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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Deutsche Feste und Kriegsgefahr.

Der Fremde, welcher das Treiben der Deutschen in diesen Sommermonaten
betrachtet, mag sich leicht sagen, daß die vielgerühmte Logik unsres Geistes
dabei nicht in ausgezeichneter Weise sichtbar werde. Nationale Feste werden
zahlreich, fröhlich, zum Theil in den größten Dimensionen gefeiert. Wir
haben unsre Schützen nach der Schweiz gesandt und dort ein schönes Ver¬
brüderungsfest im größten Stil begangen, unsre Sänger vereinigen ihre Chöre
fast in allen Landschaften und besingen den Wein, die Liebe, gute Kamerad¬
schaft und Vaterland in sehr wohlklingenden Noten, die Schützen zielen lustig
auf großen Provinzialfesten nach Kehr- und Standschciben und schwenken
silberne Preisbecher, die landwirthschaftliche Ausstellung zu Hamburg in gro߬
artiger und vortrefflicher Anordnung hat Alles übertroffen, was bis setzt auf
diesem Gebiete irdischer Interessen durch Vereinsthätigkeit arrangirt worden ist.
In der Mitte Deutschlands bildet das große Turnfest einen geselligen Mittel¬
punkt für die rüstige Jugend, auch die Arbeiterassociationen verbinden sich
zu herzlicher Geselligkeit in Ausflügen, gemeinsamen Essen und patriotischen
Reden, das preußische Rheinland hat den Abgeordneten der Opposition ein
glänzendes politisches Fest gegeben, mit gutem Wein, Böllerschießen und
Toasten, das halbe Vaterland regt lustig die Beine auf Reisen, unterhält sich
in Bädern und frischer Gebirgsluft, lustwandelt, singt, trinkt, lacht oder hält
Reden unter Gesinnungsgenossen. Wahrlich die fröhliche Seite des deutschen
Gemüths steht grade jetzt im Vordergrund, Gedeihen, Behagen, Freude am
Dasein werden massenhaft und sehr originell sichtbar, und wer die deutschen
Städte durchwandert, die Häuser im Festschmucke sieht, die wehenden Fahnen,
Zuruf und Jauchzen der Menge hört, der möchte glauben, daß bei uns die
größte politische Freiheit, hohe Sicherheit des Daseins, ein festgegründetes
Staatsleben, welches dem Einzelnen Selbstgefühl und Befriedigung gewährt,
überreichlich vorhanden sei.

Und dazwischen wieder ungeheuerliche Verwarnungen und Verfolgungen
der Presse in dem größten deutschen Staat, die tiefe Erbitterung des Volkes ge¬
gen eine willkürliche und höchst unpopuläre Regierung und dahinter die drohende
Gefahr Schleswig-Holsteins, die drohende Gefahr eines Krieges zwischen Ru߬
land und den Westmächten, und nicht zuletzt die große Gefahr, worin der Zoll¬
verein, die Grundlage unseres materiellen Fortschritts, schwebt. Der Gegen¬
satz ist sehr auffällig. Seit längerer Zeit war, so scheint es, die Lage Deutsch-


Deutsche Feste und Kriegsgefahr.

Der Fremde, welcher das Treiben der Deutschen in diesen Sommermonaten
betrachtet, mag sich leicht sagen, daß die vielgerühmte Logik unsres Geistes
dabei nicht in ausgezeichneter Weise sichtbar werde. Nationale Feste werden
zahlreich, fröhlich, zum Theil in den größten Dimensionen gefeiert. Wir
haben unsre Schützen nach der Schweiz gesandt und dort ein schönes Ver¬
brüderungsfest im größten Stil begangen, unsre Sänger vereinigen ihre Chöre
fast in allen Landschaften und besingen den Wein, die Liebe, gute Kamerad¬
schaft und Vaterland in sehr wohlklingenden Noten, die Schützen zielen lustig
auf großen Provinzialfesten nach Kehr- und Standschciben und schwenken
silberne Preisbecher, die landwirthschaftliche Ausstellung zu Hamburg in gro߬
artiger und vortrefflicher Anordnung hat Alles übertroffen, was bis setzt auf
diesem Gebiete irdischer Interessen durch Vereinsthätigkeit arrangirt worden ist.
In der Mitte Deutschlands bildet das große Turnfest einen geselligen Mittel¬
punkt für die rüstige Jugend, auch die Arbeiterassociationen verbinden sich
zu herzlicher Geselligkeit in Ausflügen, gemeinsamen Essen und patriotischen
Reden, das preußische Rheinland hat den Abgeordneten der Opposition ein
glänzendes politisches Fest gegeben, mit gutem Wein, Böllerschießen und
Toasten, das halbe Vaterland regt lustig die Beine auf Reisen, unterhält sich
in Bädern und frischer Gebirgsluft, lustwandelt, singt, trinkt, lacht oder hält
Reden unter Gesinnungsgenossen. Wahrlich die fröhliche Seite des deutschen
Gemüths steht grade jetzt im Vordergrund, Gedeihen, Behagen, Freude am
Dasein werden massenhaft und sehr originell sichtbar, und wer die deutschen
Städte durchwandert, die Häuser im Festschmucke sieht, die wehenden Fahnen,
Zuruf und Jauchzen der Menge hört, der möchte glauben, daß bei uns die
größte politische Freiheit, hohe Sicherheit des Daseins, ein festgegründetes
Staatsleben, welches dem Einzelnen Selbstgefühl und Befriedigung gewährt,
überreichlich vorhanden sei.

Und dazwischen wieder ungeheuerliche Verwarnungen und Verfolgungen
der Presse in dem größten deutschen Staat, die tiefe Erbitterung des Volkes ge¬
gen eine willkürliche und höchst unpopuläre Regierung und dahinter die drohende
Gefahr Schleswig-Holsteins, die drohende Gefahr eines Krieges zwischen Ru߬
land und den Westmächten, und nicht zuletzt die große Gefahr, worin der Zoll¬
verein, die Grundlage unseres materiellen Fortschritts, schwebt. Der Gegen¬
satz ist sehr auffällig. Seit längerer Zeit war, so scheint es, die Lage Deutsch-


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[0242] Deutsche Feste und Kriegsgefahr. Der Fremde, welcher das Treiben der Deutschen in diesen Sommermonaten betrachtet, mag sich leicht sagen, daß die vielgerühmte Logik unsres Geistes dabei nicht in ausgezeichneter Weise sichtbar werde. Nationale Feste werden zahlreich, fröhlich, zum Theil in den größten Dimensionen gefeiert. Wir haben unsre Schützen nach der Schweiz gesandt und dort ein schönes Ver¬ brüderungsfest im größten Stil begangen, unsre Sänger vereinigen ihre Chöre fast in allen Landschaften und besingen den Wein, die Liebe, gute Kamerad¬ schaft und Vaterland in sehr wohlklingenden Noten, die Schützen zielen lustig auf großen Provinzialfesten nach Kehr- und Standschciben und schwenken silberne Preisbecher, die landwirthschaftliche Ausstellung zu Hamburg in gro߬ artiger und vortrefflicher Anordnung hat Alles übertroffen, was bis setzt auf diesem Gebiete irdischer Interessen durch Vereinsthätigkeit arrangirt worden ist. In der Mitte Deutschlands bildet das große Turnfest einen geselligen Mittel¬ punkt für die rüstige Jugend, auch die Arbeiterassociationen verbinden sich zu herzlicher Geselligkeit in Ausflügen, gemeinsamen Essen und patriotischen Reden, das preußische Rheinland hat den Abgeordneten der Opposition ein glänzendes politisches Fest gegeben, mit gutem Wein, Böllerschießen und Toasten, das halbe Vaterland regt lustig die Beine auf Reisen, unterhält sich in Bädern und frischer Gebirgsluft, lustwandelt, singt, trinkt, lacht oder hält Reden unter Gesinnungsgenossen. Wahrlich die fröhliche Seite des deutschen Gemüths steht grade jetzt im Vordergrund, Gedeihen, Behagen, Freude am Dasein werden massenhaft und sehr originell sichtbar, und wer die deutschen Städte durchwandert, die Häuser im Festschmucke sieht, die wehenden Fahnen, Zuruf und Jauchzen der Menge hört, der möchte glauben, daß bei uns die größte politische Freiheit, hohe Sicherheit des Daseins, ein festgegründetes Staatsleben, welches dem Einzelnen Selbstgefühl und Befriedigung gewährt, überreichlich vorhanden sei. Und dazwischen wieder ungeheuerliche Verwarnungen und Verfolgungen der Presse in dem größten deutschen Staat, die tiefe Erbitterung des Volkes ge¬ gen eine willkürliche und höchst unpopuläre Regierung und dahinter die drohende Gefahr Schleswig-Holsteins, die drohende Gefahr eines Krieges zwischen Ru߬ land und den Westmächten, und nicht zuletzt die große Gefahr, worin der Zoll¬ verein, die Grundlage unseres materiellen Fortschritts, schwebt. Der Gegen¬ satz ist sehr auffällig. Seit längerer Zeit war, so scheint es, die Lage Deutsch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/242>, abgerufen am 29.04.2024.