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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Der Geist der Nation wider den Geist der Universitäten*).

"Luna euMis" ist die Losung, mit der Preußen an der Spitze der all-
mälig zu Freiheit und Größe fortschreitenden Neugestaltung unseres nationalen
Lebens steht und einzig stehen bleiben kann. Das Princip des constitutionellen
Rechtsstaates, weiches diese Losung verkündigt, wird um so mehr eine Wahr-
beit, je mehr die Achtung Vor dem Gesetze sich als ein unwillkürlich wirksames,
zur andern Natur gewordenes Gefühl befestigt und eine von persönlichen Will¬
kürlichkeiten unabhängige Norm aller öffentlichen Verhältnisse darstellt. Ehe dies
Gefühl Gemeingut des ganzen Volkes und dadurch unüberwindlich werden kann,
muß es im Bewußtsein derer unumstößlich befestigt sein, die theils als handelnde
Organe des Staats für die Ausübung der Gesetze einzustehen berufen sind,
theils überhaupt dem ganzen Volke als bevorzugte Träger seiner geistigen Bildung
vorangehen. Bei ihnen muß der Gedanke der individuellen Willkür als öffent¬
licher Macht zuerst schwinden. Nichts ist also für die nächste Zukunft unserer
politischen Entwickelung wichtiger, als daß in der Erziehung des kommenden
Geschlechts, insbesondere in der höheren Ausbildung der Führer desselben auf den
Universitäten die Gewöhnung an eine unerschütterliche Gesetzesachtung zu einem
Hauptaugenmerk gemacht werde. Denn sie kann später durch nichts mehr er¬
setzt werden. Es ist zur Genüge bekannt, wie geflissentlich die Führer der
Unterdrückung jeder freieren geistigen und insbesondere politischen Entwickelung
des deutschen Volkes sich in dem sitten- und gesetzlosen Zustande der Universi¬
täten, in dem Scheinbilde der sogenannten akademischen Freiheit ein Mittel
der Uebersättigung der Jugend mit äußerlicher Ungebundenheit, der Abstumpfung



') Uebereinstimmend und den leitenden Ideen der folgenden Aufsätze, haben wir dieselben
nicht ablehnen zu sollen geglaubt, obwohl wir einigen Einzelnheiten in der Motivirung nicht
bei^utrctcn vermögen, und obwohl man meinen tour, eine Nebenfrage wie diese könne erst
mit und nach der allgemeinen deutschen Frage zur Lösung gelangen. Wo wir von dem Ver¬
fasser abweichen, haben wir dies in Anmerkungen ausgesprochen, und in Betreff des zweiten
Bedenkens bemerken wir. daß die. im hohen Zuge voranwehende Fahne der allgemeinen deut¬
schen Frage doch nur im Kampf um die Einzelfragen, die sie enthält, mehr und mehr ent¬
D. Red. faltet werden kann.
Grenzboten IV. 1362 6
Der Geist der Nation wider den Geist der Universitäten*).

„Luna euMis" ist die Losung, mit der Preußen an der Spitze der all-
mälig zu Freiheit und Größe fortschreitenden Neugestaltung unseres nationalen
Lebens steht und einzig stehen bleiben kann. Das Princip des constitutionellen
Rechtsstaates, weiches diese Losung verkündigt, wird um so mehr eine Wahr-
beit, je mehr die Achtung Vor dem Gesetze sich als ein unwillkürlich wirksames,
zur andern Natur gewordenes Gefühl befestigt und eine von persönlichen Will¬
kürlichkeiten unabhängige Norm aller öffentlichen Verhältnisse darstellt. Ehe dies
Gefühl Gemeingut des ganzen Volkes und dadurch unüberwindlich werden kann,
muß es im Bewußtsein derer unumstößlich befestigt sein, die theils als handelnde
Organe des Staats für die Ausübung der Gesetze einzustehen berufen sind,
theils überhaupt dem ganzen Volke als bevorzugte Träger seiner geistigen Bildung
vorangehen. Bei ihnen muß der Gedanke der individuellen Willkür als öffent¬
licher Macht zuerst schwinden. Nichts ist also für die nächste Zukunft unserer
politischen Entwickelung wichtiger, als daß in der Erziehung des kommenden
Geschlechts, insbesondere in der höheren Ausbildung der Führer desselben auf den
Universitäten die Gewöhnung an eine unerschütterliche Gesetzesachtung zu einem
Hauptaugenmerk gemacht werde. Denn sie kann später durch nichts mehr er¬
setzt werden. Es ist zur Genüge bekannt, wie geflissentlich die Führer der
Unterdrückung jeder freieren geistigen und insbesondere politischen Entwickelung
des deutschen Volkes sich in dem sitten- und gesetzlosen Zustande der Universi¬
täten, in dem Scheinbilde der sogenannten akademischen Freiheit ein Mittel
der Uebersättigung der Jugend mit äußerlicher Ungebundenheit, der Abstumpfung



') Uebereinstimmend und den leitenden Ideen der folgenden Aufsätze, haben wir dieselben
nicht ablehnen zu sollen geglaubt, obwohl wir einigen Einzelnheiten in der Motivirung nicht
bei^utrctcn vermögen, und obwohl man meinen tour, eine Nebenfrage wie diese könne erst
mit und nach der allgemeinen deutschen Frage zur Lösung gelangen. Wo wir von dem Ver¬
fasser abweichen, haben wir dies in Anmerkungen ausgesprochen, und in Betreff des zweiten
Bedenkens bemerken wir. daß die. im hohen Zuge voranwehende Fahne der allgemeinen deut¬
schen Frage doch nur im Kampf um die Einzelfragen, die sie enthält, mehr und mehr ent¬
D. Red. faltet werden kann.
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[0049] Der Geist der Nation wider den Geist der Universitäten*). „Luna euMis" ist die Losung, mit der Preußen an der Spitze der all- mälig zu Freiheit und Größe fortschreitenden Neugestaltung unseres nationalen Lebens steht und einzig stehen bleiben kann. Das Princip des constitutionellen Rechtsstaates, weiches diese Losung verkündigt, wird um so mehr eine Wahr- beit, je mehr die Achtung Vor dem Gesetze sich als ein unwillkürlich wirksames, zur andern Natur gewordenes Gefühl befestigt und eine von persönlichen Will¬ kürlichkeiten unabhängige Norm aller öffentlichen Verhältnisse darstellt. Ehe dies Gefühl Gemeingut des ganzen Volkes und dadurch unüberwindlich werden kann, muß es im Bewußtsein derer unumstößlich befestigt sein, die theils als handelnde Organe des Staats für die Ausübung der Gesetze einzustehen berufen sind, theils überhaupt dem ganzen Volke als bevorzugte Träger seiner geistigen Bildung vorangehen. Bei ihnen muß der Gedanke der individuellen Willkür als öffent¬ licher Macht zuerst schwinden. Nichts ist also für die nächste Zukunft unserer politischen Entwickelung wichtiger, als daß in der Erziehung des kommenden Geschlechts, insbesondere in der höheren Ausbildung der Führer desselben auf den Universitäten die Gewöhnung an eine unerschütterliche Gesetzesachtung zu einem Hauptaugenmerk gemacht werde. Denn sie kann später durch nichts mehr er¬ setzt werden. Es ist zur Genüge bekannt, wie geflissentlich die Führer der Unterdrückung jeder freieren geistigen und insbesondere politischen Entwickelung des deutschen Volkes sich in dem sitten- und gesetzlosen Zustande der Universi¬ täten, in dem Scheinbilde der sogenannten akademischen Freiheit ein Mittel der Uebersättigung der Jugend mit äußerlicher Ungebundenheit, der Abstumpfung ') Uebereinstimmend und den leitenden Ideen der folgenden Aufsätze, haben wir dieselben nicht ablehnen zu sollen geglaubt, obwohl wir einigen Einzelnheiten in der Motivirung nicht bei^utrctcn vermögen, und obwohl man meinen tour, eine Nebenfrage wie diese könne erst mit und nach der allgemeinen deutschen Frage zur Lösung gelangen. Wo wir von dem Ver¬ fasser abweichen, haben wir dies in Anmerkungen ausgesprochen, und in Betreff des zweiten Bedenkens bemerken wir. daß die. im hohen Zuge voranwehende Fahne der allgemeinen deut¬ schen Frage doch nur im Kampf um die Einzelfragen, die sie enthält, mehr und mehr ent¬ D. Red. faltet werden kann. Grenzboten IV. 1362 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/49>, abgerufen am 29.04.2024.