Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

kosten. Decliniren, und Konjugiren ist das wenigste: die Uebung der ange¬
strengten Aufmerksamkeit, des geschwinden Besinnens u. s. w. -- diese ist
wichtig.

Dich an Arbeiten gewöhnen, ist gleichfalls eine Hauptsache. Fahre so
fort, wie Du mir schreibst, daß Du handelst.

Ich wünschte auch zu wißen, was Du in Geschichte, und Geographie ge¬
lernt hast.

Ich sehe, daß Du noch immer so sehr unorthographisch schreibst. Suche
Dich darüber zu belehren; und gieb acht auf Dich, bei jeder Zeile die Du
schreibst; sonst wirst Du Zeitlebens nicht orthographisch schreiben lernen; und
das paßirt gar nicht. -- Ferner schreibst Du doch auch gar zu schlecht. Ich
wünschte, daß Du Deine Hand übtest. Berufe darin Dich nicht etwa auf mich.
Es ist etwas anderes eine flüchtige aber aufgeschriebene Hand zu schreiben.
Die Deinige ist nicht ausgearbeitet. Ich sehe ein, daß Dir das etwas schwer
werden wird, weil Deine Hände durch Handarbeit steif geworden sind; aber Du
mußt nur desto mehr schreiben.

Des P. Wagners Vortrag habe ich selbst einmal genoßen. Er ist aller¬
dings sehr faßlich. Aber sey darum dennoch versichert, daß der jczige Unter¬
richt dennoch der zwekmäßigste für Dich ist, eben darum, weil er Dir die Sache
schwer macht. Es ist nicht um die Sache; es ist um die Kraftübung. Leb
recht wohl, und schreibe mir bald wieder.


Fichte.

Aufschrift:


Herrn dickteinReissen.
11. ,

^frih, d. 25. Mo. 1794.


Theurer Bruder!

Mein theurer Mann, welcher Sie herzlich grüßt, hat mir aufgetragen Ihnen
zu schreiben; dies Geschäft hab ich gern übernommen, nicht daß ich gerne Briefe
schreibe, (denn seitdem ich nicht mehr an meinem Fichte zu schreiben habe,
ist mir das Schreiben höchst unangenehm.) sondern weil Sie der Bruder meines
Lieben Mannes sind; und weil ich glaube daß Sie auch ein Edler, rechtschaf¬
fener Mann sind; da habe ich sie nun schon recht lieb, ohne Sie eigentlich zu
kennen; auch freue ich mich aus die Zeit, wo Sie zu uns kommen, und bey
uns wohnen, recht innig; da ist mein guter rechtschaffener Vatter, seine Kinder,
und Sie unser Bruder; da werden wir oft, so stille, geräuschlose Freuden, welche
dem Herzen wohlthun, in unserm Hause mit einander genießen; wie wir lezten
Sonnabend eine hatten; es war nämlich meines guten Vatters 75. Geburtstag.


kosten. Decliniren, und Konjugiren ist das wenigste: die Uebung der ange¬
strengten Aufmerksamkeit, des geschwinden Besinnens u. s. w. — diese ist
wichtig.

Dich an Arbeiten gewöhnen, ist gleichfalls eine Hauptsache. Fahre so
fort, wie Du mir schreibst, daß Du handelst.

Ich wünschte auch zu wißen, was Du in Geschichte, und Geographie ge¬
lernt hast.

Ich sehe, daß Du noch immer so sehr unorthographisch schreibst. Suche
Dich darüber zu belehren; und gieb acht auf Dich, bei jeder Zeile die Du
schreibst; sonst wirst Du Zeitlebens nicht orthographisch schreiben lernen; und
das paßirt gar nicht. — Ferner schreibst Du doch auch gar zu schlecht. Ich
wünschte, daß Du Deine Hand übtest. Berufe darin Dich nicht etwa auf mich.
Es ist etwas anderes eine flüchtige aber aufgeschriebene Hand zu schreiben.
Die Deinige ist nicht ausgearbeitet. Ich sehe ein, daß Dir das etwas schwer
werden wird, weil Deine Hände durch Handarbeit steif geworden sind; aber Du
mußt nur desto mehr schreiben.

Des P. Wagners Vortrag habe ich selbst einmal genoßen. Er ist aller¬
dings sehr faßlich. Aber sey darum dennoch versichert, daß der jczige Unter¬
richt dennoch der zwekmäßigste für Dich ist, eben darum, weil er Dir die Sache
schwer macht. Es ist nicht um die Sache; es ist um die Kraftübung. Leb
recht wohl, und schreibe mir bald wieder.


Fichte.

Aufschrift:


Herrn dickteinReissen.
11. ,

^frih, d. 25. Mo. 1794.


Theurer Bruder!

Mein theurer Mann, welcher Sie herzlich grüßt, hat mir aufgetragen Ihnen
zu schreiben; dies Geschäft hab ich gern übernommen, nicht daß ich gerne Briefe
schreibe, (denn seitdem ich nicht mehr an meinem Fichte zu schreiben habe,
ist mir das Schreiben höchst unangenehm.) sondern weil Sie der Bruder meines
Lieben Mannes sind; und weil ich glaube daß Sie auch ein Edler, rechtschaf¬
fener Mann sind; da habe ich sie nun schon recht lieb, ohne Sie eigentlich zu
kennen; auch freue ich mich aus die Zeit, wo Sie zu uns kommen, und bey
uns wohnen, recht innig; da ist mein guter rechtschaffener Vatter, seine Kinder,
und Sie unser Bruder; da werden wir oft, so stille, geräuschlose Freuden, welche
dem Herzen wohlthun, in unserm Hause mit einander genießen; wie wir lezten
Sonnabend eine hatten; es war nämlich meines guten Vatters 75. Geburtstag.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114452"/>
            <p xml:id="ID_543" prev="#ID_542"> kosten. Decliniren, und Konjugiren ist das wenigste: die Uebung der ange¬<lb/>
strengten Aufmerksamkeit, des geschwinden Besinnens u. s. w. &#x2014; diese ist<lb/>
wichtig.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_544"> Dich an Arbeiten gewöhnen, ist gleichfalls eine Hauptsache. Fahre so<lb/>
fort, wie Du mir schreibst, daß Du handelst.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_545"> Ich wünschte auch zu wißen, was Du in Geschichte, und Geographie ge¬<lb/>
lernt hast.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_546"> Ich sehe, daß Du noch immer so sehr unorthographisch schreibst. Suche<lb/>
Dich darüber zu belehren; und gieb acht auf Dich, bei jeder Zeile die Du<lb/>
schreibst; sonst wirst Du Zeitlebens nicht orthographisch schreiben lernen; und<lb/>
das paßirt gar nicht. &#x2014; Ferner schreibst Du doch auch gar zu schlecht. Ich<lb/>
wünschte, daß Du Deine Hand übtest. Berufe darin Dich nicht etwa auf mich.<lb/>
Es ist etwas anderes eine flüchtige aber aufgeschriebene Hand zu schreiben.<lb/>
Die Deinige ist nicht ausgearbeitet. Ich sehe ein, daß Dir das etwas schwer<lb/>
werden wird, weil Deine Hände durch Handarbeit steif geworden sind; aber Du<lb/>
mußt nur desto mehr schreiben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_547"> Des P. Wagners Vortrag habe ich selbst einmal genoßen. Er ist aller¬<lb/>
dings sehr faßlich. Aber sey darum dennoch versichert, daß der jczige Unter¬<lb/>
richt dennoch der zwekmäßigste für Dich ist, eben darum, weil er Dir die Sache<lb/>
schwer macht. Es ist nicht um die Sache; es ist um die Kraftübung. Leb<lb/>
recht wohl, und schreibe mir bald wieder.</p><lb/>
            <note type="bibl"> Fichte.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_548"> Aufschrift:</p><lb/>
            <note type="bibl"> Herrn dickteinReissen.</note><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 11. ,</head><lb/>
            <p xml:id="ID_549"> ^frih, d. 25. Mo. 1794.</p><lb/>
            <note type="salute"> Theurer Bruder!</note><lb/>
            <p xml:id="ID_550" next="#ID_551"> Mein theurer Mann, welcher Sie herzlich grüßt, hat mir aufgetragen Ihnen<lb/>
zu schreiben; dies Geschäft hab ich gern übernommen, nicht daß ich gerne Briefe<lb/>
schreibe, (denn seitdem ich nicht mehr an meinem Fichte zu schreiben habe,<lb/>
ist mir das Schreiben höchst unangenehm.) sondern weil Sie der Bruder meines<lb/>
Lieben Mannes sind; und weil ich glaube daß Sie auch ein Edler, rechtschaf¬<lb/>
fener Mann sind; da habe ich sie nun schon recht lieb, ohne Sie eigentlich zu<lb/>
kennen; auch freue ich mich aus die Zeit, wo Sie zu uns kommen, und bey<lb/>
uns wohnen, recht innig; da ist mein guter rechtschaffener Vatter, seine Kinder,<lb/>
und Sie unser Bruder; da werden wir oft, so stille, geräuschlose Freuden, welche<lb/>
dem Herzen wohlthun, in unserm Hause mit einander genießen; wie wir lezten<lb/>
Sonnabend eine hatten; es war nämlich meines guten Vatters 75. Geburtstag.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0138] kosten. Decliniren, und Konjugiren ist das wenigste: die Uebung der ange¬ strengten Aufmerksamkeit, des geschwinden Besinnens u. s. w. — diese ist wichtig. Dich an Arbeiten gewöhnen, ist gleichfalls eine Hauptsache. Fahre so fort, wie Du mir schreibst, daß Du handelst. Ich wünschte auch zu wißen, was Du in Geschichte, und Geographie ge¬ lernt hast. Ich sehe, daß Du noch immer so sehr unorthographisch schreibst. Suche Dich darüber zu belehren; und gieb acht auf Dich, bei jeder Zeile die Du schreibst; sonst wirst Du Zeitlebens nicht orthographisch schreiben lernen; und das paßirt gar nicht. — Ferner schreibst Du doch auch gar zu schlecht. Ich wünschte, daß Du Deine Hand übtest. Berufe darin Dich nicht etwa auf mich. Es ist etwas anderes eine flüchtige aber aufgeschriebene Hand zu schreiben. Die Deinige ist nicht ausgearbeitet. Ich sehe ein, daß Dir das etwas schwer werden wird, weil Deine Hände durch Handarbeit steif geworden sind; aber Du mußt nur desto mehr schreiben. Des P. Wagners Vortrag habe ich selbst einmal genoßen. Er ist aller¬ dings sehr faßlich. Aber sey darum dennoch versichert, daß der jczige Unter¬ richt dennoch der zwekmäßigste für Dich ist, eben darum, weil er Dir die Sache schwer macht. Es ist nicht um die Sache; es ist um die Kraftübung. Leb recht wohl, und schreibe mir bald wieder. Fichte. Aufschrift: Herrn dickteinReissen. 11. , ^frih, d. 25. Mo. 1794. Theurer Bruder! Mein theurer Mann, welcher Sie herzlich grüßt, hat mir aufgetragen Ihnen zu schreiben; dies Geschäft hab ich gern übernommen, nicht daß ich gerne Briefe schreibe, (denn seitdem ich nicht mehr an meinem Fichte zu schreiben habe, ist mir das Schreiben höchst unangenehm.) sondern weil Sie der Bruder meines Lieben Mannes sind; und weil ich glaube daß Sie auch ein Edler, rechtschaf¬ fener Mann sind; da habe ich sie nun schon recht lieb, ohne Sie eigentlich zu kennen; auch freue ich mich aus die Zeit, wo Sie zu uns kommen, und bey uns wohnen, recht innig; da ist mein guter rechtschaffener Vatter, seine Kinder, und Sie unser Bruder; da werden wir oft, so stille, geräuschlose Freuden, welche dem Herzen wohlthun, in unserm Hause mit einander genießen; wie wir lezten Sonnabend eine hatten; es war nämlich meines guten Vatters 75. Geburtstag.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/138
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/138>, abgerufen am 04.05.2024.