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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Ans Gemüses Memoiren.

Aus dem Tcigebuchc eines alten Schauspielers. Von Eduard Gemahl. 2 Theile.
Leipzig, Voigt und Günther. 1862.

Abgesehen von den persönlichen Erlebnissen des Verfassers, der einer der
achtbarsten Vertreter der Schauspielkunst in der ersten Hälfte unsres Jahrhun¬
derts war und bier überdies ebenso als liebenswürdig,' Charakter wie als gu¬
ter Beobachter und Erzähler auftritt, enthalten diese Tagebuchsblätter, welche
mit Hinzurechnung der eingefügten Mittheilungen Anton Gemahls, des Vaters*),
über die glänzende Epoche der Hvfbühne von Weimar die Zeit vom Jahr 1791
bis zu Goethe's Tode umfassen, eine grosze Anzahl interessanter Beiträge zur
Charakteristik bedeutender Männer und Frauen aus der classischen Periode
unsrer Literatur und unsres Theaters. Deutlich tritt uns Ton und Wesen na¬
mentlich der Weimarschen Gesellschaft vor die Augen. Sehr werthvoll sind die
theils aus erster, theils aus zweiter Hand mitgetheilten Anekdoten von Goethe,
Schiller, Karl August, der Neumann. Eszlair, den Wolffs u. a. Ebenfalls von
großem Interesse ist, was der Verfasser von seinen Bekanntschaften und Er¬
lebnissen während seines Aufenthalts in Dresden. Leipzig, Darmstadt und Ber¬
lin erzählt, allerliebst die Schilderung des sächsischen Hofes, hübsch die Zeich¬
nung v. Webers, Tiecks, Ludwig Devrients, 5er Sonntag und vieler Anderer,
mit denen er zu Verkehren das Glück hatte.

Indem wir das Buch hiermit warm empfehlen, geben wir im Folgenden
einige Bilder und Anekdoten aus den Capiteln über die Zeit, in welcher
Goethe, zuerst allein, dann mit Schiller, zuletzt wieder allein, das Weimarsche
Theater leitete, und zwar zunächst das Portrait der Christiane Neumann,
jenes lieblichen Frauenbildes, das Goethe als "Euphrosyne" verewigt hat.

Christiane Neumann kam mit ihren Eltern im Jahr 1784 zur Belluomo-
schen Gesellschaft nach Weimar. 1787 trat sie hier zum ersten Mal als Julie
im "Räuschchen" auf und gewann sich sofort aller Herzen. Die Herzogin-
Wittwe Anna Amcüie nahm sich ihrer mit mütterlicher Sorgfalt an, und Co¬
rona Schröder widmete sich ihrer fernern Ausbildung. Ihr Vater, ein treff¬
licher Schauspieler und von Goethe zum Regisseur bestimmt, starb kurz vor
Eröffnung des Hoftheaters noch sehr jung an einem hektischen Fieber. Die
Tochter entwickelte sich unter Goethe's specieller Leitung sehr früh schon zu



") Derselbe war bekanntlich zu jener Zeit Regisseur in Weimar.
Ans Gemüses Memoiren.

Aus dem Tcigebuchc eines alten Schauspielers. Von Eduard Gemahl. 2 Theile.
Leipzig, Voigt und Günther. 1862.

Abgesehen von den persönlichen Erlebnissen des Verfassers, der einer der
achtbarsten Vertreter der Schauspielkunst in der ersten Hälfte unsres Jahrhun¬
derts war und bier überdies ebenso als liebenswürdig,' Charakter wie als gu¬
ter Beobachter und Erzähler auftritt, enthalten diese Tagebuchsblätter, welche
mit Hinzurechnung der eingefügten Mittheilungen Anton Gemahls, des Vaters*),
über die glänzende Epoche der Hvfbühne von Weimar die Zeit vom Jahr 1791
bis zu Goethe's Tode umfassen, eine grosze Anzahl interessanter Beiträge zur
Charakteristik bedeutender Männer und Frauen aus der classischen Periode
unsrer Literatur und unsres Theaters. Deutlich tritt uns Ton und Wesen na¬
mentlich der Weimarschen Gesellschaft vor die Augen. Sehr werthvoll sind die
theils aus erster, theils aus zweiter Hand mitgetheilten Anekdoten von Goethe,
Schiller, Karl August, der Neumann. Eszlair, den Wolffs u. a. Ebenfalls von
großem Interesse ist, was der Verfasser von seinen Bekanntschaften und Er¬
lebnissen während seines Aufenthalts in Dresden. Leipzig, Darmstadt und Ber¬
lin erzählt, allerliebst die Schilderung des sächsischen Hofes, hübsch die Zeich¬
nung v. Webers, Tiecks, Ludwig Devrients, 5er Sonntag und vieler Anderer,
mit denen er zu Verkehren das Glück hatte.

Indem wir das Buch hiermit warm empfehlen, geben wir im Folgenden
einige Bilder und Anekdoten aus den Capiteln über die Zeit, in welcher
Goethe, zuerst allein, dann mit Schiller, zuletzt wieder allein, das Weimarsche
Theater leitete, und zwar zunächst das Portrait der Christiane Neumann,
jenes lieblichen Frauenbildes, das Goethe als „Euphrosyne" verewigt hat.

Christiane Neumann kam mit ihren Eltern im Jahr 1784 zur Belluomo-
schen Gesellschaft nach Weimar. 1787 trat sie hier zum ersten Mal als Julie
im „Räuschchen" auf und gewann sich sofort aller Herzen. Die Herzogin-
Wittwe Anna Amcüie nahm sich ihrer mit mütterlicher Sorgfalt an, und Co¬
rona Schröder widmete sich ihrer fernern Ausbildung. Ihr Vater, ein treff¬
licher Schauspieler und von Goethe zum Regisseur bestimmt, starb kurz vor
Eröffnung des Hoftheaters noch sehr jung an einem hektischen Fieber. Die
Tochter entwickelte sich unter Goethe's specieller Leitung sehr früh schon zu



") Derselbe war bekanntlich zu jener Zeit Regisseur in Weimar.
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[0149] Ans Gemüses Memoiren. Aus dem Tcigebuchc eines alten Schauspielers. Von Eduard Gemahl. 2 Theile. Leipzig, Voigt und Günther. 1862. Abgesehen von den persönlichen Erlebnissen des Verfassers, der einer der achtbarsten Vertreter der Schauspielkunst in der ersten Hälfte unsres Jahrhun¬ derts war und bier überdies ebenso als liebenswürdig,' Charakter wie als gu¬ ter Beobachter und Erzähler auftritt, enthalten diese Tagebuchsblätter, welche mit Hinzurechnung der eingefügten Mittheilungen Anton Gemahls, des Vaters*), über die glänzende Epoche der Hvfbühne von Weimar die Zeit vom Jahr 1791 bis zu Goethe's Tode umfassen, eine grosze Anzahl interessanter Beiträge zur Charakteristik bedeutender Männer und Frauen aus der classischen Periode unsrer Literatur und unsres Theaters. Deutlich tritt uns Ton und Wesen na¬ mentlich der Weimarschen Gesellschaft vor die Augen. Sehr werthvoll sind die theils aus erster, theils aus zweiter Hand mitgetheilten Anekdoten von Goethe, Schiller, Karl August, der Neumann. Eszlair, den Wolffs u. a. Ebenfalls von großem Interesse ist, was der Verfasser von seinen Bekanntschaften und Er¬ lebnissen während seines Aufenthalts in Dresden. Leipzig, Darmstadt und Ber¬ lin erzählt, allerliebst die Schilderung des sächsischen Hofes, hübsch die Zeich¬ nung v. Webers, Tiecks, Ludwig Devrients, 5er Sonntag und vieler Anderer, mit denen er zu Verkehren das Glück hatte. Indem wir das Buch hiermit warm empfehlen, geben wir im Folgenden einige Bilder und Anekdoten aus den Capiteln über die Zeit, in welcher Goethe, zuerst allein, dann mit Schiller, zuletzt wieder allein, das Weimarsche Theater leitete, und zwar zunächst das Portrait der Christiane Neumann, jenes lieblichen Frauenbildes, das Goethe als „Euphrosyne" verewigt hat. Christiane Neumann kam mit ihren Eltern im Jahr 1784 zur Belluomo- schen Gesellschaft nach Weimar. 1787 trat sie hier zum ersten Mal als Julie im „Räuschchen" auf und gewann sich sofort aller Herzen. Die Herzogin- Wittwe Anna Amcüie nahm sich ihrer mit mütterlicher Sorgfalt an, und Co¬ rona Schröder widmete sich ihrer fernern Ausbildung. Ihr Vater, ein treff¬ licher Schauspieler und von Goethe zum Regisseur bestimmt, starb kurz vor Eröffnung des Hoftheaters noch sehr jung an einem hektischen Fieber. Die Tochter entwickelte sich unter Goethe's specieller Leitung sehr früh schon zu ") Derselbe war bekanntlich zu jener Zeit Regisseur in Weimar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/149>, abgerufen am 04.05.2024.