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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Der Versasser des Ausrufs: "An mein Volk".

Theodor Gottlieb v. Hippel, Ein Gedenkblatt zur funfzigjährigen Feier der Er¬
hebung Preußens, herausgeben von Dr. Theodor Bach. Breslau, Verlag
von Eduard Trewendt, 1863. 286 S.

Der 17. März 1813, der Tag des Ausrufs "An mein Volk", bezeichnet
den Anfang des dritten und letzten Actes in dem weltgeschichtlichen Schauspiel
der Erhebung des Prcußenvolkcs gegen die französische Fremdherrschaft. Was
Uork in großer Stunde begonnen, Stein und die übrigen "Ideologen"*) zum
größern Theil ohne, ja halb oder ganz gegen den Willen-des Königs und nur
in einigen Punkten mit dessen ausdrücklicher Zustimmung weiter gefördert, wird
jetzt von Friedrich Wilhelm, dem Zauberer, dem Gegner aller ungewöhnlichen
Entschlüsse, dem Politiker, der nur die Schwierigkeiten, nicht die Vortheile der
Situation sieht, endlich nothgedrungen anerkannt. Er überwindet sich, den Volks¬
krieg zu verkündigen. Er tritt aus seiner Reserve hervor und an die Spitze
der Bewegung. Er sieht von dem hergebrachten diplomatischen Usus ab. Er
zieht den Degen -- zum ersten Mal nicht als König von Preußen, sondern als
König der Preußen.

Schon in sofern ist die vorliegende Schrift in hohem Grade geeignet, un¬
ser Interesse in Anspruch zu nehmen. Zugleich aber führt sie uns in dem Ur¬
heber jener in doppeltem Sinne königlichen Proclamation einen Mann vor, der
auch in andern Beziehungen sich als Mitarbeiter an dem Befreiungswerke wohl¬
verdient gemacht hat, dann aver ohne sein Verschulden so in Vergessenheit ge-
rieth, daß eine Zeit lang sogar darüber gestritten werden konnte, ob der Auf¬
ruf aus seiner Feder geflossen oder von Stägemann oder gar von dem vaterlands¬
losen Philosophen Schopenhauer verfaßt worden. Und endlich läßt sie uns
auch in die Seelen anderer bedeutender Charaktere dieser gewaltigen Zeit der



Bekanntlich ein Ausdruck Napoleons, Friedrich Wilhelm nannte sie später, in seine
nüchterne enge Natur znnickgekehrt, "Jacobiner" und beklagte es, genöthigt gewesen zu sein, mit
ihnen denselben Weg zu gehen.
Gmizbotm III. 1863. 61
Der Versasser des Ausrufs: „An mein Volk".

Theodor Gottlieb v. Hippel, Ein Gedenkblatt zur funfzigjährigen Feier der Er¬
hebung Preußens, herausgeben von Dr. Theodor Bach. Breslau, Verlag
von Eduard Trewendt, 1863. 286 S.

Der 17. März 1813, der Tag des Ausrufs „An mein Volk", bezeichnet
den Anfang des dritten und letzten Actes in dem weltgeschichtlichen Schauspiel
der Erhebung des Prcußenvolkcs gegen die französische Fremdherrschaft. Was
Uork in großer Stunde begonnen, Stein und die übrigen „Ideologen"*) zum
größern Theil ohne, ja halb oder ganz gegen den Willen-des Königs und nur
in einigen Punkten mit dessen ausdrücklicher Zustimmung weiter gefördert, wird
jetzt von Friedrich Wilhelm, dem Zauberer, dem Gegner aller ungewöhnlichen
Entschlüsse, dem Politiker, der nur die Schwierigkeiten, nicht die Vortheile der
Situation sieht, endlich nothgedrungen anerkannt. Er überwindet sich, den Volks¬
krieg zu verkündigen. Er tritt aus seiner Reserve hervor und an die Spitze
der Bewegung. Er sieht von dem hergebrachten diplomatischen Usus ab. Er
zieht den Degen — zum ersten Mal nicht als König von Preußen, sondern als
König der Preußen.

Schon in sofern ist die vorliegende Schrift in hohem Grade geeignet, un¬
ser Interesse in Anspruch zu nehmen. Zugleich aber führt sie uns in dem Ur¬
heber jener in doppeltem Sinne königlichen Proclamation einen Mann vor, der
auch in andern Beziehungen sich als Mitarbeiter an dem Befreiungswerke wohl¬
verdient gemacht hat, dann aver ohne sein Verschulden so in Vergessenheit ge-
rieth, daß eine Zeit lang sogar darüber gestritten werden konnte, ob der Auf¬
ruf aus seiner Feder geflossen oder von Stägemann oder gar von dem vaterlands¬
losen Philosophen Schopenhauer verfaßt worden. Und endlich läßt sie uns
auch in die Seelen anderer bedeutender Charaktere dieser gewaltigen Zeit der



Bekanntlich ein Ausdruck Napoleons, Friedrich Wilhelm nannte sie später, in seine
nüchterne enge Natur znnickgekehrt, „Jacobiner" und beklagte es, genöthigt gewesen zu sein, mit
ihnen denselben Weg zu gehen.
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[0491] Der Versasser des Ausrufs: „An mein Volk". Theodor Gottlieb v. Hippel, Ein Gedenkblatt zur funfzigjährigen Feier der Er¬ hebung Preußens, herausgeben von Dr. Theodor Bach. Breslau, Verlag von Eduard Trewendt, 1863. 286 S. Der 17. März 1813, der Tag des Ausrufs „An mein Volk", bezeichnet den Anfang des dritten und letzten Actes in dem weltgeschichtlichen Schauspiel der Erhebung des Prcußenvolkcs gegen die französische Fremdherrschaft. Was Uork in großer Stunde begonnen, Stein und die übrigen „Ideologen"*) zum größern Theil ohne, ja halb oder ganz gegen den Willen-des Königs und nur in einigen Punkten mit dessen ausdrücklicher Zustimmung weiter gefördert, wird jetzt von Friedrich Wilhelm, dem Zauberer, dem Gegner aller ungewöhnlichen Entschlüsse, dem Politiker, der nur die Schwierigkeiten, nicht die Vortheile der Situation sieht, endlich nothgedrungen anerkannt. Er überwindet sich, den Volks¬ krieg zu verkündigen. Er tritt aus seiner Reserve hervor und an die Spitze der Bewegung. Er sieht von dem hergebrachten diplomatischen Usus ab. Er zieht den Degen — zum ersten Mal nicht als König von Preußen, sondern als König der Preußen. Schon in sofern ist die vorliegende Schrift in hohem Grade geeignet, un¬ ser Interesse in Anspruch zu nehmen. Zugleich aber führt sie uns in dem Ur¬ heber jener in doppeltem Sinne königlichen Proclamation einen Mann vor, der auch in andern Beziehungen sich als Mitarbeiter an dem Befreiungswerke wohl¬ verdient gemacht hat, dann aver ohne sein Verschulden so in Vergessenheit ge- rieth, daß eine Zeit lang sogar darüber gestritten werden konnte, ob der Auf¬ ruf aus seiner Feder geflossen oder von Stägemann oder gar von dem vaterlands¬ losen Philosophen Schopenhauer verfaßt worden. Und endlich läßt sie uns auch in die Seelen anderer bedeutender Charaktere dieser gewaltigen Zeit der Bekanntlich ein Ausdruck Napoleons, Friedrich Wilhelm nannte sie später, in seine nüchterne enge Natur znnickgekehrt, „Jacobiner" und beklagte es, genöthigt gewesen zu sein, mit ihnen denselben Weg zu gehen. Gmizbotm III. 1863. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/491>, abgerufen am 29.04.2024.