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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Konstantin Tischendms und Konstantin Simonioes.

Vor einigen Monaten erschien in Leipzig) unter dem Titel "Konstantin
Tischendorf > in seiner j fünfundzwanzigjührigen schriftstellerischen Wirksamkeit.
Literarhistorische Skizze von or. I. E. Volbeding" --- eine Schrift, die einiges
Aufsehen erregte und auch uns zu denken gab/ Unser erster Gedanke war
Ueberraschung, unser zweiter Erinnerung an den Erfahrungssatz, nach welchem
jede Regel ihre Ausnahmen hat, und dazu gesellte sich als dritter eine hübsche
Geschichte, die uns kurz vorher von einem gelehrten Freund erzählt worden war.

Wir waren überrascht aus mehren Gründen. Zunächst weil der auf dem
Titel genannte Herr Verfasser seinem eigentlichen Lebensberuf nach -- er war
uns nur als Redacteur eines Pfcnnigmagazins für die Jugend bekannt -- nicht
gerade zum Beurtheiler von Leistungen auf dem Gebiet paläographischer
Forschungen geschaffen erscheinen wollte. Dann war es nicht gebräuchlich, we¬
nigstens selten, daß man große Männer schon bei Lebzeiten zum Gegenstand
tobender Biographien in Buchform macht. Endlich lebte der "Literarhistoriker"
Volbeding in Leipzig, woselbst das Object seiner Verehrung ebenfalls seinen
wesentlichen Wohnsitz halte, und da siel uns denn der Spruch ein. nach welchem
der Prophet in feinem Vaterlande nichts gelten soll.

Indeß, so dachten wir ferner, keine Regel ohne Ausnahmen, und so mögen
auch diese Passiren, zumal wir durch sie erfahren, daß wir es hier nicht blos
mit einem großen, sondern mit einem sehr großen Manne zu thun haben, so
Zu sage" mit einem Wohlthäter der Menschheit. Weshalb sollte ein Heraus¬
geber der Leipziger Kinderzeitung nicht sein Hcrzenswinkelchen haben dürfen, in
welchem er sich für den Handel mit alten Codices, Palimpsesten und ähnlichem
Apparat gelehrter Theologie interessirt? Und warum sollte man der Weisheit und
Tugend, die man entdeckt hat, nicht einmal gegen das Herkommen, schon während
sie noch hienieden wandelt, das verdiente Ehrendenkmal setzen? Weshalb denn, so



') Verlag von Carl Fr. Fleischer.
Grenzliolen I. 1863.
Konstantin Tischendms und Konstantin Simonioes.

Vor einigen Monaten erschien in Leipzig) unter dem Titel „Konstantin
Tischendorf > in seiner j fünfundzwanzigjührigen schriftstellerischen Wirksamkeit.
Literarhistorische Skizze von or. I. E. Volbeding" -— eine Schrift, die einiges
Aufsehen erregte und auch uns zu denken gab/ Unser erster Gedanke war
Ueberraschung, unser zweiter Erinnerung an den Erfahrungssatz, nach welchem
jede Regel ihre Ausnahmen hat, und dazu gesellte sich als dritter eine hübsche
Geschichte, die uns kurz vorher von einem gelehrten Freund erzählt worden war.

Wir waren überrascht aus mehren Gründen. Zunächst weil der auf dem
Titel genannte Herr Verfasser seinem eigentlichen Lebensberuf nach — er war
uns nur als Redacteur eines Pfcnnigmagazins für die Jugend bekannt — nicht
gerade zum Beurtheiler von Leistungen auf dem Gebiet paläographischer
Forschungen geschaffen erscheinen wollte. Dann war es nicht gebräuchlich, we¬
nigstens selten, daß man große Männer schon bei Lebzeiten zum Gegenstand
tobender Biographien in Buchform macht. Endlich lebte der „Literarhistoriker"
Volbeding in Leipzig, woselbst das Object seiner Verehrung ebenfalls seinen
wesentlichen Wohnsitz halte, und da siel uns denn der Spruch ein. nach welchem
der Prophet in feinem Vaterlande nichts gelten soll.

Indeß, so dachten wir ferner, keine Regel ohne Ausnahmen, und so mögen
auch diese Passiren, zumal wir durch sie erfahren, daß wir es hier nicht blos
mit einem großen, sondern mit einem sehr großen Manne zu thun haben, so
Zu sage» mit einem Wohlthäter der Menschheit. Weshalb sollte ein Heraus¬
geber der Leipziger Kinderzeitung nicht sein Hcrzenswinkelchen haben dürfen, in
welchem er sich für den Handel mit alten Codices, Palimpsesten und ähnlichem
Apparat gelehrter Theologie interessirt? Und warum sollte man der Weisheit und
Tugend, die man entdeckt hat, nicht einmal gegen das Herkommen, schon während
sie noch hienieden wandelt, das verdiente Ehrendenkmal setzen? Weshalb denn, so



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[0209] Konstantin Tischendms und Konstantin Simonioes. Vor einigen Monaten erschien in Leipzig) unter dem Titel „Konstantin Tischendorf > in seiner j fünfundzwanzigjührigen schriftstellerischen Wirksamkeit. Literarhistorische Skizze von or. I. E. Volbeding" -— eine Schrift, die einiges Aufsehen erregte und auch uns zu denken gab/ Unser erster Gedanke war Ueberraschung, unser zweiter Erinnerung an den Erfahrungssatz, nach welchem jede Regel ihre Ausnahmen hat, und dazu gesellte sich als dritter eine hübsche Geschichte, die uns kurz vorher von einem gelehrten Freund erzählt worden war. Wir waren überrascht aus mehren Gründen. Zunächst weil der auf dem Titel genannte Herr Verfasser seinem eigentlichen Lebensberuf nach — er war uns nur als Redacteur eines Pfcnnigmagazins für die Jugend bekannt — nicht gerade zum Beurtheiler von Leistungen auf dem Gebiet paläographischer Forschungen geschaffen erscheinen wollte. Dann war es nicht gebräuchlich, we¬ nigstens selten, daß man große Männer schon bei Lebzeiten zum Gegenstand tobender Biographien in Buchform macht. Endlich lebte der „Literarhistoriker" Volbeding in Leipzig, woselbst das Object seiner Verehrung ebenfalls seinen wesentlichen Wohnsitz halte, und da siel uns denn der Spruch ein. nach welchem der Prophet in feinem Vaterlande nichts gelten soll. Indeß, so dachten wir ferner, keine Regel ohne Ausnahmen, und so mögen auch diese Passiren, zumal wir durch sie erfahren, daß wir es hier nicht blos mit einem großen, sondern mit einem sehr großen Manne zu thun haben, so Zu sage» mit einem Wohlthäter der Menschheit. Weshalb sollte ein Heraus¬ geber der Leipziger Kinderzeitung nicht sein Hcrzenswinkelchen haben dürfen, in welchem er sich für den Handel mit alten Codices, Palimpsesten und ähnlichem Apparat gelehrter Theologie interessirt? Und warum sollte man der Weisheit und Tugend, die man entdeckt hat, nicht einmal gegen das Herkommen, schon während sie noch hienieden wandelt, das verdiente Ehrendenkmal setzen? Weshalb denn, so ') Verlag von Carl Fr. Fleischer. Grenzliolen I. 1863.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/209>, abgerufen am 28.03.2024.