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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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die, der bedeutenden Anfänge unwürdig, auf dem besten Wege ist, sich in dem
Geschrei der Tagespresse zu verlieren, trägt den Stempel des inneren Unrechts
an der Stirn. Getäuscht oder täuschend über ihren wahren Zustand, geberdet
sie sich wie Einer, der an seinen Beruf nicht von Herzen glaubt und um desto
eifriger, hastiger und anstrengender ins Zeug geht. Dies echaussirte Wesen
gibt ihr jene heldische Nöthe, die wir nicht als Morgenschein eines erstarkten
Volksgeistes zu betrachten im Stande sind. Denn dazu fehlt ihr der noth¬
wendige Muth der Resignation, des engen und schließlich erwürgenden Kreises
ihrer gemachten iäolir tori se Ljzseug sich zu entschlagen und aus der Ueber¬
zeugung zu handeln, daß ein Volksthum mit solcher Geschichte, wie die des
böhmischen ist, nicht eigensinnig und selbstmörderisch vom Fruchtboden seiner
geistigen Existenz gesondert, als eine Pflanze mit Luftwurzeln zu leben berufen
sei. Wenn es auch wahr ist: "das Unrecht, was der Mann, der mündige,
dem Manne zufügt, vergißt sich und vergibt sich schwer", so wissen wir doch,
daß wir in einer neuen Zeit als neue Menschen leben. Weisen aber die Böh¬
men unversöhnlich auf die Wunde hin, die uns verhängt war ihnen zu schla¬
gen, so vergessen sie, daß die Geschichte ihres Verhältnisses zu Deutschland ein¬
dringlich und bedeutsam das Wort bestätigt: ö r^>co>7"s ""5 t"i7-,r"t!


M. I.


Von der polnischen Grenze.

Ein Auftrag führte mich in der vergangenen Woche in den äußersten
Süden unserer Provinz, aus jene schmale Zunge, die drei bis vier Meilen
breit, zwischen Schlesien und Cvngreßpolen eingeschlossen liegt. Dort wohnen
die evangelischen Polen; es sind merkwürdige und durchaus liebenswerthe
Leute. Kirchlich verlassen, haben sie sich Jahrhunderte lang nur aus polnischen
Liedern und der Postille von Samuel Dombrowski geistlich genährt, ohne sich
irgendwie zum Abfall von dem Väterglauben versucht zu fühlen; aber sie hängen
mit derselben Innigkeit an ihrer polnischen Sprache, sie ihnen zu nehmen
dürfte schwer sein. So haben sie sich Nationalsitte, Gebräuche, Tracht gewahrt.


die, der bedeutenden Anfänge unwürdig, auf dem besten Wege ist, sich in dem
Geschrei der Tagespresse zu verlieren, trägt den Stempel des inneren Unrechts
an der Stirn. Getäuscht oder täuschend über ihren wahren Zustand, geberdet
sie sich wie Einer, der an seinen Beruf nicht von Herzen glaubt und um desto
eifriger, hastiger und anstrengender ins Zeug geht. Dies echaussirte Wesen
gibt ihr jene heldische Nöthe, die wir nicht als Morgenschein eines erstarkten
Volksgeistes zu betrachten im Stande sind. Denn dazu fehlt ihr der noth¬
wendige Muth der Resignation, des engen und schließlich erwürgenden Kreises
ihrer gemachten iäolir tori se Ljzseug sich zu entschlagen und aus der Ueber¬
zeugung zu handeln, daß ein Volksthum mit solcher Geschichte, wie die des
böhmischen ist, nicht eigensinnig und selbstmörderisch vom Fruchtboden seiner
geistigen Existenz gesondert, als eine Pflanze mit Luftwurzeln zu leben berufen
sei. Wenn es auch wahr ist: „das Unrecht, was der Mann, der mündige,
dem Manne zufügt, vergißt sich und vergibt sich schwer", so wissen wir doch,
daß wir in einer neuen Zeit als neue Menschen leben. Weisen aber die Böh¬
men unversöhnlich auf die Wunde hin, die uns verhängt war ihnen zu schla¬
gen, so vergessen sie, daß die Geschichte ihres Verhältnisses zu Deutschland ein¬
dringlich und bedeutsam das Wort bestätigt: ö r^>co>7«s ««5 t«i7-,r«t!


M. I.


Von der polnischen Grenze.

Ein Auftrag führte mich in der vergangenen Woche in den äußersten
Süden unserer Provinz, aus jene schmale Zunge, die drei bis vier Meilen
breit, zwischen Schlesien und Cvngreßpolen eingeschlossen liegt. Dort wohnen
die evangelischen Polen; es sind merkwürdige und durchaus liebenswerthe
Leute. Kirchlich verlassen, haben sie sich Jahrhunderte lang nur aus polnischen
Liedern und der Postille von Samuel Dombrowski geistlich genährt, ohne sich
irgendwie zum Abfall von dem Väterglauben versucht zu fühlen; aber sie hängen
mit derselben Innigkeit an ihrer polnischen Sprache, sie ihnen zu nehmen
dürfte schwer sein. So haben sie sich Nationalsitte, Gebräuche, Tracht gewahrt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/196>, abgerufen am 29.04.2024.