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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Die genossenschaftliche Selbsthilfe aus dem Lande.

V, A. Huber, Die landwirtschaftlichen Genossenschaften. Nordhausen, Förste-
mann. 1863.

Bekannt ist, .welche außerordentlichen Erfolge das Princip genossenschaft¬
licher Selbsthilfe, wie es durch Schulze-Delitzsch gegen den Nothstand der deut¬
schen Arbeiterwelt ins Feld geführt und auch durch den Verfasser obigen Schrift¬
chens wiederholt in verdienstlichster Weise empfohlen worden, in den Kreisen
der städtischen Arbeiter schon jetzt, nach kaum zehnjähriger Wirksamkeit, auf¬
zuweisen hat. Allenthalben, namentlich in Nord- und Westdeutschland, dringen
die Gedanken, die dem Werke zu Grunde liegen, von Jahr zu Jahr tiefer in
die Massen ein, entstehen neue Vereine zu ihrer Verwirklichung, pflücken die
älteren schon schöne Früchte materieller wie geistiger Art. Tausende segnen in
dem Schöpfer dieser Bewegung den "Vater der Arbeiter".

Gleichwohl muß man sich sagen, daß wir hier im Vergleich mit der unerme߬
lichen Aufgabe nicht viel über einen tüchtigen, vielversprechenden Anfang hinaus
sind; denn einerseits harren noch so wichtige Fragen, wie die der productiven
Association der vollkommen befriedigenden Lösung, andrerseits betheiligten sich bis¬
her von den Arbeitern meist nur die kleinen Leute unter den Handwerkern mit
Energie an der Sache, und die mindestens ebenso zahlreichen und nicht weniger
gefährdeten Fabrikarbeiter beginnen erst jetzt allmälig in größeren Massen in die
Bewegung einzutreten. Gibt es somit auf dem Gebiet städtischer Arbeiterznstände
noch ungemein viel zu schaffen, zu heben und zu bessern, so kann es leicht vorschnell
erscheinen, wenn der Versuch gemacht wird, schon jetzt auch die Verhältnisse des
platten Landes in dieser Beziehung in Angriff zu nehmen. Nichtsdestoweniger
wissen wir dem Verfasser Dank, daß er hier zu solchen Versuchen anregte; denn
einerseits ist der Nothstand des ländlichen Proletariats eher großer wie
geringer als der des städtischen, und sodann wird man für jenes thätig sein
können, ohne dieses zu vernachlässigen, ja es ist begründete Aussicht vorhanden,
beide Gebiete zu förderlicher Wechselwirkung zu verbinden. Die Arbeit wird
ohne Zweifel größer sein, schon weil die ländliche Bevölkerung weit zahlreicher
ist als die städtische, dann weil unter den landwirthschaftlichen Arbeitgebern
weniger guter Wille, unter den landwirthschaftlichen Arbeitnehmern weniger
Intelligenz vorauszusetzen ist, als unter denen des städtischen Gewerbes. Aber


Grenzboten III. 1863. 66
Die genossenschaftliche Selbsthilfe aus dem Lande.

V, A. Huber, Die landwirtschaftlichen Genossenschaften. Nordhausen, Förste-
mann. 1863.

Bekannt ist, .welche außerordentlichen Erfolge das Princip genossenschaft¬
licher Selbsthilfe, wie es durch Schulze-Delitzsch gegen den Nothstand der deut¬
schen Arbeiterwelt ins Feld geführt und auch durch den Verfasser obigen Schrift¬
chens wiederholt in verdienstlichster Weise empfohlen worden, in den Kreisen
der städtischen Arbeiter schon jetzt, nach kaum zehnjähriger Wirksamkeit, auf¬
zuweisen hat. Allenthalben, namentlich in Nord- und Westdeutschland, dringen
die Gedanken, die dem Werke zu Grunde liegen, von Jahr zu Jahr tiefer in
die Massen ein, entstehen neue Vereine zu ihrer Verwirklichung, pflücken die
älteren schon schöne Früchte materieller wie geistiger Art. Tausende segnen in
dem Schöpfer dieser Bewegung den „Vater der Arbeiter".

Gleichwohl muß man sich sagen, daß wir hier im Vergleich mit der unerme߬
lichen Aufgabe nicht viel über einen tüchtigen, vielversprechenden Anfang hinaus
sind; denn einerseits harren noch so wichtige Fragen, wie die der productiven
Association der vollkommen befriedigenden Lösung, andrerseits betheiligten sich bis¬
her von den Arbeitern meist nur die kleinen Leute unter den Handwerkern mit
Energie an der Sache, und die mindestens ebenso zahlreichen und nicht weniger
gefährdeten Fabrikarbeiter beginnen erst jetzt allmälig in größeren Massen in die
Bewegung einzutreten. Gibt es somit auf dem Gebiet städtischer Arbeiterznstände
noch ungemein viel zu schaffen, zu heben und zu bessern, so kann es leicht vorschnell
erscheinen, wenn der Versuch gemacht wird, schon jetzt auch die Verhältnisse des
platten Landes in dieser Beziehung in Angriff zu nehmen. Nichtsdestoweniger
wissen wir dem Verfasser Dank, daß er hier zu solchen Versuchen anregte; denn
einerseits ist der Nothstand des ländlichen Proletariats eher großer wie
geringer als der des städtischen, und sodann wird man für jenes thätig sein
können, ohne dieses zu vernachlässigen, ja es ist begründete Aussicht vorhanden,
beide Gebiete zu förderlicher Wechselwirkung zu verbinden. Die Arbeit wird
ohne Zweifel größer sein, schon weil die ländliche Bevölkerung weit zahlreicher
ist als die städtische, dann weil unter den landwirthschaftlichen Arbeitgebern
weniger guter Wille, unter den landwirthschaftlichen Arbeitnehmern weniger
Intelligenz vorauszusetzen ist, als unter denen des städtischen Gewerbes. Aber


Grenzboten III. 1863. 66
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[0451] Die genossenschaftliche Selbsthilfe aus dem Lande. V, A. Huber, Die landwirtschaftlichen Genossenschaften. Nordhausen, Förste- mann. 1863. Bekannt ist, .welche außerordentlichen Erfolge das Princip genossenschaft¬ licher Selbsthilfe, wie es durch Schulze-Delitzsch gegen den Nothstand der deut¬ schen Arbeiterwelt ins Feld geführt und auch durch den Verfasser obigen Schrift¬ chens wiederholt in verdienstlichster Weise empfohlen worden, in den Kreisen der städtischen Arbeiter schon jetzt, nach kaum zehnjähriger Wirksamkeit, auf¬ zuweisen hat. Allenthalben, namentlich in Nord- und Westdeutschland, dringen die Gedanken, die dem Werke zu Grunde liegen, von Jahr zu Jahr tiefer in die Massen ein, entstehen neue Vereine zu ihrer Verwirklichung, pflücken die älteren schon schöne Früchte materieller wie geistiger Art. Tausende segnen in dem Schöpfer dieser Bewegung den „Vater der Arbeiter". Gleichwohl muß man sich sagen, daß wir hier im Vergleich mit der unerme߬ lichen Aufgabe nicht viel über einen tüchtigen, vielversprechenden Anfang hinaus sind; denn einerseits harren noch so wichtige Fragen, wie die der productiven Association der vollkommen befriedigenden Lösung, andrerseits betheiligten sich bis¬ her von den Arbeitern meist nur die kleinen Leute unter den Handwerkern mit Energie an der Sache, und die mindestens ebenso zahlreichen und nicht weniger gefährdeten Fabrikarbeiter beginnen erst jetzt allmälig in größeren Massen in die Bewegung einzutreten. Gibt es somit auf dem Gebiet städtischer Arbeiterznstände noch ungemein viel zu schaffen, zu heben und zu bessern, so kann es leicht vorschnell erscheinen, wenn der Versuch gemacht wird, schon jetzt auch die Verhältnisse des platten Landes in dieser Beziehung in Angriff zu nehmen. Nichtsdestoweniger wissen wir dem Verfasser Dank, daß er hier zu solchen Versuchen anregte; denn einerseits ist der Nothstand des ländlichen Proletariats eher großer wie geringer als der des städtischen, und sodann wird man für jenes thätig sein können, ohne dieses zu vernachlässigen, ja es ist begründete Aussicht vorhanden, beide Gebiete zu förderlicher Wechselwirkung zu verbinden. Die Arbeit wird ohne Zweifel größer sein, schon weil die ländliche Bevölkerung weit zahlreicher ist als die städtische, dann weil unter den landwirthschaftlichen Arbeitgebern weniger guter Wille, unter den landwirthschaftlichen Arbeitnehmern weniger Intelligenz vorauszusetzen ist, als unter denen des städtischen Gewerbes. Aber Grenzboten III. 1863. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/451>, abgerufen am 29.04.2024.