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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Kurhessische Briefe.
1.

Herr von Bismar? hofft, in seiner jüngsten Note die kurhessische Verfassung
künftig als eine innere Angelegenheit betrachten zu können und von derselben
nichts mehr zu hören. Vielleicht hegt mancher miserer Leser denselben Wunsch.
Aber das Schicksal ist zuweilen unerbittlich. Wir fürchten sehr, auch Herr von
Bismark wird von Kurhessen noch zu hören bekommen, oder wenigstens sein
Nachfolger.

Hassenpflug freilich ruht im Grabe; aber die übrigen inländischen Faiseurs
find noch obenauf. Von den auswärtigen dominirt Herr von der Pfordten in
der Eschenheimergasse, Graf Nechbcrg sitzt in der Wiener Staatskanzlei, und
Herr Uhden in Berlin speist vertraulich am Hofe. Kann es da Wunder neh¬
men, wenn die Dinge in Kassel nicht vorwärts gehen? Der Bundestag hat
freilich unsere Verfassung wiederhergestellt, und eine landesherrliche Verkündigung
vom 21. Juni I8ö2 setzte dieselbe auch in Wirksamkeit. Aber zu einer wirk¬
lichen Lebensthätigkeit ist die Verfassung bis jetzt nicht gelangt.

Am 24. Mai wurde in Frankfurt der entscheidende Beschluß gefaßt. Zu¬
nächst zögerte die officielle Kasseler Zeitung mit der Bekanntmachung; dann zö¬
gerten die Minister mit ihrer Entlassung. Als diese endlich auf Commando
eingereicht war. fanden weitläufige Verhandlungen und Unterhandlungen über
die Bildung eines neuen Cabinets statt. Man sagt, es seien Scheinverhand¬
lungen gewesen. Da plötzlich, am 21. Juni Nachmittags., wurde die getreue
Residenzstadt Kassel durch die Nachricht allarmirt'. "Ein neues Ministerium ist
gebildet. Herr von Dehn-Nvthfelser und Herr v. Sticrnberg stehen an der
Spitze. Der Kurfürst Höchstselbst hat soeben dem Generallieutenant von Haynau
in dessen Privatwohnung den gelungenen Coup verkündigt: Haynau und der
östreichische Gesandte sind die Seele der Intrigue ?c." In den Mienen aller
Patrioten -- und die Stadt Kassel besteht nur aus Patrioten -- war ein
wunderliches Gemisch von Zorn und Hohnlachen zu lesen. "Also Herr v. Dehn
soll unsre Verfassung wieder herstellen; der würdige Schwager Aböes, derun-
beugsame Landtagscommissar, der Mann, welcher in alle Intriguen des Ver-


l"re"zi>oder IV. 1862. 10
Kurhessische Briefe.
1.

Herr von Bismar? hofft, in seiner jüngsten Note die kurhessische Verfassung
künftig als eine innere Angelegenheit betrachten zu können und von derselben
nichts mehr zu hören. Vielleicht hegt mancher miserer Leser denselben Wunsch.
Aber das Schicksal ist zuweilen unerbittlich. Wir fürchten sehr, auch Herr von
Bismark wird von Kurhessen noch zu hören bekommen, oder wenigstens sein
Nachfolger.

Hassenpflug freilich ruht im Grabe; aber die übrigen inländischen Faiseurs
find noch obenauf. Von den auswärtigen dominirt Herr von der Pfordten in
der Eschenheimergasse, Graf Nechbcrg sitzt in der Wiener Staatskanzlei, und
Herr Uhden in Berlin speist vertraulich am Hofe. Kann es da Wunder neh¬
men, wenn die Dinge in Kassel nicht vorwärts gehen? Der Bundestag hat
freilich unsere Verfassung wiederhergestellt, und eine landesherrliche Verkündigung
vom 21. Juni I8ö2 setzte dieselbe auch in Wirksamkeit. Aber zu einer wirk¬
lichen Lebensthätigkeit ist die Verfassung bis jetzt nicht gelangt.

Am 24. Mai wurde in Frankfurt der entscheidende Beschluß gefaßt. Zu¬
nächst zögerte die officielle Kasseler Zeitung mit der Bekanntmachung; dann zö¬
gerten die Minister mit ihrer Entlassung. Als diese endlich auf Commando
eingereicht war. fanden weitläufige Verhandlungen und Unterhandlungen über
die Bildung eines neuen Cabinets statt. Man sagt, es seien Scheinverhand¬
lungen gewesen. Da plötzlich, am 21. Juni Nachmittags., wurde die getreue
Residenzstadt Kassel durch die Nachricht allarmirt'. „Ein neues Ministerium ist
gebildet. Herr von Dehn-Nvthfelser und Herr v. Sticrnberg stehen an der
Spitze. Der Kurfürst Höchstselbst hat soeben dem Generallieutenant von Haynau
in dessen Privatwohnung den gelungenen Coup verkündigt: Haynau und der
östreichische Gesandte sind die Seele der Intrigue ?c." In den Mienen aller
Patrioten — und die Stadt Kassel besteht nur aus Patrioten — war ein
wunderliches Gemisch von Zorn und Hohnlachen zu lesen. „Also Herr v. Dehn
soll unsre Verfassung wieder herstellen; der würdige Schwager Aböes, derun-
beugsame Landtagscommissar, der Mann, welcher in alle Intriguen des Ver-


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[0375] Kurhessische Briefe. 1. Herr von Bismar? hofft, in seiner jüngsten Note die kurhessische Verfassung künftig als eine innere Angelegenheit betrachten zu können und von derselben nichts mehr zu hören. Vielleicht hegt mancher miserer Leser denselben Wunsch. Aber das Schicksal ist zuweilen unerbittlich. Wir fürchten sehr, auch Herr von Bismark wird von Kurhessen noch zu hören bekommen, oder wenigstens sein Nachfolger. Hassenpflug freilich ruht im Grabe; aber die übrigen inländischen Faiseurs find noch obenauf. Von den auswärtigen dominirt Herr von der Pfordten in der Eschenheimergasse, Graf Nechbcrg sitzt in der Wiener Staatskanzlei, und Herr Uhden in Berlin speist vertraulich am Hofe. Kann es da Wunder neh¬ men, wenn die Dinge in Kassel nicht vorwärts gehen? Der Bundestag hat freilich unsere Verfassung wiederhergestellt, und eine landesherrliche Verkündigung vom 21. Juni I8ö2 setzte dieselbe auch in Wirksamkeit. Aber zu einer wirk¬ lichen Lebensthätigkeit ist die Verfassung bis jetzt nicht gelangt. Am 24. Mai wurde in Frankfurt der entscheidende Beschluß gefaßt. Zu¬ nächst zögerte die officielle Kasseler Zeitung mit der Bekanntmachung; dann zö¬ gerten die Minister mit ihrer Entlassung. Als diese endlich auf Commando eingereicht war. fanden weitläufige Verhandlungen und Unterhandlungen über die Bildung eines neuen Cabinets statt. Man sagt, es seien Scheinverhand¬ lungen gewesen. Da plötzlich, am 21. Juni Nachmittags., wurde die getreue Residenzstadt Kassel durch die Nachricht allarmirt'. „Ein neues Ministerium ist gebildet. Herr von Dehn-Nvthfelser und Herr v. Sticrnberg stehen an der Spitze. Der Kurfürst Höchstselbst hat soeben dem Generallieutenant von Haynau in dessen Privatwohnung den gelungenen Coup verkündigt: Haynau und der östreichische Gesandte sind die Seele der Intrigue ?c." In den Mienen aller Patrioten — und die Stadt Kassel besteht nur aus Patrioten — war ein wunderliches Gemisch von Zorn und Hohnlachen zu lesen. „Also Herr v. Dehn soll unsre Verfassung wieder herstellen; der würdige Schwager Aböes, derun- beugsame Landtagscommissar, der Mann, welcher in alle Intriguen des Ver- l«re»zi>oder IV. 1862. 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/375>, abgerufen am 28.04.2024.