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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Die Orglmisatwil der deutschen Armeen.

Wenn eine totale Reform des preußischen Heerwesens vorgenommen wer-
den mußte, weil das vom Grafen Dohna, von Scharnhorst, Schön und Aork
eingeführte Land Wehrsystem uicht mehr ausreichte, dann mußte vor allem eine
zeitgemäße Bestimmung über die Ausführung der Dienstpflicht erlassen werden.
Die neuerdings beliebten Einrichtungen haben die Mängel des alten Cantonsystems
und der französischen.Conscription, sind complicirter als das einfache System
von 1812 und bei weitem kostspieliger. Daß die Einführung der Landwehr
eine durchaus volksthümliche geworden, ist bekannt, aber auch daß in der lan¬
gen Friedenszeit die Landwehr, um die Linienbataillone zu begünstigen, ver¬
nachlässigt worden und nichts für dieselbe gethan ist.

Der Verfasser dieses glaubt Ansichten, die er vor Jahren mit Befreunde¬
ten besprochen, von deren Ausführbarkeit die Erfahrungen von 1348 bis 5V
im eigenen Lande ihn überzeugt, veröffentlichen zu dürfen, obwohl er sich sehr
Wohl bewußt ist, welchen Widerstand dieselben in der gesammten Bureaukratie,
vor allem bei der Partei des kreuzritterlichen Junkerthums finden werden.

Nicht erst seit der Reorganisation der preußischen Armee unter dem jetzigen .
Könige ist über die Vorzüge und die Mängel der drei- und der 'zweijährigen
Dienstzeit gestritten, sind zahlreiche Abhandlungen darüber geschrieben worden.
Fast ohne Ausnahme finden die Offiziere- der älteren Schule, von der Ueber¬
zeugung ausgehend, daß nur durch strammes Exerciren der Mannschaft Dis¬
ciplin beigebracht werden könne, eine dreijährige Dienstzeit noch zu kurz, die junge
einundzwanzigjährige Mannschaft auszubilden, ihr militärische Haltung und kriege¬
rischen Geist beizubringen, blinden Gehorsam in den Regimentern zu erhalten.

Diesen Realisten entgegen behaupten die Idealisten, daß durch Turnen
und durch Tirailliren im Terrain, nicht auf dem Exercirplatz, die körperlichen
nicht nur, sondern auch die geistigen Fähigkeiten des jungen Soldaten zu ent¬
wickeln und auszubilden seien, daß bei gehöriger Leitung, mit dem Bewußt¬
sein eigener-Kraft und Fähigkeit die militärische Haltung und die Disciplin,
ohne denselben zur willenslosen Maschine zu drillen, binnen Jahresfrist ein¬
geführt und bei einer zweijährigen Dienstzeit erhalten werden könne.


Grenzboten III. 1362. ^ 57
Die Orglmisatwil der deutschen Armeen.

Wenn eine totale Reform des preußischen Heerwesens vorgenommen wer-
den mußte, weil das vom Grafen Dohna, von Scharnhorst, Schön und Aork
eingeführte Land Wehrsystem uicht mehr ausreichte, dann mußte vor allem eine
zeitgemäße Bestimmung über die Ausführung der Dienstpflicht erlassen werden.
Die neuerdings beliebten Einrichtungen haben die Mängel des alten Cantonsystems
und der französischen.Conscription, sind complicirter als das einfache System
von 1812 und bei weitem kostspieliger. Daß die Einführung der Landwehr
eine durchaus volksthümliche geworden, ist bekannt, aber auch daß in der lan¬
gen Friedenszeit die Landwehr, um die Linienbataillone zu begünstigen, ver¬
nachlässigt worden und nichts für dieselbe gethan ist.

Der Verfasser dieses glaubt Ansichten, die er vor Jahren mit Befreunde¬
ten besprochen, von deren Ausführbarkeit die Erfahrungen von 1348 bis 5V
im eigenen Lande ihn überzeugt, veröffentlichen zu dürfen, obwohl er sich sehr
Wohl bewußt ist, welchen Widerstand dieselben in der gesammten Bureaukratie,
vor allem bei der Partei des kreuzritterlichen Junkerthums finden werden.

Nicht erst seit der Reorganisation der preußischen Armee unter dem jetzigen .
Könige ist über die Vorzüge und die Mängel der drei- und der 'zweijährigen
Dienstzeit gestritten, sind zahlreiche Abhandlungen darüber geschrieben worden.
Fast ohne Ausnahme finden die Offiziere- der älteren Schule, von der Ueber¬
zeugung ausgehend, daß nur durch strammes Exerciren der Mannschaft Dis¬
ciplin beigebracht werden könne, eine dreijährige Dienstzeit noch zu kurz, die junge
einundzwanzigjährige Mannschaft auszubilden, ihr militärische Haltung und kriege¬
rischen Geist beizubringen, blinden Gehorsam in den Regimentern zu erhalten.

Diesen Realisten entgegen behaupten die Idealisten, daß durch Turnen
und durch Tirailliren im Terrain, nicht auf dem Exercirplatz, die körperlichen
nicht nur, sondern auch die geistigen Fähigkeiten des jungen Soldaten zu ent¬
wickeln und auszubilden seien, daß bei gehöriger Leitung, mit dem Bewußt¬
sein eigener-Kraft und Fähigkeit die militärische Haltung und die Disciplin,
ohne denselben zur willenslosen Maschine zu drillen, binnen Jahresfrist ein¬
geführt und bei einer zweijährigen Dienstzeit erhalten werden könne.


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[0457] Die Orglmisatwil der deutschen Armeen. Wenn eine totale Reform des preußischen Heerwesens vorgenommen wer- den mußte, weil das vom Grafen Dohna, von Scharnhorst, Schön und Aork eingeführte Land Wehrsystem uicht mehr ausreichte, dann mußte vor allem eine zeitgemäße Bestimmung über die Ausführung der Dienstpflicht erlassen werden. Die neuerdings beliebten Einrichtungen haben die Mängel des alten Cantonsystems und der französischen.Conscription, sind complicirter als das einfache System von 1812 und bei weitem kostspieliger. Daß die Einführung der Landwehr eine durchaus volksthümliche geworden, ist bekannt, aber auch daß in der lan¬ gen Friedenszeit die Landwehr, um die Linienbataillone zu begünstigen, ver¬ nachlässigt worden und nichts für dieselbe gethan ist. Der Verfasser dieses glaubt Ansichten, die er vor Jahren mit Befreunde¬ ten besprochen, von deren Ausführbarkeit die Erfahrungen von 1348 bis 5V im eigenen Lande ihn überzeugt, veröffentlichen zu dürfen, obwohl er sich sehr Wohl bewußt ist, welchen Widerstand dieselben in der gesammten Bureaukratie, vor allem bei der Partei des kreuzritterlichen Junkerthums finden werden. Nicht erst seit der Reorganisation der preußischen Armee unter dem jetzigen . Könige ist über die Vorzüge und die Mängel der drei- und der 'zweijährigen Dienstzeit gestritten, sind zahlreiche Abhandlungen darüber geschrieben worden. Fast ohne Ausnahme finden die Offiziere- der älteren Schule, von der Ueber¬ zeugung ausgehend, daß nur durch strammes Exerciren der Mannschaft Dis¬ ciplin beigebracht werden könne, eine dreijährige Dienstzeit noch zu kurz, die junge einundzwanzigjährige Mannschaft auszubilden, ihr militärische Haltung und kriege¬ rischen Geist beizubringen, blinden Gehorsam in den Regimentern zu erhalten. Diesen Realisten entgegen behaupten die Idealisten, daß durch Turnen und durch Tirailliren im Terrain, nicht auf dem Exercirplatz, die körperlichen nicht nur, sondern auch die geistigen Fähigkeiten des jungen Soldaten zu ent¬ wickeln und auszubilden seien, daß bei gehöriger Leitung, mit dem Bewußt¬ sein eigener-Kraft und Fähigkeit die militärische Haltung und die Disciplin, ohne denselben zur willenslosen Maschine zu drillen, binnen Jahresfrist ein¬ geführt und bei einer zweijährigen Dienstzeit erhalten werden könne. Grenzboten III. 1362. ^ 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/457>, abgerufen am 05.05.2024.