerrt und zupft
an dem morschen Bau. Vereinzelt war keiner dieser Feinde furchtbar, wie ja wirklich
dem Unglauben Jahrhunderte hindurch so viele augenverdrehendc Marienbilder sieg¬
reich widerstanden, aber in ihrer Verbindung sind die Gegner übermächtig, und man
kann sich der Wahrscheinlichkeit ihres baldigen Triumphs nicht länger verschließen.

Es ist begreiflich, daß fromme Seelen sich unter diesen Umständen nach
einer sichern Zufluchtsstätte für den heiligen Vater umsehen, und diese glauben
manche in Jerusalem gefunden zu haben. Die Pforte, so arm an Kriegsmacht
und an Münze, so reich an verödeten Ländern und uneinlöslichem Papier, werde
sich, meint man, der ihr von den Mächten angesonnenen Abtretung der heiligen
Stadt nicht ernstlich widersetzen, und so solle ein neues Patrimonium Petri ent¬
steh», in seiner historischen Bedeutsamkeit weniger anfechtbar als das alte, und
an klösterlicher Austerität und Anlaß zu frommer Abnegation das blühende
Italien weit hinter sich zurücklassend. Welche Gelegenheit zu kirchlichen Uebungen
an den zahlreichen heiligen Stätten! und zum Fasten in einer Stadt, deren
Umgebung weit und breit den größten Theil des Jahres nur die magerste Zie¬
genweide bietet! Daneben eine Bevölkerung, welche, wenn auch in Beziehung
auf fremdes Eigenthum und Leben lockeren Principien huldigend, auch nur zu
geringem Theile der allein seligmachenden angehörig, zur Reform führende
Klügelei in biedrer Einfachheit verschmäht, unter welcher ein Peterspfennig
mehr ausrichtet, als ein Dutzend hochgeschulter Missionarien. Und dann hat
ja auch Jerusalem sein Wunder, ein noch in unsern Tagen von dem festen
Glauben vieler Millionen getragenes Wunder, ein Wunder, auf das freilich der
Katholicismus jetzt, wo es durch die Ungunst der Zeiten in schismatische Hände


Grenzboten II. 1S62. 16
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[0129] Das heilige Feuer in Jerusalem. Ostern 1861. — Es weht ein böser Wind der Aufklärung durch unsre Zeit, und Mancher, der sich sanft gebettet hatte auf dem Polster des religiösen und politischen Schlendrians, fährt erschreckt auf und blickt ängstlich in die Zukunft. Was soll noch werden, wenn das vornehmste Bollwerk der Mittelalterlichkeit, die weltliche Herrschaft der Päpste zu Boden geworfen ? Italienischer Unglaube, piemontesische Tücke, französische Liebe und englischer Haß, Alles zerrt und zupft an dem morschen Bau. Vereinzelt war keiner dieser Feinde furchtbar, wie ja wirklich dem Unglauben Jahrhunderte hindurch so viele augenverdrehendc Marienbilder sieg¬ reich widerstanden, aber in ihrer Verbindung sind die Gegner übermächtig, und man kann sich der Wahrscheinlichkeit ihres baldigen Triumphs nicht länger verschließen. Es ist begreiflich, daß fromme Seelen sich unter diesen Umständen nach einer sichern Zufluchtsstätte für den heiligen Vater umsehen, und diese glauben manche in Jerusalem gefunden zu haben. Die Pforte, so arm an Kriegsmacht und an Münze, so reich an verödeten Ländern und uneinlöslichem Papier, werde sich, meint man, der ihr von den Mächten angesonnenen Abtretung der heiligen Stadt nicht ernstlich widersetzen, und so solle ein neues Patrimonium Petri ent¬ steh», in seiner historischen Bedeutsamkeit weniger anfechtbar als das alte, und an klösterlicher Austerität und Anlaß zu frommer Abnegation das blühende Italien weit hinter sich zurücklassend. Welche Gelegenheit zu kirchlichen Uebungen an den zahlreichen heiligen Stätten! und zum Fasten in einer Stadt, deren Umgebung weit und breit den größten Theil des Jahres nur die magerste Zie¬ genweide bietet! Daneben eine Bevölkerung, welche, wenn auch in Beziehung auf fremdes Eigenthum und Leben lockeren Principien huldigend, auch nur zu geringem Theile der allein seligmachenden angehörig, zur Reform führende Klügelei in biedrer Einfachheit verschmäht, unter welcher ein Peterspfennig mehr ausrichtet, als ein Dutzend hochgeschulter Missionarien. Und dann hat ja auch Jerusalem sein Wunder, ein noch in unsern Tagen von dem festen Glauben vieler Millionen getragenes Wunder, ein Wunder, auf das freilich der Katholicismus jetzt, wo es durch die Ungunst der Zeiten in schismatische Hände Grenzboten II. 1S62. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/129>, abgerufen am 02.05.2024.