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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Eine Episode nus dem nordamenkanischen Kriege.
C. M. Reiseskizzen von

Das Kriegspanorama, welches der Läuterungsproceß der transatlantischen
Republik vor dem staunenden Auge der Welt entwickelt hat, bietet in seinen
kolossalen Dimensionen eine so merkwürdige Reihe von Contrasten, daß ein
Gesammteindruck kaum möglich erscheint und der Beobachter sich in einen
Zustand wahrhaft chaotischer Verwirrung versetzt fühlt, ohne einen Höhepunkt
zur umfassenden Uebersicht gewinnen zu können. Es wird daher von Interesse
sein, in kurzen Worten die verschiedenen Phasen jenes furchtbaren Kampfes zu
recapituliren und- die Bedeutung der Episode, welche wir dem Leser vorzuführen
gedenken, für das Ganze festzustellen.

Die kurze Geschichte des amerikanischen Bürgerkrieges hat Großes und
Erbärmliches, Vaterlandsliebe und Verrath, Gaunerei und Aufopferung unter
den verschiedenartigsten Formen und in seltenster Mischung zu Tage gefördert.
Die nördlichen Bundesstaaten haben ohne die geringsten Vorbereitungen in
kurzer Zeit ein Heer von einer halben Million zusammengebracht und in kampf¬
fähigen Zustand versetzt, eine nationale That, wie die Weltgeschichte wenige
aufzuweisen hat; aber dieser großartige Opfermuth ist von Eigennutz und Ver¬
rath so schmählich hintergangen worden, daß seine Wirkungen paralvsirt wer¬
den mußten. Hier tritt uns ein Beispiel entgegen, welches an die republika¬
nische Bürgertugend eines Regulus erinnert, während wir dort auf eine That
blicken, deren sich der corrupteste Despotismus nicht zu schämen brauchte. Der
Bericht des Jnvestigationscomite über Negierungscontracte bildet ein Register
von Schandthaten und Niederträchtigkeiten, dessen lange Reihe nur hier und da
von dem Namen eines ehrlichen Mannes unterbrochen wird. Mit einer Hel¬
denthat wurde der Krieg begonnen, von Beschränktheit und Verrath weiter ge¬
führt. -- Die Nation ließ dies im Anfange geschehen, da sie nach der unge¬
heuren ersten Anstrengung einer gewissen, nur zu natürlichen Erschlaffung an¬
heimfiel und noch nicht Kräfte genug zu einer gesunden Reaction angesammelt
hatte. Nachdem man sich dann aber einmal an die Idee der kolossalen Bewegung
gewöhnt hatte und dieselbe factisch im Gange sah, gewöhnte man sich auch an


Grenzboten IV. 1362. 11
Eine Episode nus dem nordamenkanischen Kriege.
C. M. Reiseskizzen von

Das Kriegspanorama, welches der Läuterungsproceß der transatlantischen
Republik vor dem staunenden Auge der Welt entwickelt hat, bietet in seinen
kolossalen Dimensionen eine so merkwürdige Reihe von Contrasten, daß ein
Gesammteindruck kaum möglich erscheint und der Beobachter sich in einen
Zustand wahrhaft chaotischer Verwirrung versetzt fühlt, ohne einen Höhepunkt
zur umfassenden Uebersicht gewinnen zu können. Es wird daher von Interesse
sein, in kurzen Worten die verschiedenen Phasen jenes furchtbaren Kampfes zu
recapituliren und- die Bedeutung der Episode, welche wir dem Leser vorzuführen
gedenken, für das Ganze festzustellen.

Die kurze Geschichte des amerikanischen Bürgerkrieges hat Großes und
Erbärmliches, Vaterlandsliebe und Verrath, Gaunerei und Aufopferung unter
den verschiedenartigsten Formen und in seltenster Mischung zu Tage gefördert.
Die nördlichen Bundesstaaten haben ohne die geringsten Vorbereitungen in
kurzer Zeit ein Heer von einer halben Million zusammengebracht und in kampf¬
fähigen Zustand versetzt, eine nationale That, wie die Weltgeschichte wenige
aufzuweisen hat; aber dieser großartige Opfermuth ist von Eigennutz und Ver¬
rath so schmählich hintergangen worden, daß seine Wirkungen paralvsirt wer¬
den mußten. Hier tritt uns ein Beispiel entgegen, welches an die republika¬
nische Bürgertugend eines Regulus erinnert, während wir dort auf eine That
blicken, deren sich der corrupteste Despotismus nicht zu schämen brauchte. Der
Bericht des Jnvestigationscomite über Negierungscontracte bildet ein Register
von Schandthaten und Niederträchtigkeiten, dessen lange Reihe nur hier und da
von dem Namen eines ehrlichen Mannes unterbrochen wird. Mit einer Hel¬
denthat wurde der Krieg begonnen, von Beschränktheit und Verrath weiter ge¬
führt. — Die Nation ließ dies im Anfange geschehen, da sie nach der unge¬
heuren ersten Anstrengung einer gewissen, nur zu natürlichen Erschlaffung an¬
heimfiel und noch nicht Kräfte genug zu einer gesunden Reaction angesammelt
hatte. Nachdem man sich dann aber einmal an die Idee der kolossalen Bewegung
gewöhnt hatte und dieselbe factisch im Gange sah, gewöhnte man sich auch an


Grenzboten IV. 1362. 11
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[0089] Eine Episode nus dem nordamenkanischen Kriege. C. M. Reiseskizzen von Das Kriegspanorama, welches der Läuterungsproceß der transatlantischen Republik vor dem staunenden Auge der Welt entwickelt hat, bietet in seinen kolossalen Dimensionen eine so merkwürdige Reihe von Contrasten, daß ein Gesammteindruck kaum möglich erscheint und der Beobachter sich in einen Zustand wahrhaft chaotischer Verwirrung versetzt fühlt, ohne einen Höhepunkt zur umfassenden Uebersicht gewinnen zu können. Es wird daher von Interesse sein, in kurzen Worten die verschiedenen Phasen jenes furchtbaren Kampfes zu recapituliren und- die Bedeutung der Episode, welche wir dem Leser vorzuführen gedenken, für das Ganze festzustellen. Die kurze Geschichte des amerikanischen Bürgerkrieges hat Großes und Erbärmliches, Vaterlandsliebe und Verrath, Gaunerei und Aufopferung unter den verschiedenartigsten Formen und in seltenster Mischung zu Tage gefördert. Die nördlichen Bundesstaaten haben ohne die geringsten Vorbereitungen in kurzer Zeit ein Heer von einer halben Million zusammengebracht und in kampf¬ fähigen Zustand versetzt, eine nationale That, wie die Weltgeschichte wenige aufzuweisen hat; aber dieser großartige Opfermuth ist von Eigennutz und Ver¬ rath so schmählich hintergangen worden, daß seine Wirkungen paralvsirt wer¬ den mußten. Hier tritt uns ein Beispiel entgegen, welches an die republika¬ nische Bürgertugend eines Regulus erinnert, während wir dort auf eine That blicken, deren sich der corrupteste Despotismus nicht zu schämen brauchte. Der Bericht des Jnvestigationscomite über Negierungscontracte bildet ein Register von Schandthaten und Niederträchtigkeiten, dessen lange Reihe nur hier und da von dem Namen eines ehrlichen Mannes unterbrochen wird. Mit einer Hel¬ denthat wurde der Krieg begonnen, von Beschränktheit und Verrath weiter ge¬ führt. — Die Nation ließ dies im Anfange geschehen, da sie nach der unge¬ heuren ersten Anstrengung einer gewissen, nur zu natürlichen Erschlaffung an¬ heimfiel und noch nicht Kräfte genug zu einer gesunden Reaction angesammelt hatte. Nachdem man sich dann aber einmal an die Idee der kolossalen Bewegung gewöhnt hatte und dieselbe factisch im Gange sah, gewöhnte man sich auch an Grenzboten IV. 1362. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/89>, abgerufen am 28.04.2024.