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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Briefe über Oestreich.
1. Oestreich und die Würzburger.

Wenn ein Oestreicher zurückblickt auf die kurze Spanne Zeit, die seit dem
Frieden von Villafranca verflossen ist, wenn er die trostlose Lage des Staates
am Tage jenes Friedensschlusses mit dem Aufschwung der Gegenwart ver¬
gleicht, so mag er wohl sich neu gestärkt fühlen in seinem Vertrauen auf die
Unverwüstlichkeit des östreichischen Glückes, und erklärlich ist es, wenn seine
leicht erregte Phantasie sich in stolzen Machtträumen wiegt und über noch un¬
gelöste Schwierigkeiten hinweg den Kaiserstaat im Innern geeinigt, in freier
Entfaltung aller Kräfte, an der Spitze Deutschlands über die Geschicke Euro¬
pas gebieten sieht. Erklärlich ist es: denn vor wenigen Jahren war Oestreich
seiner reichsten Provinz und mit ihr seines Einflusses in Italien beraubt wor¬
den. Seine Stellung in Deutschland wurde von dem Aufschwung des auf Preu¬
ßen hoffenden Nationalbewußtseins, dem gegenüber es aus die, wie es schien,
sehr gebrechlichen Stützen des Ultramontanismus und Particularismus angewiesen
war, ernstlich bedroht; seine materiellen Kräfte waren erschöpft. In allen Thei¬
len des Reiches sing die verhängnißvolle Centrifugalkraft von neuem an sich
zu regen. Was aber das Schlimmste war, der Bevölkerung der deutschen Pro¬
vinzen bemächtigte sich eine tiefe Mutlosigkeit, ein fatalistisches Verzagen, wel¬
ches in raschen Uebergängen bald in stumpfer Gleichgiltigkeit gegen das Wohl
des Reiches sich gefiel, bald als krankhaftes Mißtrauen gegen Alles, was mit
den herrschenden Systemen zusammenhing, sich äußerte. Der schwarzcnberg-
bachsche Versuch, Oestreich mit den Mitteln des strengsten, durch die Kräfte der
katholischen Kirche unterstützten Absolutismus zum einheitlichen Gesammtstaate
umzubilden, war als gescheitert anzusehen. Da entschloß man sich in der Zeit
der härtesten Bedrängniß zu dem Versuche, die Gesammtstaatsidce auf dem
Wege constitutioneller Einrichtungen zu verwirklichen. Das Ziel freilich, in
einem Parlamente den verschiedenen Nationalitäten einen gemeinsamen staatlichen
Mittelpunkt zu geben, hat man noch nicht erreicht, und wird es auch ohne
wesentliche Modifikationen der bisher den einzelnen Nationen gegenüber ein¬
gehaltenen Politik schwerlich erreichen. Wohl aber ist es gelungen, die stockenden


Grenzboten III. 1863. 6
Briefe über Oestreich.
1. Oestreich und die Würzburger.

Wenn ein Oestreicher zurückblickt auf die kurze Spanne Zeit, die seit dem
Frieden von Villafranca verflossen ist, wenn er die trostlose Lage des Staates
am Tage jenes Friedensschlusses mit dem Aufschwung der Gegenwart ver¬
gleicht, so mag er wohl sich neu gestärkt fühlen in seinem Vertrauen auf die
Unverwüstlichkeit des östreichischen Glückes, und erklärlich ist es, wenn seine
leicht erregte Phantasie sich in stolzen Machtträumen wiegt und über noch un¬
gelöste Schwierigkeiten hinweg den Kaiserstaat im Innern geeinigt, in freier
Entfaltung aller Kräfte, an der Spitze Deutschlands über die Geschicke Euro¬
pas gebieten sieht. Erklärlich ist es: denn vor wenigen Jahren war Oestreich
seiner reichsten Provinz und mit ihr seines Einflusses in Italien beraubt wor¬
den. Seine Stellung in Deutschland wurde von dem Aufschwung des auf Preu¬
ßen hoffenden Nationalbewußtseins, dem gegenüber es aus die, wie es schien,
sehr gebrechlichen Stützen des Ultramontanismus und Particularismus angewiesen
war, ernstlich bedroht; seine materiellen Kräfte waren erschöpft. In allen Thei¬
len des Reiches sing die verhängnißvolle Centrifugalkraft von neuem an sich
zu regen. Was aber das Schlimmste war, der Bevölkerung der deutschen Pro¬
vinzen bemächtigte sich eine tiefe Mutlosigkeit, ein fatalistisches Verzagen, wel¬
ches in raschen Uebergängen bald in stumpfer Gleichgiltigkeit gegen das Wohl
des Reiches sich gefiel, bald als krankhaftes Mißtrauen gegen Alles, was mit
den herrschenden Systemen zusammenhing, sich äußerte. Der schwarzcnberg-
bachsche Versuch, Oestreich mit den Mitteln des strengsten, durch die Kräfte der
katholischen Kirche unterstützten Absolutismus zum einheitlichen Gesammtstaate
umzubilden, war als gescheitert anzusehen. Da entschloß man sich in der Zeit
der härtesten Bedrängniß zu dem Versuche, die Gesammtstaatsidce auf dem
Wege constitutioneller Einrichtungen zu verwirklichen. Das Ziel freilich, in
einem Parlamente den verschiedenen Nationalitäten einen gemeinsamen staatlichen
Mittelpunkt zu geben, hat man noch nicht erreicht, und wird es auch ohne
wesentliche Modifikationen der bisher den einzelnen Nationen gegenüber ein¬
gehaltenen Politik schwerlich erreichen. Wohl aber ist es gelungen, die stockenden


Grenzboten III. 1863. 6
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[0049] Briefe über Oestreich. 1. Oestreich und die Würzburger. Wenn ein Oestreicher zurückblickt auf die kurze Spanne Zeit, die seit dem Frieden von Villafranca verflossen ist, wenn er die trostlose Lage des Staates am Tage jenes Friedensschlusses mit dem Aufschwung der Gegenwart ver¬ gleicht, so mag er wohl sich neu gestärkt fühlen in seinem Vertrauen auf die Unverwüstlichkeit des östreichischen Glückes, und erklärlich ist es, wenn seine leicht erregte Phantasie sich in stolzen Machtträumen wiegt und über noch un¬ gelöste Schwierigkeiten hinweg den Kaiserstaat im Innern geeinigt, in freier Entfaltung aller Kräfte, an der Spitze Deutschlands über die Geschicke Euro¬ pas gebieten sieht. Erklärlich ist es: denn vor wenigen Jahren war Oestreich seiner reichsten Provinz und mit ihr seines Einflusses in Italien beraubt wor¬ den. Seine Stellung in Deutschland wurde von dem Aufschwung des auf Preu¬ ßen hoffenden Nationalbewußtseins, dem gegenüber es aus die, wie es schien, sehr gebrechlichen Stützen des Ultramontanismus und Particularismus angewiesen war, ernstlich bedroht; seine materiellen Kräfte waren erschöpft. In allen Thei¬ len des Reiches sing die verhängnißvolle Centrifugalkraft von neuem an sich zu regen. Was aber das Schlimmste war, der Bevölkerung der deutschen Pro¬ vinzen bemächtigte sich eine tiefe Mutlosigkeit, ein fatalistisches Verzagen, wel¬ ches in raschen Uebergängen bald in stumpfer Gleichgiltigkeit gegen das Wohl des Reiches sich gefiel, bald als krankhaftes Mißtrauen gegen Alles, was mit den herrschenden Systemen zusammenhing, sich äußerte. Der schwarzcnberg- bachsche Versuch, Oestreich mit den Mitteln des strengsten, durch die Kräfte der katholischen Kirche unterstützten Absolutismus zum einheitlichen Gesammtstaate umzubilden, war als gescheitert anzusehen. Da entschloß man sich in der Zeit der härtesten Bedrängniß zu dem Versuche, die Gesammtstaatsidce auf dem Wege constitutioneller Einrichtungen zu verwirklichen. Das Ziel freilich, in einem Parlamente den verschiedenen Nationalitäten einen gemeinsamen staatlichen Mittelpunkt zu geben, hat man noch nicht erreicht, und wird es auch ohne wesentliche Modifikationen der bisher den einzelnen Nationen gegenüber ein¬ gehaltenen Politik schwerlich erreichen. Wohl aber ist es gelungen, die stockenden Grenzboten III. 1863. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/49>, abgerufen am 29.04.2024.