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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Schwaben und der Handelsvertrag.

Als vor etwa zwei Jahren in Würtemberg die Entscheidung wegen des
Concordats bevorstand, wunderten sich Fernerstehende über die anscheinende
Gleichgiltigkeit, in welcher das schwäbische Volk fast bis zum letzten Augenblick
verharrte,, als ob es die große Bedeutung dieser Entscheidung nicht verstände
und ruhig über sich ergehen lassen wolle, was ein reactionäres Ministerium im
Bunde mit Rom eingeleitet hatte. Diese Apathie war um so auffallender, als
furz vorher der energische Kampf des badischen Volkes gegen die Übereinkunft
mit Rom siegreich geendet hatte, als Verordnungen des Ministeriums bereits
auf dem Verwaltungswege das Concordat theilweise ins Leben zu führen
begonnen hatten, und endlich das Votum des Abgeordnetenhauses noch keines¬
wegs mit Bestimmtheit sich voraussehen ließ. Haben Sie Geduld -- wurde von
den schwäbischen Wortführern entgegnet -- Sie kennen das schwäbische Volk noch
nicht; es ist langsam, aber dafür um so beharrlicher, wenn es eine Sache
ergriffen hat; es erhitzt sich nicht im Voraus unnöthiger Weise, aber im rechten
Augenblick wird es mit aller Energie seinem Willensausdruck Geltung ver¬
schaffen. Und richtig, es war so. Wenige Wochen nur vor dem Zusammen¬
tritt der Stände wurde die Agitation gegen das Concordat eingeleitet, aber
diese wenigen Wochen reichten hin, um sie so consequent zu leiten und zu
solcher Bedeutung anschwellen zu lassen, daß das entscheidende Votum d^r
Kammer, das wesentlich unter dem Druck dieser mächtigen Volksstimmung zu
Stande kam. nur als dessen natürlicher Ausfluß erschien und die Regierung
es nicht wagen konnte, den lauten Wünschen der Bevölkerung sich länger ent¬
gegenzusetzen.

Nicht so bewährte sich jene Theorie in der Frage des Handelsvertrags.
In tiefer Gleichgiltigkeit verharrte das schwäbische Volk nicht blos, als ander¬
wärts lebhast hin und wider verhandelt wurde, als anderwärts sich eine feste
Meinung bildete, sondern auch als die Folgen, welche das Verhalten der ein¬
zelnen Regierungen nach sich ziehen mußte, bereits klar sich übersehen ließen.
Es war zu spät, als es endlich aus seiner Apathie zu erwachen begann. Die
eigene Regierung hatte, jenes Verhalten der Bevölkerung trefflich benutzend,


Grenzboten IV. 1S62, 26
Schwaben und der Handelsvertrag.

Als vor etwa zwei Jahren in Würtemberg die Entscheidung wegen des
Concordats bevorstand, wunderten sich Fernerstehende über die anscheinende
Gleichgiltigkeit, in welcher das schwäbische Volk fast bis zum letzten Augenblick
verharrte,, als ob es die große Bedeutung dieser Entscheidung nicht verstände
und ruhig über sich ergehen lassen wolle, was ein reactionäres Ministerium im
Bunde mit Rom eingeleitet hatte. Diese Apathie war um so auffallender, als
furz vorher der energische Kampf des badischen Volkes gegen die Übereinkunft
mit Rom siegreich geendet hatte, als Verordnungen des Ministeriums bereits
auf dem Verwaltungswege das Concordat theilweise ins Leben zu führen
begonnen hatten, und endlich das Votum des Abgeordnetenhauses noch keines¬
wegs mit Bestimmtheit sich voraussehen ließ. Haben Sie Geduld — wurde von
den schwäbischen Wortführern entgegnet — Sie kennen das schwäbische Volk noch
nicht; es ist langsam, aber dafür um so beharrlicher, wenn es eine Sache
ergriffen hat; es erhitzt sich nicht im Voraus unnöthiger Weise, aber im rechten
Augenblick wird es mit aller Energie seinem Willensausdruck Geltung ver¬
schaffen. Und richtig, es war so. Wenige Wochen nur vor dem Zusammen¬
tritt der Stände wurde die Agitation gegen das Concordat eingeleitet, aber
diese wenigen Wochen reichten hin, um sie so consequent zu leiten und zu
solcher Bedeutung anschwellen zu lassen, daß das entscheidende Votum d^r
Kammer, das wesentlich unter dem Druck dieser mächtigen Volksstimmung zu
Stande kam. nur als dessen natürlicher Ausfluß erschien und die Regierung
es nicht wagen konnte, den lauten Wünschen der Bevölkerung sich länger ent¬
gegenzusetzen.

Nicht so bewährte sich jene Theorie in der Frage des Handelsvertrags.
In tiefer Gleichgiltigkeit verharrte das schwäbische Volk nicht blos, als ander¬
wärts lebhast hin und wider verhandelt wurde, als anderwärts sich eine feste
Meinung bildete, sondern auch als die Folgen, welche das Verhalten der ein¬
zelnen Regierungen nach sich ziehen mußte, bereits klar sich übersehen ließen.
Es war zu spät, als es endlich aus seiner Apathie zu erwachen begann. Die
eigene Regierung hatte, jenes Verhalten der Bevölkerung trefflich benutzend,


Grenzboten IV. 1S62, 26
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[0209] Schwaben und der Handelsvertrag. Als vor etwa zwei Jahren in Würtemberg die Entscheidung wegen des Concordats bevorstand, wunderten sich Fernerstehende über die anscheinende Gleichgiltigkeit, in welcher das schwäbische Volk fast bis zum letzten Augenblick verharrte,, als ob es die große Bedeutung dieser Entscheidung nicht verstände und ruhig über sich ergehen lassen wolle, was ein reactionäres Ministerium im Bunde mit Rom eingeleitet hatte. Diese Apathie war um so auffallender, als furz vorher der energische Kampf des badischen Volkes gegen die Übereinkunft mit Rom siegreich geendet hatte, als Verordnungen des Ministeriums bereits auf dem Verwaltungswege das Concordat theilweise ins Leben zu führen begonnen hatten, und endlich das Votum des Abgeordnetenhauses noch keines¬ wegs mit Bestimmtheit sich voraussehen ließ. Haben Sie Geduld — wurde von den schwäbischen Wortführern entgegnet — Sie kennen das schwäbische Volk noch nicht; es ist langsam, aber dafür um so beharrlicher, wenn es eine Sache ergriffen hat; es erhitzt sich nicht im Voraus unnöthiger Weise, aber im rechten Augenblick wird es mit aller Energie seinem Willensausdruck Geltung ver¬ schaffen. Und richtig, es war so. Wenige Wochen nur vor dem Zusammen¬ tritt der Stände wurde die Agitation gegen das Concordat eingeleitet, aber diese wenigen Wochen reichten hin, um sie so consequent zu leiten und zu solcher Bedeutung anschwellen zu lassen, daß das entscheidende Votum d^r Kammer, das wesentlich unter dem Druck dieser mächtigen Volksstimmung zu Stande kam. nur als dessen natürlicher Ausfluß erschien und die Regierung es nicht wagen konnte, den lauten Wünschen der Bevölkerung sich länger ent¬ gegenzusetzen. Nicht so bewährte sich jene Theorie in der Frage des Handelsvertrags. In tiefer Gleichgiltigkeit verharrte das schwäbische Volk nicht blos, als ander¬ wärts lebhast hin und wider verhandelt wurde, als anderwärts sich eine feste Meinung bildete, sondern auch als die Folgen, welche das Verhalten der ein¬ zelnen Regierungen nach sich ziehen mußte, bereits klar sich übersehen ließen. Es war zu spät, als es endlich aus seiner Apathie zu erwachen begann. Die eigene Regierung hatte, jenes Verhalten der Bevölkerung trefflich benutzend, Grenzboten IV. 1S62, 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/209>, abgerufen am 28.04.2024.