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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Die großdentsche BerslMNllnng in Frankfurt a. M.

"Großdeutsch" war bisher in Süddeutschland größtentheils ein Lob, in Nord¬
deutschland beinahe ein Schimpfwort. Es ist jetzt aus der Bezeichnung einer
bloßen Richtung zum Namen einer bestimmten politischen Partei geworden,
dem die weitere Entwickelung der Dinge in Deutschland seinen Inhalt
geben wird. Die Versammlung in Frankfurt, welche zur förmlichen Gründung
und Organisation dieser Partei am 28. und 29. October abgehalten wurde,
hat dazu bereits einen ersten Beitrag geliefert.

Die Elemente zur Bildung einer großdeutschen Partei lagen besonders
im Südwesten verhältnißmäßig reichlich gehäuft. Wenn sie nicht so sehr ver¬
schiedener Natur gewesen wären, so hätten sie sich ohne Zweifel längst so gut
zusammengefunden, wie die ihnen gegenüberstehende Nationalpartei. Aber kein
positives Streben, sondern der bloße, bei dem Einen aus diesem, bei dem
Andern aus jenen Motiven hervorgehende Widerwille gegen das abermals von
einer mächtigen Partei repräsentirte Reformprogramm von 1849 verband diese
Elemente. Zum Theil waren es Ultramvntane, Particularisten und Reactio¬
näre, die dem deutschen Volke weder Einheit noch Freiheit in irgend einem
noch so bescheidenen Maße gönnten. Zum andern Theil waren es Demokraten,
denen das Reformprogramm nicht weit genug ging, und die von seiner Ver¬
eitlung neue Chancen für eine deutsche Republik hofften. Es bedürfte einer
längeren Dauer der Reformbewegung, bevor aus diesen beiden Hauptbestand¬
theilen sich eine geschlossene Partei zusammenfinden konnte. Jeder für sich aber,
das fühlte man wohl, war der vorwärtsdringenden Reformpartei nicht gewachsen.
Es mußte außerdem eine besondere Gunst der Umstände hinzukommen, um die
Einen aus ihrer innern Abneigung gegen jede öffentliche Agitation, die Andern
aus ihrem pessimistischen Schmolk- und Trotzwinkel hervorzulocken. Diese Gunst
der Umstände nun trat ein, als Preußen sich durch innere Wirren für längere
Zeit unfähig zu machen schien, dem nationalen Bedürfniß irgend eine reelle
Befriedigung zu bieten. Der Nationalverein hatte damit angefangen, seine
Hoffnungen auf die Initiative der preußischen Negierung zu setzen; als das
nicht ferner möglich war, mußte es scheinen, seine Thätigkeit sei überhaupt ge¬
lähmt. Gleichzeitig also mit der Verschlimmerung der Lage in Preußen be-


Grmzboten IV. 1SK2. 3l
Die großdentsche BerslMNllnng in Frankfurt a. M.

„Großdeutsch" war bisher in Süddeutschland größtentheils ein Lob, in Nord¬
deutschland beinahe ein Schimpfwort. Es ist jetzt aus der Bezeichnung einer
bloßen Richtung zum Namen einer bestimmten politischen Partei geworden,
dem die weitere Entwickelung der Dinge in Deutschland seinen Inhalt
geben wird. Die Versammlung in Frankfurt, welche zur förmlichen Gründung
und Organisation dieser Partei am 28. und 29. October abgehalten wurde,
hat dazu bereits einen ersten Beitrag geliefert.

Die Elemente zur Bildung einer großdeutschen Partei lagen besonders
im Südwesten verhältnißmäßig reichlich gehäuft. Wenn sie nicht so sehr ver¬
schiedener Natur gewesen wären, so hätten sie sich ohne Zweifel längst so gut
zusammengefunden, wie die ihnen gegenüberstehende Nationalpartei. Aber kein
positives Streben, sondern der bloße, bei dem Einen aus diesem, bei dem
Andern aus jenen Motiven hervorgehende Widerwille gegen das abermals von
einer mächtigen Partei repräsentirte Reformprogramm von 1849 verband diese
Elemente. Zum Theil waren es Ultramvntane, Particularisten und Reactio¬
näre, die dem deutschen Volke weder Einheit noch Freiheit in irgend einem
noch so bescheidenen Maße gönnten. Zum andern Theil waren es Demokraten,
denen das Reformprogramm nicht weit genug ging, und die von seiner Ver¬
eitlung neue Chancen für eine deutsche Republik hofften. Es bedürfte einer
längeren Dauer der Reformbewegung, bevor aus diesen beiden Hauptbestand¬
theilen sich eine geschlossene Partei zusammenfinden konnte. Jeder für sich aber,
das fühlte man wohl, war der vorwärtsdringenden Reformpartei nicht gewachsen.
Es mußte außerdem eine besondere Gunst der Umstände hinzukommen, um die
Einen aus ihrer innern Abneigung gegen jede öffentliche Agitation, die Andern
aus ihrem pessimistischen Schmolk- und Trotzwinkel hervorzulocken. Diese Gunst
der Umstände nun trat ein, als Preußen sich durch innere Wirren für längere
Zeit unfähig zu machen schien, dem nationalen Bedürfniß irgend eine reelle
Befriedigung zu bieten. Der Nationalverein hatte damit angefangen, seine
Hoffnungen auf die Initiative der preußischen Negierung zu setzen; als das
nicht ferner möglich war, mußte es scheinen, seine Thätigkeit sei überhaupt ge¬
lähmt. Gleichzeitig also mit der Verschlimmerung der Lage in Preußen be-


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[0249] Die großdentsche BerslMNllnng in Frankfurt a. M. „Großdeutsch" war bisher in Süddeutschland größtentheils ein Lob, in Nord¬ deutschland beinahe ein Schimpfwort. Es ist jetzt aus der Bezeichnung einer bloßen Richtung zum Namen einer bestimmten politischen Partei geworden, dem die weitere Entwickelung der Dinge in Deutschland seinen Inhalt geben wird. Die Versammlung in Frankfurt, welche zur förmlichen Gründung und Organisation dieser Partei am 28. und 29. October abgehalten wurde, hat dazu bereits einen ersten Beitrag geliefert. Die Elemente zur Bildung einer großdeutschen Partei lagen besonders im Südwesten verhältnißmäßig reichlich gehäuft. Wenn sie nicht so sehr ver¬ schiedener Natur gewesen wären, so hätten sie sich ohne Zweifel längst so gut zusammengefunden, wie die ihnen gegenüberstehende Nationalpartei. Aber kein positives Streben, sondern der bloße, bei dem Einen aus diesem, bei dem Andern aus jenen Motiven hervorgehende Widerwille gegen das abermals von einer mächtigen Partei repräsentirte Reformprogramm von 1849 verband diese Elemente. Zum Theil waren es Ultramvntane, Particularisten und Reactio¬ näre, die dem deutschen Volke weder Einheit noch Freiheit in irgend einem noch so bescheidenen Maße gönnten. Zum andern Theil waren es Demokraten, denen das Reformprogramm nicht weit genug ging, und die von seiner Ver¬ eitlung neue Chancen für eine deutsche Republik hofften. Es bedürfte einer längeren Dauer der Reformbewegung, bevor aus diesen beiden Hauptbestand¬ theilen sich eine geschlossene Partei zusammenfinden konnte. Jeder für sich aber, das fühlte man wohl, war der vorwärtsdringenden Reformpartei nicht gewachsen. Es mußte außerdem eine besondere Gunst der Umstände hinzukommen, um die Einen aus ihrer innern Abneigung gegen jede öffentliche Agitation, die Andern aus ihrem pessimistischen Schmolk- und Trotzwinkel hervorzulocken. Diese Gunst der Umstände nun trat ein, als Preußen sich durch innere Wirren für längere Zeit unfähig zu machen schien, dem nationalen Bedürfniß irgend eine reelle Befriedigung zu bieten. Der Nationalverein hatte damit angefangen, seine Hoffnungen auf die Initiative der preußischen Negierung zu setzen; als das nicht ferner möglich war, mußte es scheinen, seine Thätigkeit sei überhaupt ge¬ lähmt. Gleichzeitig also mit der Verschlimmerung der Lage in Preußen be- Grmzboten IV. 1SK2. 3l

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/249>, abgerufen am 29.04.2024.