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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Der tiroler Landtag von 18KZ.

Unsere Leser sind, wenn von Tirol die Rede geht, Wohl schon darauf ge¬
faßt, von der Glaubenseinheit zu hören. Sie würden sich aber täuschen, wenn
sie diese für das Hauptaugenmerk unserer klerikalen Partei hielten. Dieselbe gilt
nur als das Feldgeschrei, als die Standarte, womit sie ihre Schaaren in den
Kampf führt, ihr Ziel ist die Erhaltung der alten Herrschaft. Die Wahrung
der Glaubenseinheit umfaßt eben alle Mittel, deren sie sich seit Jahrhunderten
bedient, das Familien- und Gemeindeleben zu beeinflussen, sie bedingt die aus¬
schließende Leitung der Schule und Volksbildung, die Pflege des Ceremonien¬
dienstes und Wunderglaubens*), die unausgesetzte Agitation in Predigt und
Beichtstuhl, die geheime und offene Werbung für ihre Zwecke, kurz die Füh¬
rung der großen Masse in allen geistlichen und weltlichen Angelegenheiten.
Wenn der Kaiser oder Reichsrath die Bitte um jenes kostbare Kleinod zurück¬
weist, so beginnt das Streben nach der Erhaltung der alten Zustände im
Einzelnen, es wird sich aber in allen Beziehungen treu bleiben. Dafür ist
schon jetzt vorgearbeitet, die Beweise liegen in den Verhandlungen des letzten
Landtags.

Eine der ersten Debatten betraf den Anschluß an den deutschen Zollverein.
Die Stadtgemeinde Bozen hatte ihn mit der Begründung angeregt, daß dadurch
der alte Waarendurchzug wieder hergestellt, die Landwirthschaft gehoben und
Wälschtirol dem Provinzialverbande erhalten würde. Das Begehren bezweckte
unbedingte Aufhebung der Zollschranken gegen Deutschland und deren Bevor-
wortung beim Reichsrath. Beides war den Ultramontanen gleich mißliebig.
Ein ungehinderter Verkehr mit den deutschen meist protestantischen Ländern



") So trägt z. B, der Klerus die Reliquien der Heiligen in Processionen umher, um
durch ihre Fürbitte die Traubenmotte zu vertreiben, oder mahnt zu Wallfahrten nach jenen
Orten, wo sogenannte "Mirakelbilder" stehen. Als der Cardinal Reisach letzthin bei der Con¬
ciliumsfeier in Trient eine Hand des HI. Vigilius zeigte, riefen die Geistlichen, die neben ihm
hergingen. fortwährend basso" d. h, das Volk solle sich vor ihr auf die Kniee werfen.
Grenzboten III. 1LS3. 36
Der tiroler Landtag von 18KZ.

Unsere Leser sind, wenn von Tirol die Rede geht, Wohl schon darauf ge¬
faßt, von der Glaubenseinheit zu hören. Sie würden sich aber täuschen, wenn
sie diese für das Hauptaugenmerk unserer klerikalen Partei hielten. Dieselbe gilt
nur als das Feldgeschrei, als die Standarte, womit sie ihre Schaaren in den
Kampf führt, ihr Ziel ist die Erhaltung der alten Herrschaft. Die Wahrung
der Glaubenseinheit umfaßt eben alle Mittel, deren sie sich seit Jahrhunderten
bedient, das Familien- und Gemeindeleben zu beeinflussen, sie bedingt die aus¬
schließende Leitung der Schule und Volksbildung, die Pflege des Ceremonien¬
dienstes und Wunderglaubens*), die unausgesetzte Agitation in Predigt und
Beichtstuhl, die geheime und offene Werbung für ihre Zwecke, kurz die Füh¬
rung der großen Masse in allen geistlichen und weltlichen Angelegenheiten.
Wenn der Kaiser oder Reichsrath die Bitte um jenes kostbare Kleinod zurück¬
weist, so beginnt das Streben nach der Erhaltung der alten Zustände im
Einzelnen, es wird sich aber in allen Beziehungen treu bleiben. Dafür ist
schon jetzt vorgearbeitet, die Beweise liegen in den Verhandlungen des letzten
Landtags.

Eine der ersten Debatten betraf den Anschluß an den deutschen Zollverein.
Die Stadtgemeinde Bozen hatte ihn mit der Begründung angeregt, daß dadurch
der alte Waarendurchzug wieder hergestellt, die Landwirthschaft gehoben und
Wälschtirol dem Provinzialverbande erhalten würde. Das Begehren bezweckte
unbedingte Aufhebung der Zollschranken gegen Deutschland und deren Bevor-
wortung beim Reichsrath. Beides war den Ultramontanen gleich mißliebig.
Ein ungehinderter Verkehr mit den deutschen meist protestantischen Ländern



") So trägt z. B, der Klerus die Reliquien der Heiligen in Processionen umher, um
durch ihre Fürbitte die Traubenmotte zu vertreiben, oder mahnt zu Wallfahrten nach jenen
Orten, wo sogenannte „Mirakelbilder" stehen. Als der Cardinal Reisach letzthin bei der Con¬
ciliumsfeier in Trient eine Hand des HI. Vigilius zeigte, riefen die Geistlichen, die neben ihm
hergingen. fortwährend basso" d. h, das Volk solle sich vor ihr auf die Kniee werfen.
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[0289] Der tiroler Landtag von 18KZ. Unsere Leser sind, wenn von Tirol die Rede geht, Wohl schon darauf ge¬ faßt, von der Glaubenseinheit zu hören. Sie würden sich aber täuschen, wenn sie diese für das Hauptaugenmerk unserer klerikalen Partei hielten. Dieselbe gilt nur als das Feldgeschrei, als die Standarte, womit sie ihre Schaaren in den Kampf führt, ihr Ziel ist die Erhaltung der alten Herrschaft. Die Wahrung der Glaubenseinheit umfaßt eben alle Mittel, deren sie sich seit Jahrhunderten bedient, das Familien- und Gemeindeleben zu beeinflussen, sie bedingt die aus¬ schließende Leitung der Schule und Volksbildung, die Pflege des Ceremonien¬ dienstes und Wunderglaubens*), die unausgesetzte Agitation in Predigt und Beichtstuhl, die geheime und offene Werbung für ihre Zwecke, kurz die Füh¬ rung der großen Masse in allen geistlichen und weltlichen Angelegenheiten. Wenn der Kaiser oder Reichsrath die Bitte um jenes kostbare Kleinod zurück¬ weist, so beginnt das Streben nach der Erhaltung der alten Zustände im Einzelnen, es wird sich aber in allen Beziehungen treu bleiben. Dafür ist schon jetzt vorgearbeitet, die Beweise liegen in den Verhandlungen des letzten Landtags. Eine der ersten Debatten betraf den Anschluß an den deutschen Zollverein. Die Stadtgemeinde Bozen hatte ihn mit der Begründung angeregt, daß dadurch der alte Waarendurchzug wieder hergestellt, die Landwirthschaft gehoben und Wälschtirol dem Provinzialverbande erhalten würde. Das Begehren bezweckte unbedingte Aufhebung der Zollschranken gegen Deutschland und deren Bevor- wortung beim Reichsrath. Beides war den Ultramontanen gleich mißliebig. Ein ungehinderter Verkehr mit den deutschen meist protestantischen Ländern ") So trägt z. B, der Klerus die Reliquien der Heiligen in Processionen umher, um durch ihre Fürbitte die Traubenmotte zu vertreiben, oder mahnt zu Wallfahrten nach jenen Orten, wo sogenannte „Mirakelbilder" stehen. Als der Cardinal Reisach letzthin bei der Con¬ ciliumsfeier in Trient eine Hand des HI. Vigilius zeigte, riefen die Geistlichen, die neben ihm hergingen. fortwährend basso" d. h, das Volk solle sich vor ihr auf die Kniee werfen. Grenzboten III. 1LS3. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/289>, abgerufen am 29.04.2024.