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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Die Adelsversammlungcn des Gouvernements haben in der Theorie nur
geringe politische Bedeutung. Sie wählen einen Präsidenten, der den Titel
"Marschall" führt. Die Wahl desselben bedarf aber der kaiserlichen Bestätigung,
und von irgend welchen wichtigen Reckten der Charge ist nicht die Rede. Nur
der grundbesitzende Adel nimmt Theil an den Berathungen der Versammlung,
doch haben solche, die nur den persönlicken Adel besitzen, das werthvolle Recke,
sich bei den Bällen zu betheiligen, welche im Winter jede Woche einmal statt¬
finden. Getanzt wird in Rußland wie anderwärts, nur daß jeder Ball mit
einer Mazurka schließt. Der Takt und Rythmus dieses Tanzes ist bekannt, da¬
gegen sind die Figuren und manches andere vom Charakter desselben in Rußland
eigenthümlicher Art. So z. B. ahmen alle Paare die Evolutionen nach, welche
das erste angibt. Eine andre Eigenthümlichkeit ist. daß die Damen hierbei sich
die Tänzer wählen, ein Prozeß, der sich auf sehr verschiedenen, immer ziemlich
sinnreichen, aber nicht immer für die erwählten Herren besonders schmeichel¬
haften Wegen vollzieht. Bisweilen Passiren die Herren in einer Art Gänse¬
marsch an den Damen vorüber, und die Dame, welche einen von ihnen zu
ihrem Ritter zu machen wünscht, klatscht, wenn er an ihr vorübergeht, mit
den Händen, ein Verfahren, mit dem man in der Türkei die Sklaven- oder Kell¬
ner zu Dienstleistungen herbeiruft. Bisweilen auch hält jede Dame einen klei¬
nen Spiegel in der Hand. Die Tänzer in so<Z wandeln hinter ihnen hin und
blicken in den Spiegel. Gefällt der Besitzerin desselben das eine oder das an¬
dere Gesicht, so macht sie zum Zeichen, daß dessen Dienste annehmbar befun¬
den worden, einen Knix, mißfällt es ihr, so wischt sie mit dem Taschentuch über
das Glas, und der Verschmähte geht weiter, um sein Glück bei einem andern
Spiegel zu versuchen, von dem er hofft, er werde günstiger für ihn sprechen.




Eine Zesuitenschlile.
, i.

Die Quelle, der wir die folgenden Mittheilungen entnehmen, ist das von
uns bereits angezeigte Buch: "Erinnerungen eines ehemaligen Je-


Die Adelsversammlungcn des Gouvernements haben in der Theorie nur
geringe politische Bedeutung. Sie wählen einen Präsidenten, der den Titel
„Marschall" führt. Die Wahl desselben bedarf aber der kaiserlichen Bestätigung,
und von irgend welchen wichtigen Reckten der Charge ist nicht die Rede. Nur
der grundbesitzende Adel nimmt Theil an den Berathungen der Versammlung,
doch haben solche, die nur den persönlicken Adel besitzen, das werthvolle Recke,
sich bei den Bällen zu betheiligen, welche im Winter jede Woche einmal statt¬
finden. Getanzt wird in Rußland wie anderwärts, nur daß jeder Ball mit
einer Mazurka schließt. Der Takt und Rythmus dieses Tanzes ist bekannt, da¬
gegen sind die Figuren und manches andere vom Charakter desselben in Rußland
eigenthümlicher Art. So z. B. ahmen alle Paare die Evolutionen nach, welche
das erste angibt. Eine andre Eigenthümlichkeit ist. daß die Damen hierbei sich
die Tänzer wählen, ein Prozeß, der sich auf sehr verschiedenen, immer ziemlich
sinnreichen, aber nicht immer für die erwählten Herren besonders schmeichel¬
haften Wegen vollzieht. Bisweilen Passiren die Herren in einer Art Gänse¬
marsch an den Damen vorüber, und die Dame, welche einen von ihnen zu
ihrem Ritter zu machen wünscht, klatscht, wenn er an ihr vorübergeht, mit
den Händen, ein Verfahren, mit dem man in der Türkei die Sklaven- oder Kell¬
ner zu Dienstleistungen herbeiruft. Bisweilen auch hält jede Dame einen klei¬
nen Spiegel in der Hand. Die Tänzer in so<Z wandeln hinter ihnen hin und
blicken in den Spiegel. Gefällt der Besitzerin desselben das eine oder das an¬
dere Gesicht, so macht sie zum Zeichen, daß dessen Dienste annehmbar befun¬
den worden, einen Knix, mißfällt es ihr, so wischt sie mit dem Taschentuch über
das Glas, und der Verschmähte geht weiter, um sein Glück bei einem andern
Spiegel zu versuchen, von dem er hofft, er werde günstiger für ihn sprechen.




Eine Zesuitenschlile.
, i.

Die Quelle, der wir die folgenden Mittheilungen entnehmen, ist das von
uns bereits angezeigte Buch: „Erinnerungen eines ehemaligen Je-


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[0471] Die Adelsversammlungcn des Gouvernements haben in der Theorie nur geringe politische Bedeutung. Sie wählen einen Präsidenten, der den Titel „Marschall" führt. Die Wahl desselben bedarf aber der kaiserlichen Bestätigung, und von irgend welchen wichtigen Reckten der Charge ist nicht die Rede. Nur der grundbesitzende Adel nimmt Theil an den Berathungen der Versammlung, doch haben solche, die nur den persönlicken Adel besitzen, das werthvolle Recke, sich bei den Bällen zu betheiligen, welche im Winter jede Woche einmal statt¬ finden. Getanzt wird in Rußland wie anderwärts, nur daß jeder Ball mit einer Mazurka schließt. Der Takt und Rythmus dieses Tanzes ist bekannt, da¬ gegen sind die Figuren und manches andere vom Charakter desselben in Rußland eigenthümlicher Art. So z. B. ahmen alle Paare die Evolutionen nach, welche das erste angibt. Eine andre Eigenthümlichkeit ist. daß die Damen hierbei sich die Tänzer wählen, ein Prozeß, der sich auf sehr verschiedenen, immer ziemlich sinnreichen, aber nicht immer für die erwählten Herren besonders schmeichel¬ haften Wegen vollzieht. Bisweilen Passiren die Herren in einer Art Gänse¬ marsch an den Damen vorüber, und die Dame, welche einen von ihnen zu ihrem Ritter zu machen wünscht, klatscht, wenn er an ihr vorübergeht, mit den Händen, ein Verfahren, mit dem man in der Türkei die Sklaven- oder Kell¬ ner zu Dienstleistungen herbeiruft. Bisweilen auch hält jede Dame einen klei¬ nen Spiegel in der Hand. Die Tänzer in so<Z wandeln hinter ihnen hin und blicken in den Spiegel. Gefällt der Besitzerin desselben das eine oder das an¬ dere Gesicht, so macht sie zum Zeichen, daß dessen Dienste annehmbar befun¬ den worden, einen Knix, mißfällt es ihr, so wischt sie mit dem Taschentuch über das Glas, und der Verschmähte geht weiter, um sein Glück bei einem andern Spiegel zu versuchen, von dem er hofft, er werde günstiger für ihn sprechen. Eine Zesuitenschlile. , i. Die Quelle, der wir die folgenden Mittheilungen entnehmen, ist das von uns bereits angezeigte Buch: „Erinnerungen eines ehemaligen Je-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/471>, abgerufen am 02.05.2024.