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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Deutsche Briefe aus der preußischen Provinz Posen.
2.
Die Leute.

Von sämmtlichen Kreisen der Provinz sondert sich der Krotoschiner am
schärfsten gegen den angrenzenden deutschen (den Militsch-Trachenberger) ab;
überall sonst ist entweder der Polonismus gemildert, oder es sind wie an den
Säumen des Adelnauer und Schiltberger Kreises die anliegenden Landschaften
noch polnisch. An dem Krotoschiner könnte man sogleich eine Charakteristik
der ganzen Provinz ausführen. Er trägt mit seinen sieben Städten alle Be¬
sonderheiten jener an sich.

Zduny, kaum eine Viertelstunde von der Grenze ab, war vordem so blü¬
hend, daß man von "Krotoschin bei Zduny" sprach. Die Zeiten sind vorüber,
und die massiven Häuser am großen Markte stehen vereinsamt; die Stadt
streckt sich nach polnischer Weise nach der einen Seite in ärmlichen Hütten weit
aus. Diese Partie ist polnisch und der Sitz einer entsetzlichen Armuth. Die
Deutschen, die sich mehr in der Mitte der Stadt halten, haben verschiedene
Gewerbe ergriffen, um sich vor der weitern Verarmung zu schützen; namentlich
sind sehr geschickte Tischler unter ihnen zu finden.

Eine Stunde nördlich von Zduny liegt Krotoschin, ein freundlicher Ort
von etwa 8000 Einwohnern und noch im Vorwärtsgehen begriffen. Es ist die
Hauptstadt des Fürstenthums, mit welchem die Gnade Friedrich Wilhelms des
Dritten den Fürsten von Thurn und Taxis noch neben der Starostei Adelnau
und den Gütern Glogvwo und Chwaliszew beschenkte, als in Preußen eine
königliche Post eingerichtet wurde.

Lassen Sie uns mit einer höflichen Verbeugung an dem Herrn "Fürschten"
und seinen Beamten vorübergehen, damit uns die Erinnerung an das, was
seine Bauern, namentlich in Ligotta, 1854--56 ausgestanden haben, nicht
weich oder bitter stimme. "Wenn der Herr Fürscht wüschte. was für schöne
Hirschen hier sind, so würde er gewiß Ihren Bitten Gehör schenken und her¬
kommen" hat der Herr "Forschtrath" schon vor sieben Jahren gesagt. Er
scheint ihm doch aber weder von den armen Leuten in Ligotta, noch von den


Grenzten I, 186L, 21
Deutsche Briefe aus der preußischen Provinz Posen.
2.
Die Leute.

Von sämmtlichen Kreisen der Provinz sondert sich der Krotoschiner am
schärfsten gegen den angrenzenden deutschen (den Militsch-Trachenberger) ab;
überall sonst ist entweder der Polonismus gemildert, oder es sind wie an den
Säumen des Adelnauer und Schiltberger Kreises die anliegenden Landschaften
noch polnisch. An dem Krotoschiner könnte man sogleich eine Charakteristik
der ganzen Provinz ausführen. Er trägt mit seinen sieben Städten alle Be¬
sonderheiten jener an sich.

Zduny, kaum eine Viertelstunde von der Grenze ab, war vordem so blü¬
hend, daß man von „Krotoschin bei Zduny" sprach. Die Zeiten sind vorüber,
und die massiven Häuser am großen Markte stehen vereinsamt; die Stadt
streckt sich nach polnischer Weise nach der einen Seite in ärmlichen Hütten weit
aus. Diese Partie ist polnisch und der Sitz einer entsetzlichen Armuth. Die
Deutschen, die sich mehr in der Mitte der Stadt halten, haben verschiedene
Gewerbe ergriffen, um sich vor der weitern Verarmung zu schützen; namentlich
sind sehr geschickte Tischler unter ihnen zu finden.

Eine Stunde nördlich von Zduny liegt Krotoschin, ein freundlicher Ort
von etwa 8000 Einwohnern und noch im Vorwärtsgehen begriffen. Es ist die
Hauptstadt des Fürstenthums, mit welchem die Gnade Friedrich Wilhelms des
Dritten den Fürsten von Thurn und Taxis noch neben der Starostei Adelnau
und den Gütern Glogvwo und Chwaliszew beschenkte, als in Preußen eine
königliche Post eingerichtet wurde.

Lassen Sie uns mit einer höflichen Verbeugung an dem Herrn „Fürschten"
und seinen Beamten vorübergehen, damit uns die Erinnerung an das, was
seine Bauern, namentlich in Ligotta, 1854—56 ausgestanden haben, nicht
weich oder bitter stimme. „Wenn der Herr Fürscht wüschte. was für schöne
Hirschen hier sind, so würde er gewiß Ihren Bitten Gehör schenken und her¬
kommen" hat der Herr „Forschtrath" schon vor sieben Jahren gesagt. Er
scheint ihm doch aber weder von den armen Leuten in Ligotta, noch von den


Grenzten I, 186L, 21
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[0169] Deutsche Briefe aus der preußischen Provinz Posen. 2. Die Leute. Von sämmtlichen Kreisen der Provinz sondert sich der Krotoschiner am schärfsten gegen den angrenzenden deutschen (den Militsch-Trachenberger) ab; überall sonst ist entweder der Polonismus gemildert, oder es sind wie an den Säumen des Adelnauer und Schiltberger Kreises die anliegenden Landschaften noch polnisch. An dem Krotoschiner könnte man sogleich eine Charakteristik der ganzen Provinz ausführen. Er trägt mit seinen sieben Städten alle Be¬ sonderheiten jener an sich. Zduny, kaum eine Viertelstunde von der Grenze ab, war vordem so blü¬ hend, daß man von „Krotoschin bei Zduny" sprach. Die Zeiten sind vorüber, und die massiven Häuser am großen Markte stehen vereinsamt; die Stadt streckt sich nach polnischer Weise nach der einen Seite in ärmlichen Hütten weit aus. Diese Partie ist polnisch und der Sitz einer entsetzlichen Armuth. Die Deutschen, die sich mehr in der Mitte der Stadt halten, haben verschiedene Gewerbe ergriffen, um sich vor der weitern Verarmung zu schützen; namentlich sind sehr geschickte Tischler unter ihnen zu finden. Eine Stunde nördlich von Zduny liegt Krotoschin, ein freundlicher Ort von etwa 8000 Einwohnern und noch im Vorwärtsgehen begriffen. Es ist die Hauptstadt des Fürstenthums, mit welchem die Gnade Friedrich Wilhelms des Dritten den Fürsten von Thurn und Taxis noch neben der Starostei Adelnau und den Gütern Glogvwo und Chwaliszew beschenkte, als in Preußen eine königliche Post eingerichtet wurde. Lassen Sie uns mit einer höflichen Verbeugung an dem Herrn „Fürschten" und seinen Beamten vorübergehen, damit uns die Erinnerung an das, was seine Bauern, namentlich in Ligotta, 1854—56 ausgestanden haben, nicht weich oder bitter stimme. „Wenn der Herr Fürscht wüschte. was für schöne Hirschen hier sind, so würde er gewiß Ihren Bitten Gehör schenken und her¬ kommen" hat der Herr „Forschtrath" schon vor sieben Jahren gesagt. Er scheint ihm doch aber weder von den armen Leuten in Ligotta, noch von den Grenzten I, 186L, 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/169>, abgerufen am 25.04.2024.